Phoenix aus der Asche

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Die erste Einstellung zeigt einen Mann von hinten, meditierend und einen Meter über dem Teppichboden schwebend, in Feinripp-Unterhose. Die Luft im Zimmer flirrt, und fast meint man ganz kleine, feine Vogelfederchen zu sehen. Vielleicht erscheint einem das aber auch nur so, weil man sich ja in Birdman befindet.
Riggan Thomson, den man hier als erstes sieht, ist jedenfalls ein alternder Schauspieler, der in den 90er Jahren ein Riesen-Star im großen Kino war, Blockbuster sagt man heute, er hat dreimal den Superhelden „Birdman“ verkörpert. Danach jedoch ging es bergab mit ihm. Nun will er sich eine Broadway-Karriere aufbauen, als Regisseur, Drehbuchschreiber und Hauptdarsteller für ein Stück namens „What we talk about when we talk about Love“ des Autors Raymond Carver. (Stück und Autor gibt es übrigens wirklich.) Er erregt aber leider mehr Aufsehen, indem er unfreiwillig in Unterhose den Times Square entlang hastet, als durch seriöse Rollen.
In einer kleinen, stickigen, nicht gerade luxuriösen Garderobe versucht Riggan sich vor einer Probe zu sammeln. Jedoch wird er immerzu gestört von einer Stimme aus dem Off: „Birdman“ spricht zu ihm, die Rolle, in der ihn alle kennen und von der keiner versteht, warum er sie nicht fortgeführt hat.


Das Theaterstück hingegen scheint schon vor der Vor-Premiere dem Untergang geweiht. Einem anderen Hauptdarsteller – Riggans Meinung nach gänzlich untalentiert – fällt ein Scheinwerfer auf den Kopf. Man braucht schnell Ersatz, und man bekommt ihn mit dem bekannten und charismatischen Mike Shiner, verkörpert durch Edward Norton. Ein Glücksgriff, er kann grandios schauspielern und wird allen zu Ruhm und Geld verhelfen! Leider nein, er ist nur auf seinen Eigennutz bedacht und entpuppt sich sehr schnell als das größte Ekelpaket in der ganzen Geschichte. Alles gerät durcheinander. Riggans Freundin scheint schwanger zu sein, zu einer Zeit, als er das ganz und gar nicht gebrauchen kann. Seine Tochter, die als seine Assistentin bei ihm arbeitet, ist widerspenstig und nah dran, den erfolgreich absolvierten Drogenentzug zu sabotieren. Seine Ex-Frau liest ihm die Leviten. Probleme über Probleme. Riggan ist finanziell am Ende und braucht den Erfolg dieses Theaterstücks so sehr. Als ihm dann auch noch am Abend vor der Premiere in einer Bar die renommierte und gefürchtete Theaterkritikerin der New York Times prophezeit, dass sie das Stück ungesehen verreißen wird, und dass er sich nicht einbilden soll, ein ernsthafter Schauspieler zu sein, der ein Stück zum Leben erwecken kann, bloß weil er mehrmals in einem Kinofilm in einem Vogel-Kostüm gesteckt hat und ihn die Nation so kennt, besäuft er sich mit einer billigen Flasche Whiskey.
Am Morgen danach aber, sanft gebettet auf einen prallgefüllten Müllbeutel auf einem Treppenaufgang, schwingt er sich sprichwörtlich zu ungeahnten Höhen hoch.

Ist das Ironie, Persiflage, Science-Fiction, Trash? Egal: Es ist eine tolle Idee, und die letzte wie auch die erste Einstellung bringen einen dazu, sich zu überlegen, ob das, was man da gesehen hat, vielleicht Wirklichkeit gewesen sein könnte.
Michael Keaton so zu sehen ist ungewohnt, aber er ist natürlich perfekt besetzt, hat er doch auch dreimal das Kostüm eines Superhelden übergezogen, das des sehr ähnlich klingenden „Batman“. Aber auch die anderen Schauspieler agieren toll, Naomi Watts als Lesley, die unbedingt an den Broadway will, Andrea Riseborough als Riggans sehr junge Freundin Laura, Emma Stone als seine Tochter, die als Einzige Klartext redet, Edward Norton als Mike Shiner, der auf der Bühne alles kann, im realen Leben aber ein peinlicher Kerl ist, der sich im Sonnenstudio aalt und anderer Leute Ideen stiehlt. Die Grande Dame des Feuilletons in New York, die per Daumen rauf oder runter über Glück oder Ruin eines Theaterstücks entscheiden kann, wird von Lindsay Duncan sehr passend verkörpert.
Birdman erhielt neun Oscar-Nominierungen (u.a. für Bester Film, Bester Hauptdarsteller, Bester Nebendarsteller, Beste Nebendarstellerin, Beste Kamera, Beste Regie) und konkurriert mit den Filmen The Grand Budapest Hotel und The Imitation Game um den Titel des Abräumers am Oscar-Abend am 22. Februar 2015.


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Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)
USA 2014
119 min.
Regie: Alejandro González Iñárritu
Cast:
Michael Keaton: Riggan Thomson /Birdman
Zach Galifianakis: Jake
Edward Norton: Mike Shiner
Andrea Riseborough: Laura
Amy Ryan: Sylvia
Emma Stone: Sam Thomson
Naomi Watts: Lesley
Lindsay Duncan: Tabitha Dickinson

(1867)