Fettes Ding!
Es geschah im Jahre des Herrn 2014, als ein paar Jungs im finnischen Heinola scheinbar den Verlust eines wichtigen heiligen Buches bemerkten. Klar, dann kann man sich auch gleich der satanischen Musik hingeben und eine Band gründen, die folgerichtig Where’s My Bible? heißen soll. Nach der ersten EP The Beginning 2016 folgt 2018 das Debütalbum M’N’R (Mosh ‚N‘ Roll). Die Pandemiezeit hat die Band genutzt, um ihren Stil weiter zu verfeinern und präsentiert nun die neue konzeptuelle EP Circle, zu der es auch vier im Zusammenhang stehende Videos gibt.
Neben den beiden Gitarristen Toni Hinkkala und Pasi Löfgrén spielt Bassist Jarno Laakkonen, an den Drums sitzt Teppo Ristola, und Jussi Matilainen übernimmt auch ohne Bibel das Predigen.
Nach kurzem Intro geht „Chapter I: Escape“ direkt mit fetten Riffs in die Vollen und präsentiert in kürzester Zeit drei verschiedene Gesangsstile: Growls aus dem Death Metal, Krächzen aus dem Black Metal und Klargesang. Das mag ungewöhnlich erscheinen, funktioniert für mich allerdings bestens. Auch die Musik dazu ist abwechslungsreich, denn ruhigere postmetallische Passagen durchziehen das Geknüppel, und der Klargesang ist zum Teil von Blast Beats der Drums begleitet. Zu Beginn von „Chapter II: Void“ scheint eine Spur Ministry mitzuschwingen, die beim melodiösen Klargesangspart jedoch von Linkin Park abgelöst wird. Den Refrain hätte auch Chester Bennington so singen können. Doch der nächste Lärmausbruch ist stets nicht weit, was eine gewisse Nähe zum Metalcore aufweist.
„Chapter III: Nest“ beginnt mit einem Drumgewitter, das in schwere Riffs übergeht. Black und Death Metal geben sich gesanglich die Klinke in die Hand, und plötzlich fallen mir Keyboard-Klänge auf, die ich vorher nicht wahrgenommen habe. Der Song endet überraschend in Kehlgesang und bietet so etwas Heilung. Zum Abschluss animiert „Chapter IV: Origin“ direkt zum Nackenmuskeltraining, doch durch die vertrackten Rhythmuswechsel ist das nur etwas für Fortgeschrittene. Heftiger Growl-Gesang und Post-Metal-Stimmungen halten sich die Waage, und dann hat sich der Kreis geschlossen.
Fazit: „Könnt ihr euch mal entscheiden?“, mag manche*r Where’s My Bible? vielleicht zurufen wollen, aber bitte nicht. Denn diese Mischung, diese Stilwechsel und -brüche sind es, die die EP Circle für mich ausmachen. Wie die Elemente aus Black und Death, Nu und Post Metal und Metalcore miteinander verwoben und vermischt werden, genau das sorgt für einen eigenen Stil, der sich wohltuend aus der Masse hervorhebt. Man kann das auch als Deathcore bezeichnen, die Band selbst nennt ihren Stil einfach Death ’n‘ Roll, was zugegeben viel cooler klingt. Auf Circle hat ein ordentlicher Schritt stattgefunden, denn mit dem älteren Material von Where’s My Bible? werde ich irgendwie nicht warm.
Erster Gedanke war irgendwie „cool, drei Sänger“, doch dann bin ich erstaunt, wie Sänger Jussi allein die Stimmwechsel scheinbar mühelos meistert, und erstaunt bin ich ebenso über die Spiellänge der Songs, die sich zwischen nur dreieinhalb und viereinhalb Minuten bewegt. Dadurch, dass so viel passiert, wirken die Songs irgendwie doppelt so lang. Aber nein, hier wird nichts künstlich gestreckt, und hier wird es daher auch nicht langatmig. Fettes Ding!
Anspieltipps: Chapter I bis IV
Where’s My Bible?: Circle
Inverse Records, Vö 13.05.2022
MP3 4,00 € erhältlich über Bandcamp
Homepage: https://facebook.com/wheresmybible
https://wheresmybible.bandcamp.com/releases
https://www.inverse.fi/
Tracklist:
01 Chapter I: Escape
02 Chapter II: Void
03 Chapter III: Nest
04 Chapter IV: Origin
(1932)