Wenn Stück für Stück dein Ich verschwindet

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 Bei einem Besuch ihrer Familie begrüßt Alice (Julianne Moore) die neue Freundin ihres Sohnes gleich zweimal. Dann ringt sie ab und an nach einem Wort. Beim Joggen auf der altvertrauten Strecke verliert sie die Orientierung. Sie geht zum Arzt und lässt sich gründlich durchchecken. Am Ende der Untersuchungen die Diagnose: Alzheimer. Nein, das kann doch gar nicht sein, Alice ist soeben 50 geworden! Sie ist agil und attraktiv wie eine 30-Jährige. Aber es gibt diese Krankheit auch schon in einem sehr frühen Stadium, das ist selten, aber es kommt vor. Und meist ist es noch dazu vererbbar. Alice hat drei Kinder, sie muss ihnen beibringen, dass sie das Gen auch haben könnten. Jedes der erwachsenen Kinder geht anders damit um. Das Kind, von denen Alice und ihr (meist) liebevoller Gatte (Alec Baldwin) am wenigsten Akzeptanz und Bereitschaft zu Verständnis und Hilfe erwartet hätten, überrascht aber am meisten.

Julianne Moore hat zu Recht den Oscar für die weibliche Hauptrolle in diesem Jahr bekommen. Sie spielt die Rolle mit allen Facetten: Sie ist eine lebenslustige Ehefrau, Mutter dreier Kinder, aber auch Karrierefrau, die auf dem Zenit ihres Schaffens unterbrochen und abgeschnitten wird von allem. Anfänglich hat sie durchaus Tage, an denen sie völlig normal ist, aber die Krankheit kommt in Schüben, und man kann sie nicht stoppen. Es ist so rührend, wenn sie freudestrahlend ein Fotoalbum auf die Terrasse zu ihrem Mann bringt mit den Worten: „Schau, ich habe Bilder von Mama und meiner Schwester gefunden!“. Der Blick ihres Mannes sagt alles: Es sind natürlich Bilder von ihr und ihrer Tochter. Sie ist so verzweifelt, als sie merkt, dass sie sich nach und nach von allen und allem zurückziehen muss, dass man irritiert oder spöttisch auf sie schaut, wenn man sie nicht kennt: „Warum kann ich nicht einfach Krebs haben!?“ Man fühlt absolut mit ihr, wie sie dabei ist alles zu verlieren, was sie sich erarbeitet hat und was sie – außer ihrer Familie – ausmacht. Sie ist Professorin für Linguistik, sie definiert sich über Wortkonstruktionen sagt sie, Sprache und Ausdrucksfähigkeit sind ihre größten Freuden. Und später kann sie sich weder ausdrücken noch verstehen was sie liest, ja, sie verirrt sich in ihrem eigenen Haus und findet die Toilette nicht.

Julianne Moore spielt die Rolle der Alice so echt, glaubhaft und bewegend, dass man sich an die anderen Gesichter kaum erinnern kann. Doch, eines gibt es noch (außer Alec Baldwin, der halt einfach wie immer verlässlich den Alec Baldwin wiedergibt): Kristen Stewart. Weiter so, Kristen, und eines Tages bist du dein Twilight-Image los!

Trauriges zum Schluss:
Der Regisseur des Films, Richard Glatzer, ist mit 63 Jahren an ALS gestorben. Den Oscar für seine Hauptdarstellerin musste er schon im Krankenhaus feiern. Immerhin konnte sein Partner Wash Westmoreland eine Flasche Champagner auf die Station schmuggeln.


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Still Alice – Mein Leben ohne gestern
Genre: Drama
Regie: Richard Glatzer, Wash Westmoreland
Cast: Alec Baldwin, Julianne Moore, Kristen Stewart, Kate Bosworth
Produktionsland: USA und Frankreich
Deutscher Kinostart: 5.3.15
101 min.

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