Gewagt und gewonnen

satyricon_live-at-the-operaBlack Metal und Oper – geht das? Aber natürlich, vor allem in Norwegen, dem Land, in dem Black-Metal-Bands ganz selbstverständlich im abendlichen Fernsehprogramm auftreten können, ohne gleich wie in Deutschland in die Unheilig-Falle zu tappen und danach ihre Glaubwürdigkeit an den Nagel hängen zu müssen. Kaum ein Land ist zudem musikalisch experimentierfreudiger und den verschiedensten Kollaborationen aufgeschlossener. Satyricon gehören seit über zwanzig Jahren zur Speerspitze des norwegischen Black Metals und haben sich schon früh in ihrer Karriere durch das Austesten der Genregrenzen ausgezeichnet. Rockige und groovige Elemente zogen in ihren Sound ein, auch das Äußere speziell von Frontmann Satyr veränderte sich zusehends (wir erinnern uns an die halb-liebevolle Bezeichnung „Gucci-Metal“), was aber der musikalischen Durchschlagskraft nie Abbruch getan hat. Wer hat nicht schon freudig die Rübe zu „Black Crow on a Tombstone“ oder „Now, Diabolical“ geschüttelt? Eben.

Auf ihrer letzten regulären Veröffentlichung Satyricon fand sich zudem der für eine Black-Metal-Band höchst ungewöhnliche Track „Phoenix“ mit dem göttlichen Sivert Høyem von den leider nicht mehr existenten Madrugada am Mikro – ein Song, den man so nicht von Satyricon erwartet hätte, und der zuerst auch einige Fans verschreckt hat. Für mich persönlich war es mein Lied des Jahres 2013, und ich war extrem gespannt, in welche Richtung die Band sich weiterentwickelt. Nur folgerichtig erscheint mir die Doppel-CD/DVD mit der Aufzeichnung eines Konzerts der Norweger in Oslo in der Nationaloper zusammen mit dem Opernchor. Der legendäre Abend fand am 8.9.2013 statt, der dazugehörige Ton- und Bildträger wird jetzt am 1. Mai 2015 erscheinen. Bei dem nicht minder erinnerungswürdigen Auftritt Satyricons in München am 15.04.2015 hat Satyr ja schon erzählt, wie wichtig ihm diese Veröffentlichung ist – will heißen, diese Band will definitiv mehr, als ihr Leben lang nur dieselben Songs auf verschiedenen Alben runterzocken. Ist das Experiment gelungen?

Schon mal vorweg: Ja, ist es. Trotz des edlen Ambientes und der klassisch geschulten gesanglichen Unterstützung im Hintergrund verliert die Musik von Satyricon an keiner Stelle an Wucht, im Gegenteil, die Passagen, in denen der Chor deutlich zu hören ist, sind um einiges eindringlicher und knackiger. Die Arrangements sind geschickt angelegt, sodass wir hier immer noch einem astreinen Satyricon-Auftritt zuhören und zusehen und keinem klassischen Konzert. Ein ganzes Orchester wäre hier auch zu viel gewesen und hätte den Black’n’Roll Satyricons erdrückt.
Die Band spielt ein fantastisches Best-of ihrer Karriere (und geht immerhin mit „Mother North“ bis 1996 zum Album Nemesis Divina zurück, wobei das ja sowieso nicht fehlen darf) und einem verständlichen Schwerpunkt auf dem aktuellen Album Satyricon. Bereits beim zweiten Song „Now, Diabolical“ reißt es die Fans im Parkett von ihren Stühlen – zumal eine Pommesgabel im Sitzen einfach auch ein wenig albern aussieht.
Satyr führt zuerst auf Englisch für die aus aller Herren Länder angereisten Fans und später auf Norwegisch durch den Abend, anfangs noch leicht nervös, später immer entspannter.
satyr16_kleinDer visuelle Kontrast zwischen dem in formeller Abendkleidung auftretenden Chor, der wie immer aussehenden Band, dem ebenfalls normal gekleideten Publikum und dem gesamten Opernambiente ist auf den ersten Blick recht groß, aber durch geschickte – nicht zu helle – Beleuchtung und eine gute Schnitttechnik sieht und hört man hier zu jedem Zeitpunkt einem Metalkonzert zu. Frost scheint hinter seinem überdimensionalen Drumkit wie immer beinahe zu kollabieren, die bestens eingespielten langjährigen Begleitmusiker bangen sich die Haarwurzeln wund, und Satyr ist wie üblich der absolute Mittelpunkt des Geschehens. Er versäumt es aber nicht, dem Chor und seinen großartigen Leistungen immer wieder zu danken, ebenso wie den zum Teil von weither gereisten Fans.

Die musikalische Kombination aus Metal und Chor funktioniert meistens richtig gut, manchmal sogar phänomenal, vor allem bei „Now, Diabolical“, „Die by my Hand“, „Tro og Kraft“, „The Infinity of Time and Space“, „The Pentagram burns“ und – natürlich – „Mother North“. Im furiosen Finale von „K.I.N.G.“ kann der Chor auch diverse Akzente setzen, doch ist der Song für sich eigentlich schon perfekt – alles Weitere ist im Grunde zu viel. Aber das ist Nörgeln auf hohem Niveau – insgesamt gelingt das Experiment „Satyricon goes Opera“ ganz hervorragend und ist ein echter Genuss.

Neben der Band lohnt es sich aber auch, den Chor immer mal wieder genauer zu beobachten. Manche Sänger und Sängerinnen wirken professionell-distanziert, vielleicht sogar ein wenig skeptisch, andere gehen voll mit bei der Musik und strahlen geradezu. Über den frenetischen Schlussapplaus freuen sich dann aber doch alle.

Fazit: Natürlich ist so ein Projekt immer nur was für die beinharten Fans – wer mit Satyricon bisher nichts anfangen konnte, wird auch jetzt nicht plötzlich alle Alben der Band kaufen wollen. Aber das ambitionierte Vorhaben von Satyr und Frost ist meiner Meinung nach definitiv geglückt, einige Songs gewinnen enorm durch die musikalische Erweiterung, andere klingen normal mitreißend.

Dringende Kaufempfehlung für die Fans – und alle anderen Interessierten dürfen gern Auge und Ohr riskieren.

Anspieltipp: Phoenix mit Sivert Høyem

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Satyricon – Live at the Opera
Napalm Records
01.05.2015
Preis: Amazon € 21,99

Tracklist CDs:
Disk: 1
1. Voice of Shadows
2. Now, Diabolical
3. Repined Bastard Nation
4. Our Wold, it rumbles tonight
5. Nocturnal Flare
6. Die by my Hand
7. Tro Og Kraft
8. Phoenix
Disk: 2
1. Den Siste
2. The Infinity of Time and Space
3. To the Mountains
4. The Pentagram burns
5. Mother North
6. K.I.N.G

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