Wer ist mit seinem Aussehen hundertprozentig zufrieden?

Frauke (Martina Gedeck) geht auf die Sechzig zu und hinterfragt im Spiegel, woran es liegen könnte, dass ihr Wolfi (Joachim Król) sie nicht mehr anschaut. Sonja (Karoline Herfurth) hat zwei Kinder bekommen und viel zu wenig Schlaf. Etliche Kilos zu viel und Augenringe machen sie nicht gerade schöner. Die Schülerin Leyla (Dilara Aylin Ziem) ist ziemlich korpulent, nur Julie (Emilia Schüle) ist super schlank. Aber sie ist ja auch ein Model und kasteit sich bis zur totalen Erschöpfung. Für die sozialen Medien wird lustvolles Abbeißen von krossen Croissants simuliert, doch nach einem gelungenen Foto wird der Bissen ausgespuckt.

Professionelle Kameras und Casting-Agenturen sehen schließlich alles. Jede dieser Frauen nimmt ihr Schicksal anfangs irgendwie an. Nur die Kunstlehrerin Vicky (Nora Tschirner) hinterfragt diesen Ablauf. Warum muss jede Frau schlank und schön sein? Ist die äußere Hülle wirklich das, was uns ausmacht, oder ist da irgendwo noch mehr, das auch glitzert und leuchtet? Die vollkommen natürliche, freche und irrwitzig ehrliche Vicky fragt ihre Schüler*innen, wie sie sich selbst und andere sehen, und was an ihnen schön ist. Fast jede*r malt daraufhin Äußerlichkeiten. Schönes Haar, ein toller Po, lange Beine. Vicky bringt die jungen Menschen dazu, auch über Eigenschaften und Talente nachzudenken. Vicky ist das Bindeglied in dieser Geschichte. Sie ist die Freundin von Sonja, deren Mann der Sohn von Frauke ist. Die schöne Julie ist die jüngere Tochter Fraukes. Und Leyla geht in Vickys Klasse. Nach und nach kommt Schwung in die Geschichte. Frauke hat das triste Dasein und Immergleiche satt. Sie will mit Wolfi einen Tanzkurs machen. Als Wolfi nicht mitzieht, macht sie es eben alleine und verliebt sich prompt in den Tanzlehrer. Sonja hat das reine Hausfrauen- und Mutterdasein über. Sie möchte auch wieder arbeiten und sich als etwas anderes definieren als als Milchspenderin! Sie hat ein Vorstellungsgespräch und bekommt prompt den Job! Die dicke Leyla ist ausgerechnet die Tochter der dünnen Casting-Agentur-Chefin. Doch sie fängt an Baseball zu spielen, und bald sieht keiner mehr, dass sie dick ist, sondern nur noch toll!

Witzige Szenen gibt es in diesem Film, so witzig, dass man sie schon fast Slapstick nennen kann. Gleichzeitig sind manche Szenen so zart und zerbrechlich, dass man den Atem anhalten muss. Wolfi hat heimlich alleine Tango geübt, und als er mit einer eingerissenen Wand zur Küche und einer Einladung zum Tanz seine Frauke an der Hand nimmt, ist das wunderschön.

Sowieso ist natürlich hier niemand nicht schön. Martina Gedeck kann noch so in beigen Klamotten auftreten, sie wird auch mit Neunzig noch eine glänzende „Bella Martha“ sein. Karoline Herfurth können wahrlich keine zehn Kilogramm mehr entstellen, ihre Haut, ihre Augen, ihre Art: wunderschön. Das Lächeln von Dilara Aylin Ziem, als sie sieht, dass sie gut ankommt und ihre Verliebtheit auf Gegenseitigkeit stößt: unbezahlbar. Und überhaupt Nora Tschirner: Ihre ganze Art und Weise, und wie sie mit Menschen spricht: zum Lachen witzig, zum Heulen schön. Alle Darsteller haben mich berührt, natürlich auch die zarte Emilia Schüle und der scheue Joachim Król.

Schauspielerin Karoline Herfurth hat schon in schweren Filmen gespielt (Im Winter ein Jahr, mit Josef Bierbichler), vorrangig aber in romantischen Komödien wie Mädchen, Mädchen und Fack ju Göthe. Wunderschön ist ihre dritte Regiearbeit, bei der sie selbst mitspielt, nach der romantischen Komödie SMS für dich und Sweethearts. Sie hat ein gutes Gespür für Situationen, Dialoge und Pointen, noch mehr aber für ihre Darsteller*innen. Nora Tschirner bringt es als Vicky bravourös auf den Punkt: Nicht nur das Äußere zählt – es ist manchmal schwer, das zuzugeben – wir sind alle, wenn wir es zulassen und zeigen wollen, wunderschön.

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Wunderschön
Produktionsland: Deutschland
Regie: Karoline Herfurth
Buch: K. Herfurth, Lena Stahl, Monika Fäßler
Cast: Martina Gedeck, Joachim Król, Karoline Herfurt, Emilia Schüle, Nora Tschirner, Dilara Aylin Ziem
Kinostart: 3. Februar 2022, 132 Minuten

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