Into the wild

2018 begann der Katzenclub die höchst erfreuliche Tradition, nicht nur einzelne Konzertabende zu veranstalten, sondern auch ein eintägiges Festival, damals anlässlich von fünf Jahren Katzenclub. 2019 gab es eine Neuauflage, und dann gab es … Corona. Erst an Ostern 2022 konnte das nächste Festival stattfinden. Seither hat sich zum Glück einiges in der Konzertlandschaft stabilisiert – längst nicht alles! -, weshalb dem heutigen Tag im Feierwerk hoffentlich nichts im Weg steht. Die Bandauswahl ist mit She Past Away, Minuit Machine, Agent Side Grinder, Buzz Kull, Bragolin und Bathead Zucker und zieht nicht nur Münchner Schwarzvolk, sondern auch Gäste aus anderen Städten. In den früheren Jahren hat es sich fast ein bisschen wie ein Mini-WGT angefühlt – wenn auch ohne Trambahnfahrten -, so außerhalb jeglicher Festivalsaison, und ich bin mir sicher, dass das heute auch wieder gelingt. Das Young & Cold-Label aus Augsburg ist nicht nur mit Künstler*innen, sondern auch mit einem Stand vertreten, womit auch fürs Geldausgeben gesorgt wäre.
DSC_6510Los geht’s zu früher Stunde mit Bathead, dem Projekt von Psychobat Vadim, das sich ganz den klassischen Horrorthemen wie Fledermäusen, finsteren Nächten, noch finstereren Gestalten, Zombies, Monstern, Munsters und, und, und verschrieben hat. Musikalisch ist das Ganze eine Mischung aus „Dark Psycho EBM, Horror Electro und Death Wave“, um von Batheads Bandcamp-Seite zu zitieren. Untermalt wird der Auftritt von dazu passenden Videoanimationen, und zu Songs wie „Night of the living bats“, „The evil dead“ oder „The Curse of Lugosi“ (vom aktuellen Album Bat undead) darf sich schön gegruselt werden. Vadim trägt eine Fledermaus-Halbmaske (aber nicht die fluffige Sorte mit den großen Kulleraugen, oh nein) und spielt bei den ersten Songs noch Gitarre, weswegen sein Radius auf der Bühne ein wenig eingeschränkt ist. Später wird der Sound etwas EBM-lastiger, die Gitarre wird beiseitegestellt, und das – mittlerweile zahlreichere – Publikum kommt ganz ordentlich in Schwung. Bei den folgenden Songs nimmt Vadim die Maske ab und setzt sie geschickt als Bühnenaccessoire ein, später wird noch „Black magic“ zelebriert, bevor es am Ende des gelungenen Auftritts noch zwei Coverversionen zu hören gibt (eine davon „Paint it black“ von den Rolling Stones). Fledermäuse, Ghouls, Zombies, Munsters und Festivalbesucher*innen hatten Spaß bei diesem Auftritt, vielen Dank.

DSC_6561Ähnlich dunkel, aber atmosphärisch gänzlich anders gelagert wird es bei den Niederländern Bragolin, die zutiefst melancholisch und berückend Dark Wave, Post Punk und Minimal Synth vermischen. Den meisten Festivalbesucher*innen wird ihr Clubhit „Into those woods“ bekannt sein, doch Edwin van der Welde (live unterstützt von Edwin Daatselaar an den Synths) hat noch viel mehr berührende Songs zu bieten. Die vielleicht erst beim zweiten oder dritten Mal ihren Zauber entfalten, aber dranbleiben lohnt sich. Ich freue mich daher auf meinen dritten Bragolin-Auftritt in diesem Jahr (einmal mit Rue Oberkampf und Lebanon Hanover im Ampere; einmal auf dem Amphi), der erst einmal mit einer Entschuldigung von Edwin (vdW) beginnt, man habe sich völlig verquatscht und dann den Soundcheck auch irgendwie verbaselt, und jetzt sei es ja schon etwas spät, und das ist so nett und menschlich – schließlich ist ein Festival ja auch dazu da, sich kolossal mit Freund*innen zu verquatschen -, dass niemand auch nur mit der Wimper zuckt. Lieber lassen wir uns von „This grotesque dance“ mitreißen, von „I saw nothing good so I left“ oder von dem wunderschön melancholischen und trotzdem intensiven „Let out the noise inside“ (wer kennt das Gefühl nicht). Viele im Publikum tanzen, ähnlich in sich gekehrt wie die beiden Edwins auf der Bühne, die im Düsterlicht und im Nebel auch oft kaum auszumachen sind. Eine schöne Überraschung ist der Auftritt von Adam Usi bei „In our field of oaks“, der den Song mit Bragolin für das Album I saw nothing good so I left eingespielt hatte. Zum Abschluss gibt’s natürlich noch die Bandhymne „Into those woods“, die für ordentlich Bewegung im Publikum sorgt, und sicher nicht nur ich sage danach: Ich habe viel Gutes gesehen und bin geblieben. Bedankt, Bragolin!

