Gruseln mit den Wikingern

Dass Halloween ursprünglich eine keltische Feierlichkeit ist, das ist wohl mittlerweile gemeinhin bekannt. Aber haben unsere irischen (und amerikanischen) Freunde damit nun auch ein Grusel-Monopol? Weit gefehlt! Die wahrlichen Meister der Gruselwesen waren nämlich die guten alten Wikinger. Wer sich rechtzeitig zu Halloween in altnordische Literatur vertieft, dem sind einige schlaflose Nächte garantiert.


Der Fundus an Monstern und magischen Wesen in den Sagas und Liedern ist schier unerschöpflich, deswegen sollen hier nur einige Highlights herausgestellt werden:

Hexen, die über das Schicksal bestimmen

Den Begriff Schicksal nimmt man heutzutage gerne etwas flapsig-ironisch in den Mund. Bei den Wikingern aber war das noch anders: Das Schicksal wurde durch die Nornen, alte Hexenmeisterinnen, bestimmt, die die Lebensfäden der Menschen spannen. Wurde ein Faden durchgeschnitten, war es aus und vorbei. Was diese Nornen so verursachen können, wird unter anderem im Darradarljód in der Saga von Njáll beschrieben: „Und es wird Unheil die Iren treffen, das nie erlischt in der Leute Sinn. Das Werk ist geworden, der Webstuhl rot; Volksverderben zieht über das Land. Nun ist Schrecken rings zu schauen; blutige Wolke wandert am Himmel; rot ist die Luft von der Krieger Blut, denen unsere Schicksale zum Leid fielen.“
Und was konnte man gegen diese Nornen unternehmen? Nun ja, absolut gar nichts.

Menschenfressende Bergmonster

Aber auch, wer nicht gleich mit den Schicksalshexen selbst zu tun hatte, musste zur Wikingerzeit auf der Hut sein. Die Sagas sind von wilden Monstern und Trollen bevölkert, die sich bevorzugt im Bergland aufhalten. So hat zum Beispiel Grettir, der Held der gleichnamigen Saga, ein ordentliches Troll-Problem am Hals. Einmal übernachtet er auf einem Bauernhof, wo immer wieder Menschen verschwinden: „In jener Nacht lag er wach in der Halle, und um Mitternacht hörte er, wie sich Schritte näherten. Schon bald zeigte sich die Besucherin: Eine riesige Trollfrau trat ein und trug eine Keule und ein Beil.“ Die Trollfrau zerrt den Helden hinaus und will ihn in ihre Höhle bringen, um ihn dort zu fressen. Grettir schafft es, sie zu besiegen – nur um festzustellen, dass in der Höhle der Gatte der Trollfrau wartet, der gleich noch größer und schrecklicher ist. Der Höhlenboden ist von Knochen früherer Opfer übersät: „In der Höhle war ein gigantischer Troll und schon bald waren die beiden in einen Kampf auf Leben und Tod verwickelt. Grettir schaffte es, eine klaffende Wunde in den Bauch das Giganten zu schlitzen, und die Eingeweide ergossen sich aus dem Monster.“
Solche netten Bergbewohner gibt es in den Sagas gleich zu Dutzenden, und nach Ansicht der Wikinger konnte man nur ein richtiger Held werden, wenn man mindestens einem davon den Garaus machte. Warum diese Trolle ausgerechnet Menschen fressen wollten? Das bleibt unklar. Andererseits ist das isländische Hochland auch nicht unbedingt für Landwirtschaft geeignet, und von irgendwas muss ja auch ein Troll leben.

