Altnordisches Erbe

cover_1520863679190611Wann immer die Promoter etwas schicken, dass slawischen Ursprungs ist, landet es unweigerlich auf dem Schreibtisch der Slawistin im SB-Team: dem meinen. So fand auch die jüngste Veröffentlichung von Nytt Land ihren Weg über den Tisch in den CD-Player: Oðal, Erbe, heißt das gute Stück, das bereits Ende März via Cold Spring veröffentlicht wurde. Die Band wurde 2013 vom Ehepaar Anatoly und Natalia Pakhalenko im westsibirischen Kalatschinsk (Oblast Omsk) gegründet und hat sich traditioneller sibirischer und altnordischer Musik verschrieben, die sie auf inzwischen vier Alben unters Volk gebracht haben. Unterstützt werden die beiden von Drummer Sergey Silitcky und Percussionist Vladimir Titkov, die beide auch ihren Teil zum Gesang beisteuern und diverse andere Instrumente spielen. Und weil es in der Promo-Mail hieß, dass Oðal von „the atmosphere of classic Norwegian Black Metal” inspiriert wurde, schien dieser Titel bei mir gerade richtig.

Atmosphäre ist in der Tat das A und O bei Nytt Land, allerdings sucht man vergeblich nach dem Black Metal. Die einzige Verbindung, die ich hier feststellen kann, ist eine Bezugnahme auf altnordische Sagen in den Liedtexten. Ich habe keine Ahnung von dieser Sorte Folk-Musik, wie Nytt Land sie darbieten (und das wird man dieser Review auch anmerken). Die Atmosphäre packt mich allerdings sofort, denn die ist mehr als dicht: Sobald man auf „Play“ gedrückt hat, wird man umgehend an ein Feuer inmitten einer weiten Steppe transportiert, an dem man mit seiner erweiterten Familie nach einem harten Tag unter freiem Himmel sitzt. Das Abendessen ist durch, jetzt wird Musik gemacht und Lieder gesungen, die das Leben, die Ahnen und die Götter preisen. Dabei kommen jede Menge Instrumente zum Einsatz, die die Mitglieder von Nytt Land zum Großteil selbst hergestellt haben: Neben den prominenten Trommeln und Holzpercussions hört man Maultrommeln, Flöten, Schellen und ein Saiteninstrument, das der Waschzettel als „Tagelharpa“ ausweist (und das vermutlich, im Gegensatz zu mir, jeder Folk-Afficionado kennt). Das wirklich Spektakuläre an Nytt Land ist jedoch der Gesang: Zwar singen alle Bandmitglieder mit, und für „Darraðarljóð“ hat man sich sogar noch Verstärkung von zwei Gastsängern geholt, jedoch ragen Anatoly und seine Frau Natalia stimmlich heraus. Sie benutzen den traditionellen sibirisch/zentralasiatischen Obertongesang Kargyraa (der laut Wikipedia mit den Gesängen der tibetischen Mönche verwandt ist und „mit dem heulenden Winterwinden oder den klagenden Schreien eines Mutterkamels, das sein Kalb verloren hat“ verglichen werden kann). Die Besonderheit dieser Besonderheit ist nun wiederum, dass diese Technik sowohl von der weiblichen als auch der männlichen Stimme verwendet wird, ist sie doch traditionell eher den Männern vorbehalten, da sie körperlich nicht ohne ist. Gesungen wird mal auf Russisch, mal in einer nordischen Sprache, die ich nicht identifizieren kann. Geräusche aus der Natur (Wind, Wasser, knirschender Schnee) sorgen für den letzten Touch Atmosphäre obendrauf und machen die Illusion der abendlichen Gesangsrunde am Lagerfeuer so perfekt, dass man die brennenden Birkenscheite schon fast riechen kann. Das Lied schließlich, das Oðal in der Nussschale präsentiert, ist „Deyr Fé / The Heritage“, das mit Anatoly beginnt, der seinem vierjährigen Sohn Yuri Verse vorsagt, die dieser dann wiederholt. Hier wird das kulturelle Erbe des Nordens von der einen an die nächste Generation weitergegeben, auch wenn sich der „Norden“ in diesem Zusammenhang von Norwegen bis hinunter nach Westsibirien erstreckt.

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An dieser Stelle sollte jetzt ein Fazit, das eine positive oder negative Bewertung des soeben Gehörten beinhaltet, folgen, aber ich fühle mich, ehrlich gesagt, nicht qualifiziert, eine solche abzugeben. Dafür kenne ich mich einfach zu wenig mit Folk im Allgemeinen aus. Was ich allerdings sagen kann: Man sollte sich Zeit nehmen für Oðal, die Musik auf sich wirken lassen; sich mitnehmen lassen in eine andere Welt, eine andere Zeit, und die Atmosphäre dieser primitiven, ursprünglichen und irgendwie mystischen Musik auf sich wirken lassen. Wer es mit selbstgemachten Instrumenten und schamanischen Trommeln hat, wird hier mehr als zufriedengestellt!

Nytt Land: Oðal
Cold Spring, 26.03.2018
Laufzeit: 54 Minuten
Erhältlich ab £ 6 auf Bandcamp.com

Trackliste:
1. Darraðarljóð / The song of the valkyries
2. Ragnarök
3. Midsommar
4. Hávamál
5. Norður / Yule Song
6. Tagelharpa Song
7. Deyr Fé / The heritage
8. Völuspá
9. Sigrdrífumál / The ballad of the victory-bringer

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