I want your sax

Totenwald_coverEin Prosastück von Ernst Wiechert aus dem Jahr 1939 trägt den Namen Der Totenwald. Der Protagonist ist darin Gefangener des thüringischen Konzentrationslagers Buchenwald, worauf sich der Titel bezieht. Wiechert war selbst für zwei Monate dort Gefangener. Totenwald ist nun der Name einer 2014 gegründeten Berliner Dark Punk Band. Nach einer ersten EP Wrong time, wrong place von 2016 ist nun mit Dirty Squats & Disco Lights der erste Longplayer erschienen. Neben Sängerin Trish ist Gitarrist Janis dabei, der auch das Programming übernimmt, Sergej am Bass bedient auch die Drummachine, und Saxophonistin Ruby macht das Quartett komplett.

Die Musik klingt bei „Falling stars“ schon stark nach Joy Division, aber durch den Gesang von Trish bewahren Totenwald ihre Eigenständigkeit, weil sie so eine ganz andere Atmosphäre erzeugen. Auch das folgende „Terror age“ startet direkt mit herrlich schrägem Batcave-Gesang, der genau die richtige nervige Note hat, die einfach dazugehört. Als auch das Saxophon von Ruby einsetzt, ist der Song perfekt, weil sich alles optimal ergänzt. „Stereotypes“ hingegen ist am frühen Punk orientiert, hat aber auch Momente von Killing Joke. Auf „Shadows in paradise“ stehen X-mal Deutschland vor allem gesanglich Pate, und das Saxophon sorgt für No-Wave-Einflüsse. Wer bei „Love warning“ die Füße stillhalten kann, dem ist wahrlich nicht zu helfen, der Rhythmus geht einfach in die Beine. Der ruhige Beginn von „Life sentence train“ sorgt zunächst für einen kleinen Break, der an dieser Stelle willkommen ist, um einmal kurz durchzuatmen. Die Phrase „station to station“ scheint mir eine kleine Hommage an David Bowie zu sein. Der Song selbst trägt Züge von Death Rock. Der Gesang beim Intro zu „Lifestyle“ erinnert mich stark an Jello Biafra von den Dead Kennedys, beispielsweise bei „Kill the poor“, ansonsten ist hier bei diesem Batcave-Song, vom Gesang einmal abgesehen, das coole Bassspiel besonders prägnant. Der Bass ist auch bei „The sign“ toll, dem hier aber vom Saxophon die Show gestohlen wird. Der Gesang auf „War machine“ sorgt für eine unterkühlte Atmosphäre, Batcave trifft hier auf Joy Division. „Alone (cosmic loneliness)“ war auch schon auf der EP Wrong time, wrong place enthalten, wurde aber nun mit Saxophon neu aufgenommen. Das hat nicht nur dem Song gut getan, auch Gitarre und Schlagzeug kommen nun besser zur Geltung als in der alten Version. Bei „Radio free Europe“ dachte ich schon, das wäre ein R.E.M.-Cover, das wäre interessant geworden. Dies ist aber ein Totenwald-Song, das ist jederzeit unmissverständlich herauszuhören.

Fazit: Death Rock, Punk, Gothic, Wave – zwischen Killing Joke und Siouxsie and the Banshees vereinen Totenwald die besten Einflüsse der späten siebziger und frühen achtziger Jahre zu ihrer eigenen Musik. Dabei bin ich eigentlich kein Freund von Blechblasinstrumenten. Aber Ausnahmen bestätigen die Regel, und Dirty Squats & Disco Lights ist so eine Ausnahme. Zum einen ist das Album sehr facettenreich und macht einfach Spaß, zum anderen ist das Saxophon tatsächlich das Sahnehäubchen, das Totenwald wohltuend von vielen anderen Bands abhebt und für Eigenständigkeit sorgt. Außerdem fangen die Songs die tolle Liveatmosphäre sehr gut ein. In diesem Sinne: I want your sax!

Anspieltips: Stereotypes, Shadows in paradise, Love warning, Lifestyle

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Totenwald: Dirty Squats & Disco Lights
Plastic Bomb Records, 19.01.2018
CD 13,99 €, LP 12,99 € erhältlich über Plastic Bomb
MP3 Download ab 0,00 € erhältlich über Bandcamp  (bitte die Band angemessen unterstützen)
Homepage: de-de.facebook.com/totenwaldberlin/
plastic-bomb.eu/

Tracklist:
01 Falling stars
02 Terror age
03 Stereotypes
04 Shadows in paradise
05 Love warning
06 Life sentence train
07 Lifestyle
08 The sign
09 War machine
10 Alone (cosmic loneliness)
11 Radio free Europe

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