Feelin‘ quite aquatic

IMG_769215 Jahre Amphi – das will gefeiert werden! Ein ganzes Wochenende voller großer Namen aus dem Electro-, Gothic-, Mittelalter- und EBM-Bereich, mit höchst empfehlenswerten Bands, die schon bald sehr große Namen sein werden, und natürlich mit allem anderen, was so dazugehört: Tanzbrunnen, Schiff, Beach Club, Hohenzollernbrücke, Dom und der Rhein. Nach der letztjährigen Hitzeschlacht mit 37 Grad sind dieses Wochenende zum Glück etwas moderatere Temperaturen angekündigt, der Rhein führt auch ausreichend Wasser, sodass die MS RheinEnergie für das Freitagsevent und die regulären Festivaltage ein paar Schritte entfernt vom Tanzbrunnen auf der Deutzer Seite anlegen kann. Ich genieße im Vorfeld noch ein bisschen Köln, befinde mich zwischendurch im „Siebten Himmel“ (eine unglaublich empfehlenswerte Buchhandlung im Belgischen Viertel) und freue mich schon sehr auf die schwarze Familie und den Freitagabend, wenn es wieder heißt: „Call the ship to port“ – die beliebte und jedes Jahr restlos ausverkaufte schwarze Kaffeefahrt mit Musikprogramm den Rhein hinunter und wieder hinauf.
Dieses Jahr stehen mit Diorama, Solar Fake und Mesh drei Bands auf dem Programm, die man als regelmäßiger Konzert- und Festivalgänger zwar alle mindestens schon das eine oder andere Mal gesehen, sie aber dafür auch umso mehr liebgewonnen hat. Für Synthie-Fans ist das ein hypergeniales Package, und sicher bin nicht nur ich froh, dass es dieses Jahr keinen Blutmond vom Schiffsdeck aus zu bestaunen gibt, weil man die Fahrt zum großen Teil unter Deck verbringen muss, um nichts zu verpassen. Das Boarding verläuft wie immer sehr diszipliniert und flott, das Schwarzvolk verteilt sich auf dem Schiff, die ersten Cocktails werden geschlürft, viele Gesichter kennt man aus den früheren Jahren, und alle fühlen sich sichtlich wohl und daheim. Diese gemütliche, aber gleichzeitig euphorische und erwartungsfrohe Stimmung an Bord der RheinEnergie ist immer wieder ein Erlebnis, und das superkomfortable Schiff (auf dem es jetzt auch endlich große Wasserflaschen gibt und nicht nur die kleinen, die man mit einem Schnaufer inhaliert) ist sowieso der pure Luxus an Platz, Sound, Licht, Sicht und sauberen Toiletten und manchmal sogar durchsetzungsfähiger Klimaanlage.
IMG_7755Pünktlich um zwanzig vor neun – wir haben schon den Dom und die hypermodernen Wohnhäuser daneben hinter uns gelassen – entern Diorama die Bühne und werden schon sehnsüchtig erwartet. Torben Wendt und seine drei Mitstreiter sind bestens gelaunt, wir alle auch, und nach dem wunderschönen instrumentalen ersten Track „Nebulus“ geht es mit „Odyssey“ und dem Klassiker „Kein Mord“ gleich in die Vollen. Torben springt wie gewohnt über die Bühne, Felix Marc liefert an den Keyboards die souveräne zweite Stimme, Zura Nakamura an der Gitarre ist die Ruhe in Person, und Schlagzeuger Marquess sorgt für die mitreißende Grundlage. Das wunderschöne „Advance“ darf natürlich nicht fehlen, ebenso wenig wie „Child of entertainment“ oder das hämmernde „Ignite“. Gegen Ende des Auftritts meint Torben augenzwinkernd, ob wir denn am Wochenende noch aufs Amphi gehen, weil die besten Bands ja eigentlich heute schon zu sehen waren. Außer am Sonntag, da würde ja noch was Gutes spielen … Klar, Coma Alliance! Und natürlich auch noch viele andere coole Bands, aber die Messlatte liegt mit dem heutigen Abend wirklich verdammt hoch. Das episch-ergreifende „Synthesize me“ beendet würdig diesen ersten von drei Headliner-Gigs.

