Feldforschung hoch fünf

Covenant FieldworksEtwas über zwei Jahre her ist das letzte große musikalische Lebenszeichen des schwedisch-deutschen Soundkollektivs Covenant. The blinding dark war ernst, tiefgründig, melancholisch, experimentell, teilweise von berückender Schönheit, aber auch inhaltlicher Deutlichkeit und Schwere. Keine leichte Kost, aber mit großem Potenzial, sich in die Gedanken- und Gefühlswelt der Covenant-Mitglieder einzuarbeiten. Nun gibt es neuen Stoff für die süchtigen Fans, in Form der Fieldworks: Exkursion EP, die zuerst einmal nur auf den Konzerten der gerade laufenden Deutschland-Tour verkauft wird, später – sollten noch Exemplare übrig sein – auch über die Plattenfirma Dependent. Ein doppelter Anreiz also, auf eines der Konzerte zu gehen – zumal die Band auf dieser Tour auch selten gespielte Songs in ihre Setlisten einbaut. Ich war in Berlin und Hamburg schon dabei und konnte gleich ein Exemplar von Fieldworks ergattern. Ein paar Lieder gab es live schon zu hören (und das war sensationell!), jetzt bin ich auf den Gesamteindruck gespannt.

Fieldworks umfasst fünf Songs, von jedem Bandmitglied einer. Dieses Konzept hat auf The blinding dark bereits seinen Anfang genommen und wird jetzt hier perfektioniert. Grundlage der Tracks sind sogenannte „Field recordings“ – also Aufnahmen von Sounds und Geräuschen jeglicher Art. Unter anderem waren Eskil und Joakim in der schwedischen Zuckerraffinerie in Örtofta, um dort alle Arten von Geräuschen aufzuspüren (das Zero-Magazine hat ein englischsprachiges Interview dazu veröffentlicht). Covenant haben in den letzten Jahren auf ihren Reisen durch sechs Kontinente Tonnen an Soundeindrücken gesammelt und verarbeiten diese nun nach und nach. Geräusche bilden die Welt ab, eine Welt, die sich ständig verändert, vieles Alte vergisst, in der aber andererseits auch vieles sehr lange überdauert. Der Wandel das Daseins, der Umgebung, die Gefühle, die all das auslöst – das wird von Covenant in Ton umgesetzt. Mal rhythmisch-tanzbar, mal introvertiert, mal brutal. Fünf verschiedene Musiker, fünf verschiedene Persönlichkeiten und Sichtweisen, und alles ergibt eins.
Den Beginn macht der Track „Pantheon“ von Joakim Montelius, der auf einer Tonaufnahme aus dem Jahr 2014 aufbaut, wie Joakim auf der Facebook-Seite der Band erzählt. Damals war er im Pantheon, dem markanten runden Gebäude in Rom, das einst ein antiker Tempel war und schließlich zur Kirche umgeweiht wurde. Ein geschichtsträchtiger Ort, der bei jedem Besucher etwas auslöst. Joakim erzählt von Melancholie und Trauer um den Verlust der alten Götter. Dazu passt die Aufnahme der Durchsage, dass das Pantheon gleich für den Tag schließt. Die alten Götter wurden verdrängt, die Besucher müssen nach draußen gehen. Der Track transportiert mit getragenen Tönen und leise im Hintergrund rezitiertem Text die Leere und Weite des runden Kuppelbaus, die Melancholie über den Verlust, die Last der Geschichte und die Schönheit, die dennoch in allem liegt und sich um das Herz krampft. Sakral könnte man die Stimmung noch nennen – wenn das nicht ein Begriff aus der Kirchenwelt wäre.
„All that is solid melts into air“ ist ein fiebriger, noisig angelegter Song, in den Eskils ebenso fiebriger Gesang eingebettet ist. Der Songtitel ist gleichzeitig der Titel eines akademischen Texts von Marshall Berman aus den Siebzigerjahren, in dem er sich mit sozialer und ökonomischer Modernisierung und dem gegensätzlichen Verhältnis zur Moderne auseinandersetzt. Berman wiederum hat sich damit bei Karl Marx und Friedrich Engels bedient, die den Satz im ersten Abschnitt ihres Kommunistischen Manifests prägten und damit die Umsturzbewegungen des Proletariats gegenüber der Bourgeoisie bezeichneten. Eskil Simonsson hat ein verstörend schönes Kunstwerk mit eindringlichem Sprechgesang und einem immer dichter werdenden Klangteppich erschaffen, der einen in seine Vielschichtigkeit und Intensität hineinsaugt, bis man atemlos am Ende des Liedes wieder auftaucht.
Ähnlich intensiv, aber ein gutes Stück härter und fordernder hämmert „False gods“ aus den Boxen, Daniel Myers Beitrag und eine Kollaboration mit der Französin Marie Lando aka Grabyourface (Unsere Band der Woche!), der allein schon aufgrund seines Titels selbsterklärend ist. Live übernimmt Daniel Myer einen Großteil der Vocalparts von Grabyourface, auf Konserve kann man ihren Sprechgesang im rhythmisch-noisigen Gewand noch mal ganz anders genießen. Ungewöhnlich und richtig, richtig gut!
Daniel Jonasson hat sich mit „Popol Vuh“ mit dem gleichnamigen heiligen Buch der Quiché-Maya in Guatemala auseinandergesetzt (wie vor einigen Jahrzehnten schon die gleichnamige deutschen Krautrock-Formation). Zu dezenten tribalartigen Klängen rezitiert Eskil Zeilen aus einer englischen Übersetzung dieses „Buch des Rates“, das die Mythologie der Maya erzählt, die Erschaffung der Welt, der Menschen durch die Götter, die Entstehung von Sprachen, Kulten und Ritualen. Mit ein bisschen Einbildungskraft kann man auch die Affen aus dem Song heraushören, in die die Götter die ersten (noch unfertigen) Menschen verwandelt haben. Ein ruhiger, zurückgenommener Track, der einen ganz weit zurück in die Geschichte der Menschheit mitnimmt.
Andreas Catjars Beitrag „Das Nibelungenlied (1. Abenteuer)“ passt zu seiner Tätigkeit im letzten Jahr am Staatstheater Mainz, wo er in der Nibelungen-Inszenierung (die Friedrich-Hebbel-Version) von Jan-Christoph Gockel für die Musik verantwortlich war. Zurückgenommene, dräuende Klänge untermalen Eskils Rezitation eines großen Teils der ersten Aventüre des Nibelungenliedes, „Wie Kriemhilden weinte“, in der Übersetzung von Felix Genzmer. Je näher Eskil dem Ende der ersten Aventüre kommt, desto hypnotischer wird der Sound, das Klanggewebe immer dichter, man ist schier gefangen – bis man am Ende freigegeben wird.

