20.7.13 – Der Amphi-Samstag

Bedingt durch die Verschiebungen in der ursprünglichen Running Order, bei der es zu viele Überschneidungen von ähnlichen Bands gab, fing der Festivalsamstag schon sehr früh an. Die Organisatoren waren im Vorfeld auf die vielen Anregungen der Besucher eingegangen und hatten den Zeitplan etwas entzerrt – eine tolle Sache, auch wenn manche dafür dann schon um 11:45 Uhr der ersten Band zujubeln durften. Mein erster Act des Samstags war um halb ein Uhr mittags im Staatenhaus die deutsche Formation Xotox, bestehend aus Mastermind Andreas img_7843Davids und seiner Frau Claudia – beide in Band-T-Shirts mit dem Slogan „Slå tillbaka“ (schwedisch für „schlag zurück“) gewandet, die es leider nicht zu kaufen gab. Die Musik war vom Allerfeinsten, brachialer, tanzbarer Industrial-Noise-Electro, bei dem in den ersten Reihen niemand die Füße stillhalten konnte. Untermalt wurden Knaller wie „Eisenkiller“, „Mechanische Unruhe“ oder die Songs vom brandneuen Album Schwanengesang (wie z.B. das großartige „Slå tillbaka“) von den extrem knappen, trockenen Ansagen von Andreas Davids: „Heiß hier“, „Revolution! Jetzt!“, „Mehr?“ Damit war irgendwie auch alles gesagt. Seine Frau Claudia heizte die Menge mit einigen rhythmischen Tanzeinlagen weiter an und setzte neben ihren soundtechnischen Fähigkeiten auch eindrucksvoll ihre Stimmbänder bei einem Song ein.
Nach diesem großartigen Auftritt war das Staatenhaus warmgetanzt und wach, keine Frage. Vor allem wach.

Frozen Plasma stand gleich im Anschluss daran auf dem Spielplan, auf die ich mich eigentlich auch gefreut hatte, weil ich einige ihrer Lieder sehr gern mag. Doch irgendwie wollte der angenehme Synthie-Pop heute nicht zünden, vielleicht war der Übergang von Xotox auch zu groß, vielleicht war der Auftritt wirklich eher lauwarm, jedenfalls verbrachte ich dann den zweiten Teil lieber im Café im Staatenhaus und hörte mir von da dann abschließend noch „Tanz die Revolution“ und „Murderous Trap“ an. Es waren aber auch hier schon viele Zuschauer anwesend, die Vasi Vallis und Sänger Felix Marc bejubelten.

img_7939Danach wurde es wieder etwas härter und tanzbarer, der Hamburger Faderhead war mit seiner Bühnencrew da und heizte von Anfang an ordentlich ein. Mit seinen neueren Songs war ich nicht so vertraut (die mir auch etwas zu normal-elektronisch klangen), doch wie gewohnt war alles sehr tanzbar, mit harten Beats und einprägsamem Gesang. Sami Mark Yahya führte humorig und selbstbewusst durch das Programm, war bestens aufgelegt und genoss es sichtlich, das Staatenhaus zum Tanzen zu bringen. „TZDV“ und „Destroy improve rebuild“ oder auch „Dirty grrrls“ durften da natürlich nicht fehlen. Klar, ein Auftritt für die jüngere Generation, Cybers und andere Elektroheads, aber Faderhead machten ihre Sache gut und hielten die Stimmung den ganzen Auftritt über am Kochen.

img_7949Danach musste ich eine kleine Pause außerhalb des Geländes einlegen, hörte davor während der Nahrungsaufnahme noch ein wenig Alex Wesselsky mit seinem Solo-Programm auf der Mainstage, das hauptsächlich aus alten Megaherz-Stücken bestand (z.B. „Wer bist du“), wenn ich es richtig einordnen konnte. Unterstützt wurde er zeitweise von Schöngeist-Sänger Timur Karakus, sodass auch die Münchner Szene-Prominenz würdig vertreten war. Ich persönlich bin alles andere als ein Eisbrecher-Fan, fand aber Megaherz damals recht gut, sodass ich mir diesen Solo-Auftritt einigermaßen entspannt anhören konnte. Für beinharte Alex-Fans war es sicher eine tolle Sache.

Wieder zurück auf dem Gelände kam ich – leider etwas zu spät – zu einem der prägenden img_7965Szenevertreter meiner Jugendzeit, Phillip Boa & the Voodooclub. Seine Platte Hispañola lief vor über zwanzig Jahren bei mir rauf und runter, und auch die vorherigen Alben hatten mich damals intensiv begleitet. Umso schöner war es, diese Band endlich mal live zu sehen und mit dem zahlreich vertretenen – auch schon etwas älteren – Publikum zu „This is Michael“, „Container Love“, „And then she kissed her“ oder abschließend zum phänomenalen „Kill your Idols“ zu schunkeln. Der Meister war bester Laune, Pia Lund bei hervorragender Stimme, die Frühabendsonne tauchte alles in weiches, freundliches Licht. Glückliche Gesichter überall vor der Mainstage – was will man mehr.

