Hoffnung gibt es überall

dasdh_artwork_kinoplakat_din-a3Seit über fünfunddreißig Jahren veröffentlicht der finnische Regiemagier Aki Kaurismäki einen bemerkenswerten Film nach dem anderen. Zu seinen großen Erfolgen zählen die hinreißende Musikkomödie Leningrad Cowboys go America, die düstere Arbeitertrilogie Schatten im Paradies, Ariel und Das Mädchen aus der Streichholzfabrik sowie die hoffnungsvolleren Filme der letzten Jahre wie Wolken ziehen vorüber, Der Mann ohne Vergangenheit und Die Lichter der Vorstadt. Düster und sehr, sehr finnisch sind Kaurismäkis Werke immer, doch gleichzeitig voller zarter Untertöne und herzzerreißend schöner Momente. Mit Le Havre hat sich Kaurismäki erstmals deutlich an der Gegenwart orientiert und die Handlung dafür auch aus Finnland nach Nordfrankreich verlegt. Mit Die andere Seite der Hoffnung (im Original: Toivon tuolla puolen) bringt der Regisseur nun den zweiten Teil seiner geplanten Flüchtlingstrilogie in die Kinos, und zumindest auf der Berlinale 2017 hat er schon mal gut abgeräumt. Verdient?

Der junge Syrer Khaled Ali flieht zusammen mit seiner Schwester Miriam nach dem Tod ihrer gesamten Familie aus dem völlig zerbombten Aleppo. Auf der gefährlichen Reise bis nach Europa durch viele, viele Länder verliert Khaled Miriam aus den Augen, er selbst landet dank eines hilfsbereiten Matrosen mit einem Frachtschiff in Helsinki. Dort beantragt der junge Mann Asyl und wird erst einmal in ein Aufnahmelager gebracht. Als sein Asylantrag abgelehnt wird (die Lage in Aleppo sei nicht so außer Kontrolle, sein persönliches Schicksal nicht schwer genug), verhilft ihm eine Angestellte des Lagers zur Flucht. Er schlägt sich einige Zeit durch, bis ihn der frisch gebackene Restaurantbesitzer Wikström in seinem Hof entdeckt. Zuerst prügelt man sich ein wenig, dann gibt Wikström dem ehemaligen Mechaniker eine Stelle in seinem Restaurant, das er selbst erst vor kurzem gekauft hat. Außerdem verschafft er Khaled gefälschte Papiere und hilft ihm, seine Schwester Miriam nach Finnland zu schmuggeln, die man in einem Aufnahmelager in Litauen gefunden hat. Doch als das Leben gerade wieder gut zu werden scheint, geschieht etwas mit Khaled, und die Zukunft ist wieder so ungewiss wie zuvor. Immerhin ist er jetzt nicht mehr allein.

Kaurismäki gelingt es, einen wie immer absolut zeitlosen Film zu schaffen und dieses Mal trotzdem so aktuell zu sein wie nie zuvor. Das Flüchtlingsthema, das seit Jahren andauernde Massaker in Syrien, die Härte vieler europäischer Länder … all das hätte unglaublich plakativ und auch platt werden können, wurde es aber zum Glück nicht. Der Regisseur sagt selbst, sein Film habe eine deutliche Botschaft, sei durchaus tendenziös und wolle ohne Skrupel die Ansichten und Meinungen seiner Zuschauer verändern, indem er ihre Gefühle manipuliert. Doch man fühlt sich als Zuschauer nicht manipuliert, sondern durch die Geschichte getragen. Man verfolgt gebannt, wie Khaled sich stets voller Würde durch erniedrigende Situationen bewegt, wie er sich und seine Schwester einfach nur in Sicherheit wissen und für beide ein neues Leben aufbauen will. Man verfolgt außerdem gebannt, wie Restaurantbesitzer Wikström aus seinem alten Leben als Hemdenverkäufer und Ehemann einer Alkoholikerin ausbricht, beim illegalen Pokern richtig viel Geld verdient und davon bar das Restaurant bezahlt, das zwar wenig Umsatz bringt, aber dafür sehr skurriles Personal hat. Die beiden Männer sind so unterschiedlich wie die Länder, aus denen sie kommen, wie die Zeiten, in denen sie aufgewachsen sind, doch beide wollen und müssen aus ihrem alten Leben ausbrechen. Zusammen schaffen sie etwas Neues.
Das andere Ende der Hoffnung trägt so unverwechselbar Kaurismäkis lakonisch-absurde Handschrift, dass man sich von der ersten Sekunde im Film wie zu Hause fühlt. Stammkameramann Timo Salminen taucht wie immer die düstere, schmutzige Seite Helsinkis in kühle Blautöne und erzeugt dabei mehr Wärme als der fröhlichste Hippie-Film. Auch einige der bewährten Stammschauspieler, mit denen Aki Kaurismäki seit Jahrzehnten arbeitet, sind wieder dabei: Sakari Kuosmanen in der Rolle des Waldemar Wikström, die unverwechselbare Kati Outinen leider nur in einer kleinen Nebenrolle als Ladenbesitzerin, Janne Hytiäinen und Maria Järvenhelmi aus Die Lichter der Vorstadt (nettes Detail am Rande: Die Hauptfigur in Die Lichter der Vorstadt hieß Koistinen, gespielt von Janne Hytiäinen. In Das andere Ende der Hoffnung spielt dieser den Restaurantkoch, der einen Hund hat – namens Koistinen) sowie der Musiker Marko Haavisto mit seiner Band. Musik spielt natürlich auch wieder eine große Rolle, schräger finnischsprachiger Countryrock und Tango.
Kaurismäki schafft es, so zeitlos wie immer zu bleiben, die Moderne aber so weit wie nötig eindringen zu lassen: Auf dem Polizeirevier, auf dem Khaled Asyl beantragt, wird das Formular mit einer alten mechanischen Schreibmaschine ausgefüllt, daneben stehen aber Fingerabdruckscanner und Laptop. Flüchtlinge haben dringend nötige Mobiltelefone, Wikström bezahlt dagegen alles bar und fährt einen uralten amerikanischen Straßenkreuzer.
Bemerkenswert ist auch die schauspielerische Leistung von Sherwan Haji, der sich nahtlos in das finnische Ensemble und dessen ganz besondere Art des Schauspielens integriert. Er bewegt sich so ungerührt und lakonisch durch den Film, als hätte er nie etwas anderes getan, als gehörte er seit Jahrzehnten zum festen Kaurismäki-Kreis.

Langer Rede kurzer Sinn: Die andere Seite der Hoffnung ist trotz des sehr offenen Endes ein perfekter, runder Film, den man einfach lieben muss. Ein Film, der zum Nachdenken anregt, der vor allem aber voll absurder Situationskomik und witziger Dialoge ist. Ein typischer Kaurismäki und doch etwas Neues. Hoffentlich macht der kauzige Regisseur seine Drohung, keine weiteren Filme drehen zu wollen, nicht wahr. Dafür hat er noch viel zu viel zu sagen.

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Die andere Seite der Hoffnung
Genre: Drama
Drehbuch/Regie: Aki Kaurismäki
Nationalität: Finnland
Start in Deutschland: 30.03.17
Hauptrollen: Sherwan Haji, Sakari Kuosmanen, Ilkka Koivula, Janne Hytiäinen, Nuppu Koivu, Kaija Pakarinen, Niroz Haji, Simon Hussein Al-Bazoon

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