Fieldworks: Exkursion EP ist ein hochspannendes Stück Musik, auf dem die unterschiedlichsten Geschichten auf unterschiedliche Weise in Ton, Geräusch, Gesang – kurz gesagt: allerfeinste Klangkunst – umgesetzt werden. Keine klassischen Covenant-Dancefloor-Hymnen, sondern wieder mal eine Erweiterung des Horizonts, ein unbedingtes Vermeiden von Stillstand. Die Neugier lebt, der Hunger nach ständig neuen Eindrücken, Gedanken und Gefühlen. Es ist schön, die Band ein kleines Stück auf dieser Reise begleiten zu dürfen. Wer sich darauf einlässt, wird mit fünf rundum grandiosen Stücken belohnt. Die Live-Umsetzungen sind noch magischer – geht zu den Konzerten! Kauft die EP! Diese Tour und dieser Tonträger sind etwas Besonderes und eigentlich kaum in Worte zu fassen. Ich bin wirklich hin und weg.

Anspieltipp: alles.

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Covenant: Fieldworks: Exkursion EP
Dependent Records, 7.2.19 (Tourstart in Berlin)
Länge: 25 Minuten
Kaufen: für 10 Euro auf den Konzerten, danach eventuell über Dependent

Tracks:
1. Pantheon
2. All that is solid melts into air
3. False gods feat. Grabyourface
4. Popol Vuh
5. Das Nibelungenlied (1. Abenteuer)

Tourdaten:
07.02.2019 Berlin – Columbia Theater
08.02.2019 Hannover – Musikzentrum
09.02.2019 Hamburg – Markthalle
14.02.2019 Nürnberg – Hirsch
15.02.2019 München – Backstage Werk
16.02.2019 Stuttgart – Club Cann
22.02.2019 Frankfurt – Das Bett
23.02.2019 Krefeld – Kulturfabrik
01.03.2019 Jena – F-Haus
02.03.2019 Leipzig – Anker

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1 Kommentar

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  1. […] es (noch) nur auf den Konzerten zu kaufen gibt – die wir aber schon für euch rezensiert haben (hier entlang). Wer sich näher mit Covenant beschäftigt, weiß, wie experimentierfreudig und neugierig die Band […]

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