Weite Landschaften

TBOG_COVER_MINORSUN_500Zehn Jahre Bandbestehen, sechs reguläre und einige besondere Alben, unzählige umjubelte Auftritte in ganz Europa, regelmäßiger Gast auf den ganz großen Goth-Festivals – das sind die Schweizer The Beauty of Gemina um Sänger und Bandchef Michael Sele, der ursprünglich aus Liechtenstein stammt. Musikalisch festlegen will und kann man sich nicht, und das ist das Wunderbare an TBoG – mal düster-elektronisch wie noch auf den ersten Alben, mal Americana-lastig und etwas folkig wie auf Ghost Prayers oder gleich ganz akustisch wie bei dem auf CD und DVD festgehaltenen faszinierenden Auftritt im Moods in Zürich vor zwei Jahren. Überhaupt die Live-Qualitäten der Band, ein ganz eigenes Kapitel! Vor kurzem waren TBoG in München und haben ihr neues Album Minor Sun vorgestellt, ein selten intensiver Abend, der noch lange nachwirkt. Daheim kann man sich ja zum Glück alle Alben anhören, vor allem natürlich die aktuelle Veröffentlichung, die einen wieder auf eine spannende Reise durch das Gemina-Universum führt.

Eine Schönheit ist schon mal die CD-Verpackung, Digi-Pack, ganz in Weißtönen gehalten, vor allem der weiße Pfau auf dem Booklet ist einfach bezaubernd. In Zeiten von Streaming und Downloads freut es mich immer wieder, wenn die klassischen Tonträger nicht vernachlässigt werden. Doch jetzt zur Musik: Kraftvoll und eindringlich tönen die ersten Riffs von „End“ aus den Lautsprechern, man ist sofort drin in dem Song. „Will that be enough that’s what I wonder?“ fragt Michael Sele, „when I’m dying“. Tiefgründige Worte zu einem hypnotischen Rhythmus – „End“ ist der perfekte Einstieg in das Album. Ein wenig zurückhaltender geht es mit „Waiting in the Forest“ weiter, hier regieren klare Gitarrenläufe und düstere Melancholie – schön! Ich muss wegen des kürzlich erlebten Cure-Konzertes an „A Forest“ denken, aber das ist ja nicht die schlechteste Assoziation. „Bitter sweet Good-bye“ behält die gepflegte Düsternis bei, noch verstärkt durch den leicht verhallten Gesang Michael Seles. „It’s time to say good-bye“ – manchmal lässt es sich leider nicht vermeiden. „Endless Time to see“ konzentriert sich dagegen wieder auf die helleren Momente des Lebens, „keep hope inside“ heißt es im Refrain, und ja, ohne Hoffnung geht es nicht. „Close to the Fire“ zieht das Tempo wieder ein wenig an, die inhaltliche Aufbruchsstimmung spiegelt sich in der Musik wider. Mit „Crossroads“, dem Saylor-White-Cover, könnte ich mein persönliches Highlight auf Minor Sun gefunden haben – ich mag The Beauty of Gemina einfach furchtbar gern, wenn sie in Richtung Americana gehen. Eine sehr schöne Umsetzung des Songs, der perfekt zur Band passt.
„Down on the Lane“ wartet mit tollen Cello-Akzenten auf, ein Song zum Davontragenlassen, ebenso wie das etwas flottere „A thousand Lakes“. „Wonders“ zieht einen von den ersten zarten Tönen an in seinen Bann, eine weite Landschaft zieht vor dem inneren Auge auf, in der sich Umrisse von Menschen und Bäumen verlieren. Dieser Song ist intensiv und wunderschön!
„Another Death“ erinnert mich mit seinem langen Gitarrenintro und der generellen Reduziertheit diesmal tatsächlich an The Cure, auch die ganze Atmosphäre atmet diese ganz besondere Hoffnungslosigkeit, die nur wenige schwarze Bands erzeugen können. Keine leichte Kost, aber ein toller Track. „Wednesday Radio“ bringt danach ein wenig wohltuenden Schwung zurück. „I’m taking the guitar in this shining silver and I’m playing her real loud“ – genau das passiert hier, und das ist gut so. „Winter Song“ und „Silent Land“ beschließen Minor Sun mit düster-sphärischen Tönen, eine hervorragende Abrundung der Platte.

Wer sich schon ein wenig länger mit The Beauty of Gemina beschäftigt, wird hier viele ihrer Facetten wiederfinden – die Akustikgitarre bei „Crossroads“, das rockige Element bei „End“ oder „Wednesday Radio“, die alles durchziehende Melancholie. Der eine wird vielleicht ein bisschen die synth-rockige Ausrichtung von „Lonesome Death of a Goth DJ“ vermissen, der andere würde gern ein bisschen mehr die akustisch-folkige Seite weiterverfolgen, doch insgesamt ist Minor Sun ein sehr rundes, sehr reifes und durchdachtes Album geworden. Die musikalische Intensität ist immer perfekt dem Inhalt der Lyrics angepasst, Michael Seles Stimme trägt sowieso alles, und die Rhythmusfraktion aus Mac Vincens und Andi Zuber zimmert einen felsenfesten und doch oft federleichten Untergrund. Absolute Empfehlung!

Anspieltipps: End, Crossroads, Wonders

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The Beauty of Gemina – Minor Sun
TBOG Music, 02.09.16
Länge: 1 Stunde, 6 Minuten
Kaufen: € 15,95 z.B. bei Poponaut

Tracklist:
1. End
2. Waiting in the Forest
3. Bitter sweet Good-Bye
4. Endless Time to see
5. Close to the Fire
6. Crossroads
7. Down on the Lane
8. A thousand Lakes
9. Wonders
10. Another Death
11. Wednesday Radio
12. Winter Song
13. Silent Land

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