Kein billiges Sonderangebot

Hate-for-slae-PretendersThe Pretenders um Gitarristin und Sängerin Chrissie Hynde sind mit 1978 als Gründungsjahr eine der dienstältesten Überlebenden der britischen Punk-Invasion, auch wenn Chrissie aus Ohio stammt. Das strenge Punk-Korsett wurde schnell gesprengt, seitdem kultivieren sie ihren ureigenen alternativen Rock-Sound. Titel wie „Don’t get me wrong“ und „Back on the chain gang“ sollten allen ein Begriff sein, und auch wenn der große Durchbruch nie gelungen ist, besitzen sie im Kreise der Eingeweihten Kultstatus. Schlagzeuger Martin Chambers ist das einzige weitere verbliebene Gründungsmitglied, Girarrist James Walbourne, Bassist Nick Wilkinson und Keyboarder Carwyn Ellis vervollständigen das aktuelle Line-Up. Vor dem Vorgängeralbum Alone von 2016 hatten sich The Pretenders acht Jahre Zeit gelassen, dieses Mal mußten die Fans zum Glück nicht so lange warten, trotz der letztjährigen UK-Tour im Vorprogramm von Fleetwood Mac, die unter anderem auch ins legendäre Wembley-Stadion führte. Allerdings musste die Veröffentlichung vom elften offiziellen Studioalbum Hate for sale coronabedingt verschoben werden. Doch nun ist es endlich soweit.

Der Titeltrack startet, doch irgendwas scheint nicht zu passen. Der Sound stirbt ab, drei Sekunden Pause, und nun geht es wirklich los mit „Hate for sale“. Und so klingt es auch, wütend und rockig, es reißt mich sofort mit. Laut Aussage von Chrissie stellt es auch eine Hommage an die Ur-Punker The Damned dar, die sie „als musikalischste in ihrem Genre“ betrachtet. Wir wissen ja, dass Chrissie singen kann, und doch werde ich bei der Ballade „The buzz“ überascht. Nicht nur wegen dem Rockabilly-Sound, der so überraschend wiederum gar nicht ist, wenn man bedenkt, dass Gitarrist James Walbourne neben vielen anderen auch schon mit Jerry Lee Lewis aufgenommen hat, sondern gerade auch von der unglaublich zerbrechlichen und gefühlvollen Stimme. So schlicht im Grunde genommen, und doch so wunderschön. Im folgenden „Lightning man“ übernimmt der Bass die Führung, und entsprechend düster fällt das Lied aus. Die atmosphärischen Gitarrenklänge unterstreichen die Stimmung zusätzlich, sodass der Song mystisch und geheimnisvoll klingt. Anschließend darf in „Turf account daddy“ wieder gerockt werden, hier wird mit einigen coolen Riffs aufgewartet. Der vorherrschende Sprechgesang von Chrissie sorgt für zusätzliche Abwechslung.
Mit den ersten drei Tönen von „You can’t hurt a fool“ erwarte ich schon eine Coverversion vom ironischen „Boys don’t cry“ von The Cure, doch weit gefehlt. Es entwickelt sich eine weitere tolle Ballade, die mich von der Art her an „Stand by your man“ erinnert, das manche vielleicht auch von Heike Makatsch kennen, im Original von Tammy Wynette. Im Anschluss wird mit „I didn’t know when to stop“ wieder gerockt, das ich mir auch sehr gut als Untermalung in einem staubigen Road Movie vorstellen könnte, oder für eigene lange nächtliche Autobahnfahrten. Im Zusammenspiel von Bass, Gitarre und Gesang bei „Maybe heart is in N.Y.C.“ sind die Instrumente für mich die heimlichen Stars, weil sie hier besonders leichtfüßig klingen. Der „Junkie walk“ hingegen klingt genauso kaputt, wie man sich einen solchen vorstellen würde. Chrissie schleppt sich stimmlich voran, in abgehackten Sätzen, auch die Band ist hier schwerfällig unterwegs. Ein Ausflug in schräge Gefilde unterstreicht die Drogenerfahrung. „Didn’t want to be that lonely“ hingegen ist schön rhythmisch geraten, was nicht nur an der zusätzlich eingesetzten Percussion liegt. Auch Bass und Gitarre werden hier als Rhythmusinstrumente eingesetzt. Zum Abschluss singt Chrissie mit „Crying in public“ noch einmal eine gefühlvolle Ballade, wobei sie am Klavier und durch Streicherarrangements unterstützt wird. Wenn man sich von ihrer Stimme davontragen lässt, kann man tatsächlich auch ein Tränchen verdrücken.

Fazit: Hate for sale ist ein abwechslungsreich ausgefallenes Album, das mit tollen Songs aufwartet. Im Vergleich zum Vorgänger Alone, der sicherlich zu Recht auch gefeiert wurde, mich persönlich jedoch nicht ganz so abgeholt hat, empfinde ich die Songs als knackiger und mehr auf den Punkt. Hate for sale ist kein billiges Sonderangebot, hier können nicht nur langjährige Fans der The Pretenders bedenkenlos zugreifen.

Anspieltips: Hate for sale, The buzz

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

The Pretenders: Hate for sale
BMG, Vö. 17.07.2020
CD 12,00 €, LP 23,00 € erhältlich direkt über den Pretenders-Store

Homepage: https://thepretenders.com
https://www.facebook.com/pretenders

Tracklist:
01 Hate for sale
02 The buzz
03 Lightning man
04 Turf account daddy
05 You can’t hurt a fool
06 I didn’t know when to stop
07 Maybe heart is in N.Y.C.
08 Junkie walk
09 Didn’t want to be that lonely
10 Crying in public

(3000)