Besser als jeder Drache: Fafnir

Wenn man als Held nun mit Trollen gut klarkam, gab es noch ein höheres Level. Sozusagen den Endgegner: Drachen. Aber wer sich Drachen nun als einigermaßen nette Kreaturen, ähnlich wie Dinosaurier, vorstellt, liegt ganz weit daneben. Die Drachen der Wikinger waren riesige, schlangenähnliche Kreaturen, die abgrundtief böse waren. Der schlimmste davon ist Fafnir aus der Völsungasaga (der nordischen Version des Nibelungenlieds). Als Sohn des Zwergenkönigs Hreidmar geboren, verfällt er aus Goldgier einem Fluch, tötet seinen eigenen Vater und wird zum Monster. Er kriecht über den Boden, wobei er eine Spur aus giftigem Schleim hinterlässt, und atmet giftige Wolken aus. Niemand kann ihn besiegen, bis schließlich der edelmütige Sigurd ihm eine Falle stellt und so das Land von dieser Plage befreit. Nebenbei kocht sich Sigurd Fafnirs Herz, kann so die Sprache der Tiere verstehen und wird beinahe unbesiegbar.

Nicht unbedingt Menschenfreunde: die Götter

Jetzt könnte man ja denken, oje, so viele Gruselgestalten, doch zum Glück hatten die Wikinger viele Götter, an die sie sich vertrauensvoll wenden konnten. Aber leider funktionierten die Götter der Wikinger nicht so. Die nordischen Götter waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um den Menschen auf irgendwelche Gebete zu antworten, allen voran Loki, der mit seinen Listen schließlich sogar den Weltuntergang Ragnarök einläuten sollte. Was die Götter allerdings schon verlangten, waren Opfer. Das reichte vom Vergießen von etwas Met oder Bier ins Meer, um eine gute Überfahrt zu garantieren, bis hin zu möglichen Menschenopfern an Odin. Ob diese Menschenopfer wirklich durchgeführt wurden, ist noch umstritten. Historischen Quellen zufolge mussten in Gamla Uppsala alle neun Jahre neun junge Männer an einem Baum aufgehängt werden, um Odin zu besänftigen. Dieser Odin war zwar der mächtigste aller Götter, aber deshalb noch lange kein gerechter Herrscher. Ihn interessierte nur das Erlangen absoluter Weisheit – wofür er sogar ein Auge opferte, so dass er nun aus einer leeren Höhle starrt – und der besten Krieger, die in der letzten Schlacht an seiner Seite kämpfen sollten. Ob das nun Helden oder Verbrecher waren, war Odin absolut egal. Auch gute Taten brachten einen nicht weiter, so etwas wie finale Gerechtigkeit gab es nicht. Alles in allem eine sehr fatalistische Religion.

Schreckensgestalten beim Weltuntergang

Immerhin waren die Götter noch die am wenigstens gruseligen Gestalten, die sich zu Ragnarök auf der Erde tummeln. Sollte dieser Weltuntergang eintreten – was er nach Ansicht der Wikinger auf jeden Fall würde, weil das nun einmal vorherbestimmt war – kämen unter anderem auch Lokis Kinder auf die Menschenwelt, um gegen die Götter zu kämpfen. Darunter befinden sich nette Zeitgenossen wie der Fenriswolf, ein riesiger feuerspuckender Wolf, die Riesenwölfe Skalli und Hati, die Sonne und Mond verschlingen, und die Midgard-Schlange, die giftigste, gewaltigste und böseste Schlange aller Zeiten. Nicht zu vergessen, dass das düstere Schiff Naglfar, geschaffen aus den Nägeln der Toten, dann über die Meere fährt und der Drache Nidhöggr den Toten die Seelen heraussaugt. Als wäre das noch nicht genug, fallen die Sterne vom Himmel, Luft und Meer brennen, alle Bäume stürzen um und die Berge fallen. Am Ende kommt noch der Feuerriese Surt ins Spiel: Er lässt die gesamte Welt in Flammen aufgehen.

Warum nun war die Welt der Wikinger von solchen Schauergestalten bevölkert? Darüber streiten sich die Spezialisten noch. Eine Theorie ist jedoch, dass die Lebenswirklichkeit der Menschen damals einfach von vielen Schrecknissen geprägt war: Hunger, Stürme, Seuchen, Krieg, früher Tod. Irgendjemand musste ja dafür verantwortlich sein. Da bieten sich doch Hexen, Monster und fiese Götter regelrecht an.

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