Vertraute Melancholie im frischen Gewand

PTB2016-TheAERDT-UntoldStories-Cover300dpiWelcher (Alt-)Gothe kennt sie nicht, die einflussreiche, 1985 gegründete Band um Sänger und Gitarrist Mic Jogwer, die mit der Single „Michelle“ und deren Veröffentlichung auf dem ersten Zillo-Sampler einen Riesenszenehit landete, der bis heute gern in den einschlägigen Diskotheken gespielt wird. Pink Turns Blue jedoch nur auf diesen einen Hit zu reduzieren, ist ein fataler Fehler; von dem ein wenig an Cure erinnernden klagenden Sound der ersten Platten hat man sich im Lauf der Zeit enorm weiterentwickelt hin zu teils treibendem Postpunk, teils melancholisch-wavig angehauchten Songs, die an die Wurzeln von Pink Turns Blue erinnern. Trotz der zeitweiligen Auflösung der Band (1995–2003) waren sie nie wirklich weg aus der Szene, was der umjubelte Auftritt auf dem WGT 2003 – nach dem man beschloss, die Band wieder ernsthaft zum Leben zu erwecken – bewies. Nach Phoenix, Ghost und Storm ist das neue Album The Aerdt – Untold Stories das insgesamt vierte seit der Reunion. Lohnt sich der Kauf?

Aber sicher. Pink Turns Blue klingen schon beim ersten Ton von „Something deep inside“ wunderbar vertraut und quasi „wie früher, zu der guten alten Zeit“, aber trotzdem frischer, entschiedener, als hätte man endgültig zu seinem Sound gefunden. Mic Jogwer singt weniger melancholisch als sonst, die Gitarren gehen gut nach vorn, der Songaufbau ist dynamisch, und ich könnte mir das sehr gut auf der Tanzfläche vorstellen. „Dirt“ klingt ein wenig reduzierter, Keyboard, Gitarre und Drums nehmen alle für sich einen wichtigen Platz in dem Song ein, doch auch hier wirkt der Sound gefestigter und angekommener als auf den früheren Scheiben.
„Give me your Beauty“ lebt von der melancholischen Gitarrenarbeit, wohingegen „The Clown“ mit unerwartetem Ska-Intro und -Grundrhythmus sowie für PTB-Verhältnisse relativ hartem Gesang aufwartet. Ganz anders und richtig gut! „Here is to you my Love“ beginnt schleppend und hypnotisch, verändert Tonlage und Rhythmus während des ganzen Songs kaum und vermittelt dadurch eine todtraurige Atmosphäre, bei der man richtig schlucken muss. Ein wunderschöner Song.
„Tomorrow never comes“ nimmt das Tempo noch mehr heraus, konzentriert lauscht man Mic Jogwers Gesang zu extrem reduzierter musikalischer Begleitung und lässt sich von der wohlig-traurigen Stimmung mitreißen. „NYC Breakdown“ beginnt – wie kann es anders sein – mit den typischen New Yorker Polizeisirenen, die man aus so vielen Filmen kennt, und bietet sägende Gitarrenriffs. Mic Jogwer verkündet eindringlich „I’m breaking down“, doch irgendwie geht es weiter, eine Straße tut sich immer wieder auf, nämlich beim nachfolgenden „Roads“, auch wenn hier ebenfalls die Melancholie vorherrscht. Killersong!
„I believed“ fällt da meiner Meinung nach ein wenig ab, ist fast schon zu ruhig, zu getragen, auch wenn am Ende mit Einsatz der Gitarren noch ein paar Ecken und Kanten hinzukommen. „Devil“ kracht als Albumabschluss dagegen richtig schön los und hätte sich auch als Opener gut geeignet – so gefallen mir Pink Turns Blue ausnehmend gut!

Fazit: The Aerdt – Untold Stories ist kein Aufguss des Albums Aerdt aus dem Jahr 1991, sondern präsentiert eine zwar wohltuend vertraute, aber doch eindeutig frischere Seite von Pink Turns Blue, ohne das Talent der Band für herzzerreißende Melancholie zu vernachlässigen. Die Mischung aus Songs, die etwas mehr nach vorn gehen, und intimer Eindringlichkeit ist sehr gut gelungen. Man merkt der Band einerseits ihre langjährige Routine an, aber andererseits würde man nicht auf die Idee kommen, dass Pink Turns Blue (in wechselnder Besetzung) bereits seit 1985 im Geschäft sind. Zeitlos, traditionell, modern – irgendwie schaffen sie einen Sound, auf den all diese Adjektive zutreffen, und das ist wunderbar.

Anspieltipps: Roads, Devil, Here is to you my love

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Pink Turns Blue – The Aerdt–Untold Stories
Orden-Records, VÖ.: 15.04.2016
Spiellänge: 44 Minuten
Preis: € 19,99 via Amazon bei Orden-Records

Tracklist:
1. Something deep inside
2. Dirt
3. Give me your Beauty
4. The Clown
5. Here is to you my Love
6. Tomorrow never comes
7. NYC Breakdown
8. Roads
9. I believed
10. Devil

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1 Kommentar

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  1. […] Blue um elf dann endlich anfangen, wird mir schon leicht schwindelig, aber die ersten Songs vom neuen Album wecken mich wieder auf. Live kommt das neue Material in der Trio-Besetzung hervorragend rüber, […]

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