DSC_6637Gespannt eilt danach alles hinüber in die Kranhalle, um nach viel Melancholie wieder ein bisschen mehr Wums auf die Ohren zu bekommen, denn das aktuelle Album von Buzz Kull/Marc Dwyer, Fascination, ist sehr tanzbar und beatlastig ausgefallen. „Last in the club“ wird ja schon seit einiger Zeit in den Clubs rauf- und runtergespielt. Buzz Kull aus Australien war 2019 schon Gast beim Katzenclub-Festival, und wer damals dabei war, hat den Vorteil zu wissen, wie  Marc Dwyer aussieht. Alle anderen haben Pech, denn vom ersten Song an ist die Bühne in dunkles Rotlicht und undurchdringliche Nebelschwaden gehüllt, sodass nur Leute in den ersten zwei, drei Reihen überhaupt sehen, dass da jemand auf der Bühne agiert. Ja, Marc ist tatsächlich da, bedient seine Synths (mit kleiner Taschenlampe), springt über die Bühne und singt! Songs wie „Dreams“ (vom Album Chroma), das deutlich härter als sonst aus den Boxen schallt, oder „Dancing with machines“ entschädigen für den fehlenden visuellen Teil des Konzerts, ein bisschen schade ist es aber schon, so wenig zu sehen. Marc entschuldigt sich zwischendurch auch für den Düstermatsch auf der Bühne, ganz so war es wohl nicht geplant. Ich verziehe mich trotzdem wegen des vielen Nebels und lasse mir den Rest des Auftritts („Into the void“ darf natürlich nicht fehlen) erzählen. Musikalisch und performance-technisch (zumindest was man von ganz vorne gesehen hat) war es wieder sehr gut, am besten Augen schließen und durchtanzen, was auch viele in der brechend vollen Kranhalle getan haben.

DSC_6772Außerdem musste ich ein wenig früher gehen, um einen perfekten Platz für meine absoluten Lieblinge Agent Side Grinder in der Hansa 39 zu ergattern. Die Band ist zum dritten Mal beim Katzenclub zu Gast (wir erinnern uns an den Krimi im Februar 2020, kurz vor Corona) und freut sich schon auf den Auftritt in ihrem Lieblingsclub. Die Freude ist gegenseitig, wie am sich schon bald vor der Bühne drängelnden Publikum erkennbar ist. Dieses Mal sind alle Synths am Start, die Stahlfeder hängt, und es geht explosiv mit der brandneuen Single „Waiting room“ los, die wieder mehr in Richtung ganz frühem, krachigem, fast schon elektropunkigem Bandsound tendiert. Es hilft sicher auch, dass Urmitglied Henrik Sunbring hier als Produzent fungiert, ebenso wie beim bald erscheinenden neuen Album Jack Vegas, dem zweiten als Trio und mit (jetzt schon überhaupt nicht mehr) neuem Sänger Emanuel Åström. Wenn „Waiting room“ ein Maßstab für das neue Album ist, dann wird es (wieder mal natürlich) ganz, ganz großartig! Doch noch fegt Emanuel über die Feierwerkbühne, er und wir hören „Inner noises“ und erleben „Love at first sight“ – viele Emotionen, von ASG perfekt umgesetzt. „Love at first sight“ ist ein Absolute-Body-Control-Cover, das kurz vor Corona herauskam und vermutlich doch einigen Fans durchgerutscht ist. Diese Bildungslücke wird heute geschlossen, bevor es mit dem mächtigen „Mag 7“, dem Bandklassiker vom Album Hardware, weitergeht. „Dance until the bones break!“, sagt Emanuel, und das ist bei diesem hypnotischen Song voller Eruptionen nun gar kein Problem. Emanuel singt sich die Seele aus dem Leib, Peter Fristedt an der Bandmaschine und Johan Lange an Synths und Stahlfeder setzen das Soundgerüst hochkonzentriert um. Zum Luftholen danach gibt’s mit „Giants fall“ etwas Lieblicheres vom Album Alkimia, bevor für „Doppelgänger“ bitte die Lichter gedimmt werden sollen. Nach der Bandvorstellung in Songform „This is us“ und dem besten Saxophon der Gothenszene („Stripdown“) dürfen die Lichter wieder erstrahlen. Blau und gelb, und „In from the cold“ ist einem ganz bestimmten Land gewidmet. Weitere Erklärungen sind unnötig. „Are you with us all the way?“, fragt Emanuel und führt uns „Into the wild“. Wild ist noch milde formuliert für diesen hochenergetischen Auftritt, der wie eine kontrollierte Urgewalt durchs Hansa 39 gefegt ist und zurecht ohrenbetäubend bejubelt wird. Tack så mycket!

