Ad(d)icted to Punk
The Adicts sind nicht nur eine Ikone des Punk, sie sind auch eine der dienstältesten Bands des Planeten und damit eine absolute Legende. 1975 gründen sie sich noch unter dem Namen Afterbirth im kleinen Städtchen Ipswich in der englischen Grafschaft Suffolk. Zwei Jahre später benennen sie sich in The Adicts um, beeinflusst von Stanley Kubricks Kultfilm Clockwork Orange, und übernehmen für die Bühne dabei auch die Ästhetik der Gang um Alex. Bemerkenswert ist, dass die Gründungsmitglieder Keith „Monkey“ Warren (Gesang), Pete Dee Davison (Gitarre), Mel „Little Dave“ Ellis (Bass) und Michael „Kid Dee“ Davison (Schlagzeug) alle noch dabei sind. Wie oft kann man das noch erleben? Mit And it was so! präsentieren sie nach fünf Jahren Pause ihr 12. Studioalbum und setzen damit gleichzeitig ein Statement.
Der Eröffnungssong „Picture the scene“ startet mit einem düsteren Intro, das vor allem die Basslinie betont, doch als der eigentliche Song beginnt, sind dies unverkennbar The Adicts pur: Energiegeladen und mit dem typischen mehrstimmigen Gesang. Ebenso temporeich geht es auch bei „Fucked up world“ weiter, denn die Gitarren treiben den Song fast schon in Motörhead-Manier voran, stets getragen vom Schlagzeug, und die Titelzeile ist geradezu prädestiniert dazu, sich den alltäglichen Frust von der Seele zu brüllen. „Talking shit“ ist ein Kneipensong im besten Sinne, bei dem es entsprechend gemächlicher zugeht. Mit „Oi!“ wird der Song eingeleitet, und passend dazu mit einem leichten Ska-Rhythmus gespielt. Die Idee des in der Tonleiter immer höher ansteigenden Chorgesangs könnte aus „Nellie the Elephant“ von den Toy Dolls entlehnt worden sein. Das folgende „If you want it“ startet mit einer schönen Bowie-esquen Sequenz, die auch im Song mehrfach wiederholt wird. Der typisch im Chor gesungene Refrain lädt wieder zum Mitsingen ein. Wer bei „Gospel according to me“ nun auch einen Gospel erwartet hat, der wird enttäuscht, denn stattdessen ist dies ein feiner Adicts-typischer Uptempo-Song, bei dem die prägnante Hookline nicht fehlen darf. „Gimme something to do“ ist von der Stimmung her ähnlich und musikalisch doch ganz anders, weil die Saiteninstrumente in langanhaltenden Akkorden gespielt werden. Wenn man Spaß an Schubladen hat, könnte man hierfür Epic Punk als neues Genre erfinden.
Von „Love sick baby“ werde ich überrascht, denn es erinnert mich von Beginn an The Sisters of Mercy zu Vision-Thing-Zeiten, düster und rockig zugleich. Sogar der Gesang hat diesen leichten Hall. Aber warum nicht, schließlich ist Gothic die kleine schwarze Schwester des Punk, und noch dazu klingt der Song um Längen besser als alles, was Andrew Eldritch seitdem versucht hat. Der Titeltrack „And it was so“ ist dagegen wieder straight forward Punk, hier wird mächtig in die Saiten gelangt, und das macht mächtig Spaß. Beim Refrain wird der Rhythmus von „These boots are made for walking“ aufgegriffen, ob bewusst oder zufällig sei einmal dahingestellt. „Deja vu“ besticht vor allem durch das schöne und vom Post Punk beeinflusste düstere Bassspiel. Der Gesang klingt in der Strophe ein bisschen nach „Rebel yell“ von Billy Idol, sodass der Song wirkt, als hätte Billy Idol ihn mit den frühen Joy Division als Begleitband eingespielt. Wirklich cool gemacht. „I owe you“ führt den Hörer wieder zurück auf den Weg des Punk und lässt einen direkt mitsingen dank des catchy mehrstimmigen Refrain. Das folgende „Wanna be“ weckt während seiner schlichten Einleitung eine Erinnerung an die Ramones, geht dann aber richtig ab, und vor meinem geistigen Auge wogt der Pogo. Im Refrain werden jedoch originelle Breaks eingestreut, bei denen man schnell Luft holen kann. Zum Abschluss von And it was so! besitzt „You’ll be the death of me“ durch das Bassspiel wieder eine recht düstere Note, was natürlich bestens zum dramatischen Text passt und The Adicts von der nachdenklichen Seite zeigt.
Fazit: And it was so! ein facettenreiches Album, das in bester Tradition der guten alten Schallplatte steht. Nach den ersten sechs Songs muss man die Seite wechseln, und die B-Seite präsentiert andere Aspekte als die A-Seite. Eingefleischte Punk-Puristen mögen vielleicht irritiert sein ob der eher düsteren zweiten Hälfte, aber ich mit meinem Gothic-Background empfinde As it was so! als abwechslungsreich und gelungen. Natürlich war das Debütalbum Songs of Praise von 1981 ein Meilenstein der Punk-Geschichte, aber mittlerweile sind 36 Jahre vergangen, und die Band hat sich natürlich weiterentwickelt.
Die legendären Live-Shows sollte man sich übrigens auf keinen Fall entgegehen lassen. The Adicts sind eine der besten Live-Acts überhaupt und zelebrieren jedes Mal eine Party, wie sie niemand je toppen könnte.
Anspieltips: Picture the scene, Love sick baby
The Adicts: And it was so!
Nuclear Blast Records, 17.11.2017
CD 14,99€, LP 17,99€, erhältlich über Nuclear Blast
Homepage: http://adicts.us/
facebook.com/theadicts
nuclearblast.de
Tracklist:
01 Picture the scene
02 Fucked up world
03 Talking shit
04 If you want it
05 Gospel according to me
06 Gimme something to do
07 Love sick baby
08 And it was so
09 Deja vu
10 I owe you
11 Wanna be
12 You’ll be the death of me
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