Lust for Life

Elle

Michèle, eine kühle, toughe Frau in ihren 50ern, wird in ihrem eigenen Haus von einem maskierten Mann mitten am Tag überfallen und brutal vergewaltigt. Anstatt zerbrochen um Hilfe zu bitten nimmt sie ein Bad, bestellt Sushi und zieht den Abend so durch wie geplant. Überhaupt ist sie die Drahtzieherin von fast allem und jedem, der mit ihr zu tun hat. Beruflich ist sie die Chefin in einer Firma für Videospiele, privat jongliert sie einen komplizierten Sohn, der sich an eine Frau ketten will, die ihm ihr Kind als seines verkaufen will, managed ihre alte exaltierte Mutter, die sehr an Joan Collins erinnert, kümmert sich um ihren bankrotten Ex-Mann samt neuer Freundin, um ihre Freundin nebst Mann, mit dem sie ein Verhältnis hat, und auch um ihre jungen Nachbarn, wobei sie da den jungen Ehemann noch entzückender findet als die Ehefrau.

Soweit alles ziemlich französisch, ziemlich chaotisch und dennoch wohlgeordnet mit Accessoires und Nippes und Kitsch und teuren Autos, edlen Champagner-Dinners, Weihnachtsbeleuchtung in der Straße und Dinnereinladungen zu Weihnachten. Alles très français, chic und gleichzeitig bourgeois. Aber natürlich hat Michèle trotzdem Angst, wenn sie an den besagten Nachmittag denkt, hat Angst, ob es ihr wieder passieren könnte, trifft Schutzvorkehrungen. Aber immer ist sie dabei stark. Wenn sie um Hilfe bittet oder Hilfe angeboten bekommt, ist sie immer diejenige, die die Oberhand hat. Denn alles in allem ist sie eine zwar zerbrechlich wirkende, aber sehr starke Frau mit einer unbändigen Lust am Leben, am Lieben, an Sex. Sie nimmt sich, was und wann sie es will, und sei es noch so unpassend oder strange. Nicht umsonst wird auf einer Party Iggy Pops „Lust for Life“ gespielt, nicht nur einmal im Film. Michèle ist umsichtig und zugleich unvorsichtig, rücksichtslos, dominierend. Es ist ihr ganz egal, was andere über sie denken. Das wird ihr fast zum Verhängnis, denn immerhin ist der brutale Vergewaltiger auch noch unterwegs.

Am Ende hingegen, fast wie ein Wunder, laufen alle Fäden wieder bei ihr zusammen. Eigentlich kann man sie nicht mögen, nicht als Mutter, nicht als Geliebte, nicht als Sohn, Mitarbeiter, Nachbarin oder Freundin. Aber sie ist einfach eine Femme Fatale, ein Alpha-Weibchen, und alle drängt es dann doch wieder in ihre Nähe. Ob das an ihrer Kindheit liegt, an dem großen Verbrechen, das ihr Vater begangen hat, dass sie gelernt hat, wie ein Phoenix aus der Asche zu steigen?

Man hätte keine Bessere finden können, als die immerhin schon mehr als 60 Jahre alte, aber immer noch cool, sexy, kalt, begehrenswert und exaltiert wirkende Isabelle Huppert, die schon mehrmals gezeigt hat, dass sie auch in extremen Rollen brilliert.

Elle basiert auf dem Roman Oh … von Philippe Dijan (Betty Blue). Der Regisseur Paul Verhoeven (RoboCop, Total Recall, Basic Instinct) hat in den letzten 15 Jahren kaum noch gedreht, aber mit Elle hat er ein überraschendes Comeback geschafft. Isabelle Huppert bekam dafür einen Golden Globe für die beste Hauptdarstellerin im Genre Drama und eine Oscar-Nominierung für die beste weibliche Hauptrolle. Zu Recht.

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Elle
Genre: Drama, Thriller
Regie: Paul Verhoeven
Nationalität: Frankreich, Deutschland
Start in Deutschland: 16. Februar 2017, 130 Min.
Cast: Isabelle Huppert, Laurent Lafitte, Anne Consigny, Charles Berling, Virginie Efira, Christian Berkel u.v.a.

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