DSC_6933Eigentlich wäre jetzt eine kleine Verschnaufpause gut, um die Eindrücke sacken zu lassen, doch in der Kranhalle warten schon Minuit Machine, und da wird es voll. Viele wollen Amandine Stioui und Hélène de Thoury – die sich nach einer schweren Covid-Erkrankung mit ernsten Folgen wieder auf die Bühne zurückkämpfen musste – sehen, und die beiden Französinnen machen bei ihrem Auftritt auch keine Gefangenen. Amandine am Mikro und an den E-Drumpads, Hélène an den Synths, ein atmosphärischer, nebelumwaberter Beginn, dann geht’s los. Im Gepäck haben Minuit Machine ihr brandneues Album 24, von dem es natürlich einiges zu hören gibt (u. a. „Contradictions“, „24 heures“, „Lion in a cage“). Doch auch ältere Hits wie „Empty shell“ oder „Fire“ sorgen für mächtig Tanzbewegung im Publikum. Amandine und Hélène bauen ihr Set heute durchgängig auf den hämmernden Beats auf, die ihre jüngsten Veröffentlichungen (wie die EP Basic needs und das aktuelle Album) kennzeichnen und in die Füße und den Nacken gehen, dabei aber auch ein paar stimmungsvollere Nuancen in den Songs unterdrücken. Vor „Pressure“ stehen Hélène und Amandine Rücken an Rücken auf der Bühne, Hélène setzt mit einer roten Taschenlampe atmosphärische Lichtakzente, bevor es an die letzten Songs geht. Mit „Danger“ endet dieser hochgradig tanzbare Auftritt, nach dem sich viele Katzenclubbesucher*innen nach diversen coronabedingten Verschiebungen und Absagen gesehnt hatten.

DSC_6963Nach so vielen Highlights ist der Festivalabend aber immer noch und zum Glück nicht vorbei, denn mit She Past Away wartet noch der Headliner in der Hansa 39. Volkan Caner und Doruk Öztürkcan sind gern gesehene Gäste beim Katzenclub und haben mit ihrem treibenden Post-Punk-Gothic-Sound und den türkischen Texten die Szene in den letzten Jahren aufgemischt wie wenige andere Bands. Bei Düsterpartys sorgen sie zuverlässig für gefüllte Tanzflächen, auf der Bühne für gefüllte Konzerthallen. Die beiden freuen sich, wieder beim Katzenclub zu sein und mit „coolen Bands“ zusammen spielen zu dürfen, und die Freude beruht auf Gegenseitigkeit. Die Setlist umfasst Songs aus allen drei bisherigen Alben, Belirdi gece, Narın yalnızlık und Disko anksiyete, mit Schwerpunkt auf Belirdi gece, dem Durchbruchsalbum aus dem Jahr 2012. Volkan und Doruk – der immer wieder neben Synths auch E-Drumpad spielt – gehen dynamisch und mit ordentlich Druck in die Songs, die sich zugegeben nicht rasend voneinander unterscheiden, aber eine schöne Düsterstimmung aufbauen. Düster geht’s auch auf der Bühne zu, also gilt auch hier: am besten Augen schließen und tanzen. Das geht hervorragend bei Songs wie dem Opener „Durdu dünya“, bei „Asimilasyon“ oder einem der großen Bandhits „Ritüel“. Aber auch „Ruh“ oder „Kasvetli kutlama“ dürfen natürlich nicht fehlen. Trotz des langen Festivaltages in den Knochen feiert das Publikum das Duo frenetisch ab, und auch für eine Zugabe („Bozbulanık“, „Monoton“ und „Hayaller“) ist noch Kraft. Ein gebührender Abschluss des Konzert-Katzenclubs!

Danach geht es natürlich noch weiter – Party auf drei Tanzflächen mit den verschiedensten DJs (DJ Thaly mit Pulverturm-Revival-Set, den Pagan DJs, DJ JessiCat u. v. m.), Gespräche mit vielen lieben Freund*innen und Bekannten, ein dringend nötiger Snack an einem der Foodtrucks vor dem Feierwerk, letzte Einkäufe an den Merchständen, und huch, plötzlich ist es fast schon früher Morgen. Großer Dank geht an die Veranstalter, ans Feierwerk, alle beteiligten Bands und DJs und vor allem an die Besucher*innen, die für so viel schöne Stimmung gesorgt haben. Bis zum nächsten Mal! (Am 17.12. – mit Clan of Xymox und Seekers Are Lovers)

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