Kill the Flame!

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Ich muss unbedingt eine Lanze brechen für diesen Künstler, mit dem die meisten von euch meinen, nichts anfangen zu können. Leonard Cohen? In einem Metal-/Gothic-Webzine? Ein alter Zausel und noch dazu tot? Viele wissen womöglich gar nicht, dass sie Cohens Musik lieben, wenn sie gerade in den dunkleren Monaten hingebungsvoll sämtliche Interpretationen seines gnadenvollen Hallelujah hören.

 

Leonard Cohen wurde 82 Jahre alt. Der immer groß wirkende, aber nur 1,74 m große Mann starb im November 2016. Drei Wochen davor, am 21. Oktober, kam sein neuestes Album heraus. Ein Vermächtnis fast wie im Januar 2016 bei David Bowie. Leonard Cohens Leben war nicht nur von Ruhm und Ehr bekleckert, er lebte nicht nur in Saus und Braus. Vor gut zehn Jahren kam heraus, dass sein komplettes Vermögen in Höhe von mehreren Millionen Dollar fast vollständig veruntreut wurde. Er hatte sein Geld verloren und war gezwungen, immer weiter zu machen und aufzutreten. Er tat dies mit Gelassenheit und Grandezza. Ihm war nichts anzumerken, er hat sein Bestes gegeben. Cohen war Singer-Songwriter, Schriftsteller, Maler, hat Gedichte und Romane geschrieben und großartige Songs für andere Interpreten. Genau so gut hätte das schwedische Nobelpreiskomitee ihn für den Literaturnobelpreis nominieren können.

Seine Stimme ist dunkel (you want it darker?), fast schwarz, er spricht mehr als er singt, manchmal klingt es fast wie Rap.
Er erzählt melodisch, fast wie ein alter, sehr alter Märchenonkel, dann singt er wieder wie der Piano-Man von der Hotellobby, ein Glas Bourbon auf dem Klavierdeckel, eine Zigarre in der Hand.
Die neun Songs erzählen von seiner ganzen Lebens-Spannbreite, seinem Schaffen und seinen Erlebnissen. Das Titelstück beginnt dramatisch mit Rabbinerchor, dazu die dunkle, samtene, teils brechende und doch eindringliche Stimme von Cohen, der auf eine Frage eine ganz einfache Antwort hat: „You want it darker?“ We kill the flame. Ist doch ganz einfach. Du willst es dunkler haben? Machen wir einfach die Kerze aus. Und so geht es weiter. Dramatisch, große Fragen, Zwiesprache mit Gott, aber ganz einfache Lösungen. In „Treaty“, dem vielleicht ergreifendsten Stück des Albums, diskutiert er mit Gott und wünscht sich, einen Deal mit ihm gemacht zu haben. „On the level“ ist ein bisschen leichter, Pianogeklimper, ein paar Background-Mädels. Das Intro von „Leaving the table“ könnte für Lost Highway geschrieben sein, oder zumindest für Twin Peaks. Geklimper, das belanglos klingt, das einen damit aber täuschen will. Auch danach, schwere Texte, die jedoch locker instrumentiert sind, damit man sie ertragen kann. Orgelklänge, die fast schon Kirchenhymnen ähneln, Geigen, die an Gloomy Sunday erinnern und von tragisch zu süffisant switchen innerhalb eines Akkords. Dann das Schlusslied: „String Reprise – Treaty“ beginnt wie Pachelbels Kanon, den ich sehr liebe, und schließt das Album ab.

Wundervoll, geeignet als Hintergrundmusik zu Tee und Buch, oder nur still dasitzend und mit Rotwein in eine Kerze sinnierend: Dieses Album ist ein kleines Juwel. Es ist ein schwarzes, trauriges, cooles und gelassenes Werk gleichzeitig geworden.
Leonard Cohens Flamme ist erloschen, doch seine Musik ist noch unter uns.

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch2:

Leonard Cohen: You want it darker
Sony Music, 21. Oktober 2016
10,88 €

Tracklist:
1. You want it darker
2. Treaty
3. On the level
4. Leaving the table
5. If I didn’t have your love
6. Travelling light
7. It seemed the better way
8. Steer your way
9. String reprise – Treaty

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