Ein streitbarer Mann und seine Geschichten

 

„Steter Tropfen höhlt den Stein“, das ist ein altes Sprichwort, aber solche Tropfen waren es auch, die mich dazu gebracht haben, mir zwei Kurzgeschichten im E-Book-Format von Harlan Ellison zuzulegen. Unsere Webzine-Gründerin Nekrist ist von dem Autor begeistert, mittlerweile weiß ich warum.

 

Jeffty ist fünf

ellison_hjeffty_ist_fuenf_149922Nachdem ich mir erst einmal einen Eindruck von seinen Schreiberqualitäten machen wollte, habe ich mir die Kurzgeschichte Jeffty ist fünf gekauft. Hier beschreibt Donald Horton seine Freundschaft mit Jeff Kinzer, Jeffty genannt. Donald macht die normale Entwicklung eines Jungen zum Erwachsenen durch, Jeffty dagegen ist mit 20 Jahren noch im Alter von fünf Jahren gefangen. Er ist ein aufgeweckter Junge, aber vor allem wegen seiner Interessen und Größe im ersten Lebensjahrzehnt verhaftet. Die beiden Freunde verbringen immer noch viel Zeit zusammen, gehen miteinander ins Kino oder verbleiben im Hause der Familie Kinzer, welches aber eine gewisse depressive Grundstimmung verbreitet. Jeffty liebt es Radio zu hören, aber dabei bemerkt Donald einen gravierenden Unterschied zum aktuellen Programm: Sein Kamerad hört Sendungen, die sich aus der Vergangenheit speisen aber einen Bezug zum Heute aufweisen. Eines dieser Hörfunkangebote ist zum Beispiel „Captain Midnight“, ein Programm, das 1950 eingestellt wurde. In diesem verschobenen Raum-Zeit-Universum gelingt es Donald und Jeffty in ihren wöchentlichen Kinobesuchen auch alte Filme zu sehen, im Gegensatz zum restlichen Publikum, das die wöchentlichen cineastischen Highlights sieht. Diese parallelen Welten werden durch einen tragischen Vorfall nach einiger Zeit aufgehoben.

Harlan Ellison hat eine bemerkenswerte Beobachtungsgabe, die er auch gut in Worte zu fassen vermag. Er siedelt die auslaufende Geschichte in den 1970er Jahren an und stellt interessant die Unterschiede von gestern und heute dar. Mit der Beschreibung von Verhältnissen und Umständen im Hause Kinzer beweist er auch gutes psychologisches Einfühlungsvermögen, und die philosophischen Ansätze in der tragischen Wendung der Geschichte zeigen, dass uns Zeit und finanzieller Erfolg oft im Weg stehen.

Harlan Ellison: Jeffty ist fünf (E-Book)
Heyne Verlag, August 2014
1,99 €
diezukunft
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„Bereue, Harlekin!“, sagte der Ticktackmann

ellison-hharlekinDer Harlekin bringt den zeitlich genau getakteten Ablauf in der Welt des 24. Jahrhunderts so dermaßen durcheinander (unter anderem durch Geleebonbons), dass die Obrigkeit ihn abschalten möchte. Die Exekution bewerkstelligt der Ticktackmann, der seine eigenen Techniken entwickelt hat, um der Missetäter habhaft zu werden. Die Lebens-Stechkarte und Kardiokarte des Harlekins liegen bereits auf seinem Schreibtisch.

Harlan Ellison erzählt diese Zukunftsgeschichte sehr kurzweilig. Aber beim Lesen dieser 17 Seiten drängte sich mir manchmal der Bezug zur Gegenwart auf: die Hetze von A nach B, der ewig präsente Terminkalender usw. Die Leichtigkeit des Harlekins wird dem eigenen und vorgegebenen Termindruck der Menschen gegenüber gestellt, hier prallen Welten aufeinander. Interessant fand ich auch den Verweis auf den Roman 1984, den der Schriftsteller selbst herstellt. Für ihn ist die Harlekin-Geschichte eine Verbeugung vor George Orwell.

Harlan Ellison: „Bereue, Harlekin!“, sagte der Ticktackmann (E-Book)
Heyne Verlag, August 2014
0,00 €
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Dieses Jahr ist die Gesamtausgabe von Harlan Ellisons Geschichten in dem Band Ich muss schreien und habe keinen Mund erschienen. Ich bin mir sicher, dass er darin den oben beschriebenen Schreibstil weiterführt. Die Erzählungen sind interessant ausformuliert, das futuristische Element ist nicht immer vordergründig und weist viele Gegenwartsbezüge auf. Es gibt sicher immer einen guten Grund, seine Bücher in die Hand zu nehmen. Neil Gaiman und Dan Simmons finden positive Worte zu diesem Text, und das mag schon auch etwas bedeuten.

Gesamturteil: :buch:  :buch:  :buch:  :buch:  :buch:

Harlan Ellison, geboren 1934 in Cleveland, Ohio, kam in den 1950er Jahren nach New York, nachdem er von zu Hause ausgerissen war und sich mit kuriosen Jobs – etwa als Holzfäller, Fischer, Kaufhausdetektiv und Mitglied einer Kirmestruppe – über Wasser gehalten hatte. Er veröffentlichte ab 1955 Kurzgeschichten in den Pulp-Magazinen, später auch Romane, Comics und Film- und Musikkritiken. In den frühen 60er Jahren zog er nach Los Angeles und schrieb Drehbücher für Hollywoodfilme und TV-Serien, darunter „Star Trek“ und „Twilight Zone“. Als Herausgeber setzte er sich immer wieder für (noch) unbekannte Autoren wie etwa Dan Simmons ein und warb beständig für seiner Meinung nach unterschätzte und in Vergessenheit geratene Schriftsteller wie A. E. van Vogt oder Fritz Leiber. Für seine Stories wurde er unter anderem achteinhalb Mal mit dem Hugo Gernsback Award und vier Mal mit dem Nebula Award ausgezeichnet. Er lebt mit seiner Frau Susan in Los Angeles. (Quelle: Heyne Verlag)

Christian Endres hat einen sehr guten Rückblick zur Person und zum Schaffen von Harlan Ellison für die Redaktion diezukunft.de geschrieben und mir bei der Auswahl der Überschrift geholfen, vielen Dank dafür!

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