Vom Klassenclown und Sinnsucher

HalmerGünther Maria Halmer ist 1943 geboren, gegen Ende des Krieges. Das karge Leben hat sicherlich die Familie geprägt, in die er hineingeboren wurde. Sein Vater wollte eigentlich Priester werden, hat dann aber doch eine Frau geheiratet, die mit Ende 30 ihr einziges Kind bekam. Die Mutter liebt ihn abgöttisch, der Vater hingegen ist sehr streng. Körperliche Züchtigungen sind zu Hause wie auch in der Schule nicht selten. Denn schon im Kindergarten, in der Volksschule, im Gymnasium, überall ist er der Unangepasste, der Widerborstige. Nicht aufpassen, schlechte Noten bekommen, an der Tafel vorgeführt werden, all das macht er mit Clownereien wett. Die Lehrer nennen ihn resigniert einfach immer nur „der Halmer“. Einen Preis bekommt er dafür nicht, den Unmut seines Vaters hingegen schon. Als die Schulfreunde in Rosenheim sich schon längst überlegen, was sie beruflich machen wollen, hängt Halmer immer noch seinen Träumen nach. Als er selbst noch lange nicht ans Schauspielen denkt, merkt der Leser aber schon bei den Beschreibungen seiner jungen Jahre sein schauspielerisches Talent. Denn zum Ministranten treibt es ihn nicht aus klerikalen Gründen, sondern weil er damit Aufsehen erregen kann. Deutsche und internationale Schauspieler sind seine Idole, er kann Tag und Nacht in Rosenheim im Kino sitzen. Er will so sein wie James Dean in Denn sie wissen nicht, was sie tun, wie Horst Buchholz in Felix Krull und auf jeden Fall wie Marlon Brando.

Aber nichtsdestotrotz, ein Beruf muss her, denn das Gymnasium muss er nach der zehnten Klasse verlassen. Eine Karriere als Bankbeamter ist schon nach ein paar Minuten Vorstellungsgespräch verspielt, mit völlig unpassender Glitzerjacke und hautengen Bluejeans. Freilich, man braucht einen Beruf – logisch – doch noch ist es nicht so weit. Das Bankgewerbe jedenfalls ist es nicht. Ebenso ergeht es ihm bei mehreren Versuchen im Hotelgewerbe. Halmer sieht sich selbst herausgeputzt hohe Gäste und Schauspieler empfangen, in Wirklichkeit schrubbt er Hotelküchen oder soll dienern. Auch beim Wehrdienst fällt er unangenehm auf, der Widerborstige. Und immer wieder enttäuscht er damit die Eltern. Dann geht er nach Kanada, auch mit völlig anderen Vorstellungen als die Realität bereit hält. Das beginnt schon beim Erreichen des Schiffs. Hoch hinaus will er und wird gleich danach zwei Stockwerke nach unten in eine fensterlose Kabine geschickt, die er sich mit jemandem teilt. In Kanada schuftet er fast zwei Jahre in völliger Wildnis nahezu rund um die Uhr in einer Asbestmine. Nur durch Zufall hat er dort ein Schlüsselerlebnis. Ein Kumpel will in die USA und Schauspieler werden. Warum sollte er da eigentlich nicht zurück nach Deutschland und auch Schauspieler werden?
Wunderbar beschreibt er dann, wie er an der berühmten Otto-Falckenberg-Schauspielschule in München angenommen wird, mit bekannten Schauspielern zusammenkommt, wie Helmut Dietl auf ihn aufmerksam wird und um ihn kämpft. Und das wohl nur, weil er sein rollendes, bayrisches „R“ trotz aufwendiger Sprechübungen nicht ganz weggebracht hat. Dietl, in ungefähr demselben Alter wie Halmer, macht ihn mit der Kultserie Münchner Geschichten berühmt. Hier arbeitet Halmer mit der damals berühmten und von ihm sehr verehrten Therese Giehse zusammen, mit der blutjungen Michaela May, hier bringt er Freunde unter und kann Einfluss nehmen. Seine Widerborstigkeiten und viele seiner eigenen Erlebnisse fließen in diese Serie ein.
Daraufhin muss er sehr darauf achten, nicht auf die Rolle des liebenswerten Chaoten „Tscharlie Häusler“, mit seiner „Dreiviertelreife“, reduziert zu werden. Günther Maria Halmer macht nämlich sehr viel mehr aus. Er hat durch die Schauspielerei schon sehr jung seine geliebte Frau kennengelernt, zwei großartige Söhne bekommen, mit nationalen und internationalen Stars Filme gedreht und am Theater gespielt. Günther Maria Halmer schildert all seine großen und kleinen Erlebnisse rückblickend sehr bildlich. Oftmals ertappe ich mich dabei, wie ich ihn mir mit diesem typischen Gesichtsausdruck vorstelle, den er erstmals im Fernsehen bei den Münchner Geschichten hatte. Diesen Gesichtsausdruck hat er immer noch, der Halmer. Er ist nur etwas weiser geworden, ruhiger, verständnisvoller. Man kann oft hinfallen, sagt er, und man kann immer wieder aufstehen. Denn letztendlich sind es nicht die Siege, sondern die Niederlagen, die am Ende unsere Erfolge ausmachen. Davon in dieser Autobiografie zu lesen ist herzerwärmend und spannend zugleich.Günther Maria Halmer ist 1943 in Rosenheim geboren. Nach einigen Jahren der Sinnsuche wurde er Schauspieler und mit der Rolle des „Tscharlie“ in Helmut Dietls Münchner Geschichten bekannt. Hunderte von Filmen, Serien und Theaterauftritten folgten. Noch immer ist er für Theater und Fernsehen aktiv.
Günther Maria Halmer – Fliegen kann jeder: Ansichten eines Widerborstigen
C. Bertelsmann Verlag   (25. April 2017)
384 Seiten
Gebundene Ausgabe 19,99 Euro
Kindle Edition 15,99 Euro

 

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