img_8000Ja, was will man mehr … vielleicht einen Auftritt von VNV Nation? Diese schlossen sich nach einer kurzen Umbaupause an, und wie nicht anders zu erwarten, waren ALLE da, um mit Ronan Harris und Mark Jackson zusammen zu feiern. Ronan war wie immer exzellent aufgelegt und feuerte die Meute vom ersten Takt an lautstark an. Gespielt wurden alle Hits der letzten Jahre, vor allem natürlich vom letzten Album Automatic, aber auch „Epicentre“, „Honour“ oder „Further“ kamen zu ihren Ehren. Kein Halten gab es in der Menge mehr bei „Control“, und bei „Nova“ oder „Standing“ traten nicht nur mir die Tränen in die Augen. VNV Nation sind immer gut, aber manchmal sind sie einfach großartig, wenn wirklich alles stimmt – Tagesform der Band, Tagesform des Publikums, Location … und an diesem ersten Amphi-Abend hat alles gestimmt, die Chemie zwischen allen Beteiligten war diesmal perfekt, die untergehende Sonne zur Rechten, später der aufgehende Vollmond zur Linken … Pure Magie, bei aller Tanzbarkeit und Freude, die VNV Nation immer auf der Bühne verströmen.

Danach hätte man den Abend ausklingen lassen können (leider nicht im wunderschönen Beach Club, der um 22:00 Uhr unerklärlicherweise seine Pforten schloss), doch ich hatte noch viel vor an diesem Abend. Lärm! Im Staatenhaus riefen Atari Teenage Riot lautstark die Revolution aus, und da ich die Band in den letzten Jahren komplett aus den Augen verloren hatte, war ich mehr als neugierig. Aufgrund der hohen Temperaturen im Staatenhaus sah ich sie mir von weiter hinten an, und selbst da wurde man von der Wucht des Electropunk/-hardcores nahezu aus der Halle geblasen. Die Band wirkte genauso frisch und motiviert wie vor 15 Jahren, als sie wirklich etwas Neues waren, vielleicht sogar etwas übermotiviert. Politische Ansagen und Kampfparolen vermischten sich mit den Songs, denen zuzuhören nicht leicht war. Mir hat es gefallen, ich mag Lärm, ich mag vertrackt aufgebaute Lieder, die mit vielen Geschwindigkeiten und Sounds experimentieren, ich mag es, von der Musik einfach niedergewalzt zu werden. Die Stimme der Sängerin/Shouterin war allerdings tatsächlich anstrengend auf Dauer, sodass viele recht froh wirkten, als der Auftritt zu Ende war. Mir hat es im Großen und Ganzen gefallen, und ich fand es vor allem gut, dass das Amphi einen so wenig ins reguläre Programm passenden Act verpflichtet hatte, den man selten zu sehen bekommt.

img_8098Danach taten Rücken und Füße schon ordentlich weh, der Kopf floss schier über von den Eindrücken des Tages – aber noch konnte man nicht ins Hotel wanken, denn die Helden, die Wahnsinnigen, die legendären Alien Sex Fiend standen noch auf dem Programm. Auch eine Band, die mich durch meine Jugend begleitet hat, die ich noch nie vorher live sah, und die dieses Jahr das absolute Muss auf dem Amphi war. Leider war es im Staatenhaus keinen Deut luftiger geworden, im Gegenteil. Die Meute drängte sich vor der Bühne und harrte der Dinge, die da … erst mal nicht kamen. Mit über zwanzig Minuten Verspätung kamen Mr. und Mrs. Fiend mit Band dann so langsam auf die Bühne, spielten langsam das erste Stück an … langsam sollte es auch bleiben, die Songs wurden extrem in die Länge gezogen und weitaus weniger knackig als gewohnt gespielt – übten dafür aber eine hypnotische Wirkung sondersgleichen aus. Mr. Fiend wirkte relativ lebendig und unterhielt die Zuschauer mit seinen Ansagen, auch wenn aufgrund seines ausgeprägten englischen Akzents nicht alles ankam. Mein Highlight war sein Kommentar auf eine Ansage seiner Frau, die img_8110zu 80% aus „fuck“, „cunt“ und „cocksucking“ bestanden hatte: „That’s my girl!“ So humorvoll-wahnsinnig ging es dann weiter, eine aufgeblasene Plastikbanane wurde dem Publikum übergeben, Dinge aus einer Plastiktüte verschenkt, Nik Fiend schien ein wenig in seiner eigenen Welt zu leben, während Mrs. Fiend stoisch hinter den Synths stand und der Rest der Band ebenfalls keine Miene verzog. Das und auch der makaber-düstere Bühnenaufbau wirkte trotz der insgesamt zu langsam und langgezogen vorgetragenen Lieder sehr mitreißend. Herausragend war Mr. Fiends Stimme, die auch ohne Mikro die Halle durchdrungen hätte. Nach einer knappen Stunde Spielzeit (in der immerhin unter anderem „E.S.T.“, „Ignore the machine“ und „Now I’m feeling zombified“ abgefeiert werden konnten) verließen mich dann allerdings die Kräfte, und ich ging zu den Anfangsklängen von „I walk the line“ (ja, der Überhit, aber die Müdigkeit war zu groß) zurück ins Hotel.

Ein großartiger erster Amphi-Tag war zu Ende, mit jetzt schon so vielen schönen Auftritten und Eindrücken, wie sie oft an mehreren Tagen nicht zu finden sind.

 

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