IMG_7839Nach kurzem Luftschnappen (außer man möchte einen guten Platz nicht aufgeben) geben Solar Fake mit „Sick of you“ gleich mal ordentlich Gas, Sven springt heute viel auf der linken Bühnenseite herum, denn Drummer Jeans sitzt recht mittig am schon für Mesh aufgebauten Drumkit. André bringt wie gewohnt die rechte Bühnenseite und auch sein Keyboard zum Explodieren. Also alles so, wie man es kennt und liebt im Hause Solar Fake, mitsingen kann sowieso jeder, die Festivalkraft reicht auch noch zum Mithüpfen, und die Band hat uns völlig „Under control“ und muss einfach nur einen Hit nach dem anderen raushauen. Nach Krachern wie „The pain that kills you too“ oder „All the things you said“ kocht die Stimmung beim Klassiker „More than this“ richtig über, wer nicht gerade auf einem der (zum Glück) zahlreichen Stühle am Rand sitzt, singt sich hüpfend die Seele aus dem Leib. Das schön aggressive „Parasites“ steht dem in nichts nach, und Sven kann immer wieder nur fassungslos und breit grinsend „Ihr seid so krass!“ sagen, und wie unglaublich cool es doch ist, hier auf dem Schiff zu spielen. Das muss für die Musiker auf der Bühne aber auch wirklich eine einzigartige Kulisse sein, selbst wenn man schon vor viel größeren Zuschauermengen gespielt hat. „This is not what I wanted“ trifft hier also überhaupt nicht zu, macht aber trotzdem unglaublich Laune, „Invisible“ ist heute auch keiner. Das wunderbare „Anything that I want“ (neues Video!) und der Enge-Kehle-Garant „Where are you“ leiten dann zum Abschlusssong „Observer“ über, trocken ist weder auf der Bühne noch im Publikum keiner mehr, aber alle sehr, sehr glücklich. Auch der zweite Headliner-Gig ist ein voller Erfolg.

IMG_7911Danach brauchen dann doch viele eine Verschnaufpause an Deck, zumal die Rheinuferkulisse – vor allem die langgezogenen Industrieanlagen – einfach immer wieder toll sind. Deshalb verpasse ich auch die ersten Lieder von Mesh und komme erst zu „Runway“ wieder nach unten – für mich perfekt, den Song mag ich sowieso furchtbar gern. Mesh feuern genauso ein Hitfeuerwerk ab wie die beiden Bands zuvor, das Publikum ist text- und melodiensicher und entlockt Sänger Mark Hockings mehr als nur eins seiner seltenen Lächeln. Bei Songs wie „Never enough“, „From this height“ oder dem Ohrwurm „The fixer“ ist das aber auch nicht schwer. Wie immer überzeugen Mesh auch mit ihrer Videoshow, weshalb man hier durchaus ein bisschen weiter hinten stehen kann, um wirklich alles zu sehen – die Stimmung ist sowieso überall toll. „Born to lie“ hämmert extraaggressiv aus den Lautsprechern, und mit „Last one standing“ unternimmt man einen „Versuch“, den Auftritt abzuschließen, doch natürlich gibt es mit „Protector“ und dem superintensiven „Taken for granted“ noch eine Zugabe. Auch Mesh gefällt die Atmosphäre auf dem Schiff sichtlich, Band und Publikum „sing in an aquatic way“, wie Mark öfter witzelt. Womit auch der dritte Headliner-Gig des Abends ein rauschender Erfolg ist.

Nach einem ungeplanten – und wahrscheinlich von den meisten Anwesenden auch gar nicht bemerkten – Anlegen wegen eines medizinischen Notfalls (alles Gute an dieser Stelle!) kommen wir dann wie geplant um Viertel vor eins wieder in Deutz an, müssen natürlich alle erst einmal diesen wunderschönen ersten Amphi-Abend Revue passieren lassen, und wer noch kann, entert die Pre-Party, alle anderen spazieren gemütlich in die Unterkunft, voll mit tollen Songs und schönen Rhein-Bildern.

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Hier geht’s zum Amphi-Samstag!

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