Für die Herbsttristesse

MD129_Schonwald_Digipack_MP_D3Auch wenn der Name Schonwald ziemlich deutsch klingt, stammen Alessandra Gismondi und Luca Bandini, die beiden Köpfe hinter dem Projekt, aus Italien. Bereits 2008 veröffentlichten sie ihr Debütalbum, und nun erscheint mit Abstraction ihr fünftes Album auf Manic Depression Records. Sie sind mir zwar schon von tollen Samplerbeiträgen her bekannt, dennoch bin ich zu meiner Schande noch nicht dazu gekommen, mich eingehender mit den beiden Musikern zu befassen, die vor allen Dingen mit Synthesizer und Gitarre arbeiten. Doch nun ist es endlich soweit.

Wie lang kann eigentlich ein Intro sein? „Desert“ kommt mir beinahe wie eines vor, da es die vollen drei Minuten ohne Gesang auskommt und langsam die Stimmung aufbaut, die zu „No return“ überleitet. Hier steuert Alessandra nun auch ihren langgezogenen, nachhallenden Gesang bei. Dieser wirkt ebenso fragil wie die Musik, atmosphärischer Dark Wave, der die Welt vergessen lässt. Anschließend verströmt „Polar“ namensgerecht eine eisige Kälte, vor allem dank des Gesangs. Schonwald rücken hier in die Nähe von Kælan Mikla. Eine Melodie zum Träumen eröffnet „Inner sin“, das aber in Folge abgründige Tiefen offenbart. Die düstere Stimmung ist alles andere als fröhlich, und man könnte sie mit Sixth June vergleichen. „Fall apart“ zeigt sich zunächst deutlich rhythmusorientiert, doch der Gesang bleibt verhalten. So erzeugen die beiden einen unbestimmten Schwebezustand, in dem man sich leicht verlieren kann.

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Fotocredit: Manic Depression Records

Bei der wiederholenden Grundmelodie von „Echo’s dream“ habe ich direkt Bauhaus im Kopf, trotz der sphärischen Stimme, die später einem sirenenartigen Sound weicht. Dazu passt „Passion of lover“, das man tatsächlich für eine Coverversion von Bauhaus halten könnte, nicht nur wegen des fast identischen Titels. Schonwald fangen viel von dessen Atmosphäre ein und entwickeln dennoch ihren eigenen Song. Drone, Pop und Dark Wave lösen in mir den „Reflex“ aus zu tanzen. Anschließend entführt „Violet“ noch einmal tief in den verwunschenen Schonwald, bevor die Rhythmussequenz die Hörer*innen langsam zu „Fire fire“ überleitet. Über der Percussion-Basis liegt ein monotoner Gesang, ein wenig wie eine Beschwörung, der man sich schwer entziehen kann. Unwirklichkeit fällt mir insgesamt dazu ein, obwohl es das Wort in der Form wahrscheinlich gar nicht gibt.

Fazit: Die große Stärke von Schonwald besteht hier nicht darin, kurzweilige Tanzflächenknüller zu produzieren, was aber nicht heißt, dass man zu Schonwalds Musik nicht tanzen könnte. Man muss sich jedoch Zeit nehmen für das von der Welt entrückte Abstraction, denn es ist ein Album, das man nicht nebenbei konsumieren sollte, und bei dem es vor allem um die erzeugte Atmosphäre geht. Bei jedem Hördurchgang entdeckt man zudem neue Facetten. Der feinfühlige Dark Wave kommt gerade zur rechten Zeit und passt bestens in die Herbsttristesse mit seiner grauen Nebelsuppe. Schonwald verstehen es, schwermütige Stimmungen zu erzeugen und anhaltend zu zelebrieren, bis die Gedanken die reale Welt verlassen und andere Bilder heraufbeschwören. Man muss sich nur trauen.

Anspieltipps: Inner sin, Passion of lover

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Schonwald: Abstraction
Manic Depression Records, Vö. 20.11.20
MP3 8,00 €, LP 18,00 €, CD 13,00 € erhältlich über Bandcamp
Homepage: https://www.facebook.com/schonwald.music
https://schonwald.bandcamp.com/
https://www.facebook.com/manicdepressionrecords
http://manicdepressionrecords.com

Tracklist:
01 Desert
02 No return
03 Polar
04 Inner sin
05 Fall apart
06 Echo’s dream
07 Passion of lover
08 Reflex
09 Violet
10 Fire fire

(1945)