Mit dem Wind nach Westen

ballon

Ein Sommer in der DDR im Jahr 1979. Im Ort Pößneck in Thüringen wird Jugendweihe gefeiert. Zwei Familien haben aber ganz was anderes im Kopf als zu feiern. Sie wollen mit einem selbstgebauten Heißluftballon in den Westen fliehen. Zwei Jahre dauerten die Vorbereitungen, zwei Jahre harte Arbeit neben der Arbeit, und heute soll es so weit sein. Die Windbedingungen sind ideal, der Ballon soll geradewegs in den Westen treiben. Aber Günter und seine Frau springen kurzerhand von dem Fluchtversuch ab, sie haben Angst um die Kinder. Doris und Peter mit ihren Söhnen wollen es alleine machen. Die Familie packt nachts ihre Sachen zusammen, im Wald hebt der Ballon ab. Aber er stürzt ab, ganz kurz vor der Grenze. Dramatische Momente, als sie, kaum verletzt zwar, aber dennoch gescheitert, ihre Spuren entfernen müssen, schnell zu ihrem Auto zurückkehren, bevor es von jemandem zurückgelassen aufgefunden wird.

Nun heißt es, Normalität vorzugaukeln, in Schule und Arbeit. Doris bereut, ihre Kinder diesem Risiko ausgesetzt zu haben, Peter hingegen würde es am liebsten gleich wieder versuchen. Da kommt der Moment, als Doris bemerkt, dass sie ihre Schilddrüsenmedikamente im Ballon vergessen hat. Dem Paar wird schlagartig bewusst, dass man sie damit – die Medikamente sind gelistet – auffinden kann. Und es ist natürlich wirklich so: Die Stasi will unter allen Umständen diesen Fluchtversuch aufdecken. Die Familie unternimmt alles, um in den Westen zu kommen. Ein dramatischer Wettlauf gegen die Zeit beginnt.

Diese dramatische Geschichte ist keine Fiktion. Es hat sich nahezu so zugetragen. Michael Bully Herbig hat sechs Jahre lang den Film vorbereitet. Er hat sich mit dem „echten“ DDR-Flüchtling Günter Wetzel getroffen, der 1978 mit einem Kollegen in einem selbstgebauten Heißluftballon flüchten wollte. Eine erste Verfilmung der Geschichte kam 1982 unter dem Titel Mit dem Wind nach Westen in die Kinos. Nun hat Bully noch einmal zugeschlagen, und ich muss sagen, ich habe selten so rasante, spannende 125 deutsche Filmminuten im Kino gesehen! Das ist internationales Niveau. Der Fokus war auch nicht ein Stasi-Drama, sondern er lag auf den beiden Familien, auf den unheimlichen Mühen, die sie auf sich nahmen, um in den Westen zu kommen, auf der Dramatik der Flucht. Michael Bully Herbig hat alles bis ins kleinste Detail perfekt ausgestattet: spießige Kleinststadtsträßchen gesäumt mit Trabis und Wartburgs, anstehen in einer Schlange für ein Pfund Kaffee, der vielleicht schon aus ist, wenn man selbst dran ist, spähende Blicke hinter Gardinen, heimlich im Westfernsehen Drei Engel für Charlie schauen. Die Sehnsucht nach dem Westen war einfach da.

Im realen Leben ging die Geschichte leider gar nicht so gut aus. Die gelungene Flucht, die die DDR weltweit blamierte, führte dazu, dass die erfolgreichen Flüchtlinge im Westen von der Stasi verfolgt wurden.

Michael Bully Herbig hat seinen Abschied vom komödiantischen Fach genommen. Er hat einen erstklassigen Thriller mit hochkarätigen Schauspielern gedreht. Auf diesen Film kann er stolz sein.

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Film: Ballon
Genre: Historie, Drama
Drehbuch, Produktion, Regie: Michael Herbig
Erscheinungsdatum: 27. September 2018, 125 Minuten
Cast: Friedrich Mücke, Karoline Schuch, David Kross, Alicia von Rittberg, Jonas Holdenrieder, Tilman Döbler, Thomas Kretschmann u.v.m.

 

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