Die Priesterin der Finsternis

nico

Wer kennt Christa Päffgen? Christa Päffgen ist 1938 in Deutschland geboren. Sie kam als junges Mädchen in den USA mit Andy Warhol zusammen, war seine Muse, sie modelte, sie schauspielerte für Federico Fellini, und vor allen Dingen: Sie sang auf dem Debütalbum von The Velvet Underground. Sie war seitdem für immer Nico, die kühle Blonde mit der dunklen prägnanten Stimme mit dem deutschen Akzent. Der Film gibt aber nicht ihr gesamtes Leben wieder – das passierte schon in dem sehr guten Film Nico Icon von 1995 – sondern ihre letzten drei Lebensjahre, 1986 – 1988. Christa (Trine Dyrholm, toll!) war damals schon lange nicht mehr schmal und blond, sondern eine ganz normale brünette Frau in ihren Vierzigern. Wer sie kennenlernte, nannte sie natürlich Nico, aber sie, sie wollte mit ihrem richtigen Namen angesprochen werden: Christa. Der Film zeigt die letzten Auftritte Nicos in Städten wie Manchester, Prag, Nürnberg, Berlin. Man sieht, wie sie sich häuslich niederlässt. Ein Bad mit fließend warmem Wasser ist nicht so wichtig, vielmehr ein Rückzugsort, an dem sie sich Heroin spritzen kann.

Sie ist ein Wrack, Maklergespräche und Bühnenauftritte gehen nur noch unter dem Einfluss von Heroin. Die Stationen ihrer Musikauftritte führen sie und ihre Crew nicht mehr in schöne Hotels, sondern meist in Absteigen oder gar Privatwohnungen mit Bettenlagern am Boden. Dennoch hat sie dort schöne Momente und Gespräche. Einmal isst sie in Italien mit einem Mitbewohner, dem sie danach das Lederarmband klauen wird, nachts in der Küche Spaghetti mit Sauce aus der Dose und trinkt Limoncello dazu. Sie schlingt die Spaghetti in sich rein und zuzelt die langen Nudeln in den Mund, wie man es einfach nur unter Bekannten im Privaten macht. Sie sagt, sie genießt das Essen, denn in ihrer Kindheit hat sie hungern müssen im besetzten Berlin, ebenso später als Model, immer auf Diät. Das sind rührende Momente, ebenso diejenigen, wenn sie ihren Sohn in einer psychiatrischen Klinik aufsucht. Sie musste Ari, dessen Vater Alain Delon ist, der die Vaterschaft aber nie anerkannt hat, als junges Mädchen weggeben und ihn der Obhut der Großeltern überlassen. Dieses bildschöne Kind von damals, das in seinen ersten Lebensjahren auf Partys mit seiner Mama Cocktailgläser-Restchen ausgetrunken hat, ist auch nun noch bildhübsch – aber kaputt. Christa nimmt ihn mit auf Tour, und eine Zeitlang sieht es aus, als wäre alles harmonisch. Christa nimmt Methadon statt Heroin, die ersten Momente seit langem, in denen sie klar sieht. Aber wieder ein Schicksalsschlag: Ihr Sohn Ari will sich das Leben nehmen. Man kann ihn zwar retten, aber es hinterlässt Narben. 1988 will Christa sich dann gänzlich gesund sanieren. Sie will ihren Vermieter heiraten und keine Musik mehr machen, sondern sich in dessen Blumenladen nützlich machen. Nur noch ein kurzer Urlaub mit ihrem Sohn auf Ibiza. Dort verabschiedet sie sich eines Tages mit ihrem Fahrrad von ihm für einige Stunden – und kommt nie mehr zurück. Der Film endet, als sie ihr Rad aus der Einfahrt schiebt. Der Fan weiß, dass sie unterwegs an einem geplatzten Aneurysma sterben wird. Sie wird keine 50 Jahre alt.

Man hätte dieser Frau, die von vielen Menschen als Ikone gehandelt wird, gönnen mögen, dass sie doch noch ein ganz normales kleines Glück findet. Es war ihr nicht vergönnt. Unvergesslich sind dennoch ihre melancholischen Lieder ihrer eigenen Alben, aber viel mehr natürlich noch die von The Velvet Underground. Christa Päffgen aka Nico hat sicher sehr viele „All tomorrow’s parties“ erlebt.

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Film: Nico, 1988
Genre: Biopic
Regie: Susanna Nicchiarelli
Produktionsländer: Italien, Belgien
Erscheinungsjahr 2018
Start in Deutschland: 18. Juli 2018, 1 Std. 34 Minuten
Cast: Trine Dyrholm, John Gordon Sinclair, Anamaria Marinca u.v.m.

 

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