Lieder für die Nacht

BoG owlThe Beauty of Gemina – das sind schweißtreibende Rocksongs, harte Elektro-Rock-Hymnen, beschwingte Düster-Blues-Country-Lieder, melancholische Dunkelpoesie und großartige Musiker, die man unbedingt live erleben muss. Eigentlich sind The Beauty of Gemina aus der Schweiz nicht in Worte zu fassen, man muss sich völlig offen auf ihre Version düster-schöner Musik einlassen und sämtliche Genreeinteilungen vergessen. Denn darauf arbeitet die Band selbst schon seit einigen Alben hin, und mit dem achten Streich Flying with the owl könnte es ihr endgültig gelungen sein. Selbst so eine recht allgemeine Bezeichnung wie Dark Wave ist hier zu wenig, die Band hat mittlerweile definitiv ihr eigenes Genre erschaffen: The Beauty of Gemina. Was erwartet uns jetzt also beim Flug mit der Eule? 
Nach dem ersten Hördurchlauf fällt mir als Erstes auf, wie extradüster diese Platte geworden ist. Immer wieder wird das Motiv der Nacht oder der Dunkelheit aufgegriffen, in der sich die titelgebende Eule bewegt. Doch nichts vermittelt die Ruhe und Gelassenheit, mit der dieser majestätische Vogel durch sein Revier schwebt, das Aufgehobensein und den Frieden in einer stillen Nacht. Nein, hier regieren großteils Düsternis und Melancholie, manchmal herrscht eine geradezu klaustrophobische Atmosphäre, die von gelegentlichen Ausflügen in etwas beschwingtere Country- und Americana-Gefilde aufgelockert wird. Nach dem ersten Durchlauf braucht man definitiv erst einmal eine Pause, um sich dann mit neuer Kraft in diese musikalischen und textlichen Abgründe zu stürzen, die einen aber auch nicht loslassen. Nach und nach werden die Songs transparenter, vielschichtiger und immer schöner, doch das erfordert genaues Zuhören – am besten über Kopfhörer. Dann wird man mit Perlen wie dem getragenen Eröffnungstrack „River“ belohnt, der mit seinen Americana-Einflüssen und Michael Seles im Vordergrund stehender Stimme sofort ins Ohr geht. Die Weite, das Streben in die Ferne, das ein Fluss symbolisiert, klingt hier immer wieder durch. Das folgende „Into my arms“ bewegt sich ebenfalls im zurückgenommenen Midtempobereich und gefällt mir vor allem wegen Eva Weys hinreißender Geige, die sich bis zu einem furiosen Ende steigert. Der verhallte, leicht verzerrte Gesang wird bei „Monsters“ wiederaufgenommen, das einem einen Schauder über den Rücken jagt. „The monsters are coming, I see it in your eyes“, singt Michael Sele, klagend fragt er: „How did we get this far?“ Ein sehr reduzierter Song mit klaustrophobischer, abgründiger Atmosphäre.
Zum Glück kann die Vorabsingle „Ghosts“ die Stimmung wieder ein wenig heben, vor allem die Fans der Country-Seite der Band werden hier bedient. Es wird schwungvoller und rhythmischer, die Slide-Gitarre setzt schöne Akzente, während wir uns inhaltlich wieder in der tiefsten Nacht bewegen, in der die Geister auf die Jagd gehen. Die tiefe, „namenlose“ Nacht wird auch in „In the dark“ besungen, und hier treffen wir auf die titelgebende Eule. Fast meint man, das beinahe lautlose Flügelschlagen des weisen Tieres zu hören. Die Nacht hält uns auch weiter fest in ihrem Griff, „I pray for you“ ist ein weiterer sehr reduzierter Song mit fast schon apokalyptischem Text, denn „the angels are falling tonight“. Der „Tunnel of pain“ ist trotz des Titels ein schmissiger Düstercountry-Song, der die bei den letzten Tracks vorherrschende gedrückte Stimmung ein wenig auflockert, was der Platte sehr gut tut. Auch „Again“ trägt einen auf der zwar melancholischen, aber vor allem wunderschönen Melodie ein bisschen entspannter durch das Album. Dank der leichten Americana-Einflüsse entwickelt sich der Song nach mehreren Durchläufen zu einem der Ohrwürmer der Platte. Das vergleichsweise geradezu opulente „Shades of summer“ lässt einen ein wenig träumen, bevor es mit „Suicide day“ noch einmal knüppelhart wird, also inhaltlich gesehen. Das Klavier führt uns in den Song, zusammen mit Michael Seles Stimme und leisen Streichern, und bei „It’s a suicide day, and the sun is shining“ stockt einem erst mal der Atem. Der mit Abstand beklemmendste, aber auch zarteste und stärkste Song des Albums, bevor das Instrumental „Wood song“ alles abrundet.

Flying with the owl ist keine leichte Kost, und man braucht definitiv Geduld für die Platte. Wie schon gesagt, empfehle ich das aufmerksame Hören über Kopfhörer, denn nur so lassen sich die vielen Schichten in den Songs identifizieren, die kleinen Details wahrnehmen, und Michael Sele scheint einem direkt ins Herz ins zu singen. Sound und Abmischung sind übrigens hochklassig. Ich gebe zu, ich tue mich immer noch ein wenig schwer mit manchen Songs, doch ich weiß jetzt schon, wie großartig und intensiv diese Platte live auf der Bühne klingen wird, denn die wahre Magie der Band entfaltet sich im gemeinsamen Zusammenspiel vor Publikum. Bei der anstehenden Tour sind auch die von der letztjährigen Akustiktour (hier unser Bericht) bekannten Musiker Eva Wey und Raphael M. Zweifel an Geige und Cello wieder dabei. Gänsehaut ist also garantiert und ein Konzertbesuch dringend empfohlen. Am 28.09. gastieren The Beauty of Gemina im Münchner Backstage, und da werden diese extrem zurückgenommenen, reduzierten Songs wunderbar funktionieren.

Anspieltipps: Ghosts, Again, Suicide day

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch2: (mit Tendenz zu fünf)

The Beauty of Gemina: Flying with the owl
TBOG Records, Vö.: 12.10.18
Länge: 46 Minuten
Kaufen/Vorbestellen: € 15,95 bei POPoNAUT

Tracks:
1. River
2. Into my arms
3. Monsters
4. Ghosts
5. In the dark
6. I pray for you
7. Tunnel of pain
8. Again
9. Shades of summer
10. Suicide day
11. Wood song

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1 Kommentar

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  1. […] nicht nur mit der Eule (das gleichnamige neue Album erscheint am 12.10., wir haben schon für euch reingehört ), sondern erleben generell einen phänomenalen Höhenflug. Sie haben sich in den letzten Jahren […]

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