Auf eine Breze mit Floor Jansen

20200128_205403Nach der Listening Session bringt mich unsere supernette Kontaktfrau nach oben in die Schwanensuite, in der Floor für den heutigen Interviewmarathon untergebracht ist. Leider überziehen die Kollegen vor mir ein wenig, und die „Übergabe“ gestaltet sich etwas hektisch. Floor ist sichtlich gestresst und müde, und bei Kaffee und Breze erzählt sie mir, dass sie um vier Uhr morgens aufgestanden und sogar schon vor lauter Anspannung vor dem Wecker aufgewacht ist. Wir sind uns völlig einig, dass das wirklich ein brutaler Tagesanfang ist, und sie bedient sich noch mal an den heilsamen Brezen auf dem bereitgestellten Snackteller – auch über die bayrische Wunderwaffe gegen quasi jedes Wehwehchen unterhalten wir uns ausführlich, das wird auch unser Running Gag während des Gesprächs werden. Endgültig munter wird Floor, als ich schließlich erzähle, dass ich a) Schwedisch spreche (sie lebt ja mit Mann und Kind irgendwo im Nirgendwo bei Göteborg) und b) extra zu ihrem Solokonzert im Januar nach Amsterdam gefahren bin. Das Fan-Girl in mir kreischt ganz laut (nach außen hin bin ich natürlich superprofessionell), als sie mir die mitgebrachte Taschentuchpackung, die ich mir bei dem Konzert gekauft habe, signiert und auch die Hintergründe des Aufdrucks erklärt.

Damit ihr Leser*innen den Witz auch versteht und was es mit „Beste Zangers“ auf sich hat und warum ich dann unbedingt nach Amsterdam musste, hier ein kleiner Exkurs:
„Beste Zangers“ ist ein niederländisches Fernsehformat, das in etwa mit dem deutschen „Sing meinen Song“ zu vergleichen ist. In jeder Staffel sind sieben Sängerinnen und Sänger versammelt, und in jeder Folge steht ein*e Teilnehmer*in im Mittelpunkt. Die anderen interpretieren dann entweder Songs des- oder derjenigen oder singen auch Lieder, die für den- oder diejenige von großer persönlicher Bedeutung sind. Die Staffel 2019 war wegen Floor dann auch international ein großer Erfolg, weil sich natürlich alle Nightwish-Fans darauf gestürzt haben. Das einzige Hindernis: Die Show war auf Niederländisch. Doch ein Fan namens Denise Hofs hat sich jede Woche die unbezahlbare Mühe gemacht, die jeweilige Folge auf Englisch zu untertiteln und das Video dann im Internet hochzuladen (die Folgen sind noch bei Dailymotion abrufbar). Die Zuschauerzahlen schossen in die Höhe, die Niederlande wussten plötzlich, was für einen internationalen Superstar das Land mit Floor Jansen hervorgebracht hat … Nachdem sie schon eine zwanzigjährige Karriere vorzuweisen hatte! Es war sehr spannend zu verfolgen, wie die Teilnehmer*innen von „Beste Zangers“ von Woche zu Woche immer mehr zusammenwuchsen und wie sehr alle von den Songs gerührt waren, die ihnen gewidmet wurden. Alle Sängerinnen und Sänger (übrigens alle empfehlenswert) kamen aus verschiedenen musikalischen Genres, und jede*r musste sich aus der eigenen Komfortzone herausbewegen und teilweise völlig fremde Musik umsetzen. Umso emotionaler wurden diese Mühen dann honoriert, und ja, die ständig herumgehende Taschentuchschachtel war ein absolut gleichwertiger Teilnehmer der Show, so präsent war sie. Auch für Floor war diese Show ein einschneidendes Erlebnis, das ihr vor allem ungeahnte und so unglaublich verdiente Popularität in ihrem Heimatland eingebracht hat. Daraus resultierte eine schnell auf die Beine gestellte Solotournee durch die Niederlande in der zweiten Januarhälfte 2020, die innerhalb von vierundzwanzig Stunden ausverkauft war. Ich hatte nicht lange gezögert und mir ein Ticket für Amsterdam gekauft – es war völlig klar, dass ich bei diesem einmaligen Ereignis dabei sein musste. Und bei ebenjenem Konzert, das wirklich ganz, ganz großartig und bezaubernd war, gab es in Anspielung auf die tränenreichen Episoden der Sendung extra angefertigte Taschentücher zu kaufen. Floor erklärt den Aufdruck folgendermaßen: „Es ist eigentlich ein Witz. ‚Janke‘ ist Slang für ‚weinen‘, und ‚Beste jankers‘ sind sozusagen ‚die besten Weiner‘. Weil es die ganze Zeit immer hieß, ‚oooh, jetzt werde ich ganz emotional wegen dir‘ und ‚ooh, dein Auftritt hat mich so sehr berührt‘, und weil wir die ganze Zeit nur geweint haben, da dachte ich mir … Nun, wenn die Leute zu meinen Konzerten kommen und am Ende auch alle weinen, dann brauchen sie etwas. Ich habe mir das Logo von ‚Beste Zangers‘ ausgeliehen, was dem Sender hoffentlich nichts ausmacht, und daraus ‚Beste jankers‘ gemacht.“

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Das als Hintergrunderklärung, warum wir unbedingt am Anfang des Interviews darüber reden müssen. Bevor wir aber Gefahr laufen, uns hemmungslos zu verquatschen, sei es über „Beste Zangers“ oder Skandinavien oder mein mitgebrachtes Mumin-Schreibheft, muss leider trotzdem noch ein bisschen Business sein, weshalb ich mit der ersten offiziellen Frage beginne. Doch nicht, bevor wir noch mal sicherheitshalber einen Blick auf den Brezenteller geworfen haben – vier Stück sind noch übrig, die Floor sicher gut durch den Tag bringen werden, wie sie sagt.

SB: Also, ich komme ja gerade direkt von der Listening Session, und ich bin sehr beeindruckt und auch total überwältigt von der Detailfülle des Albums, und ich werde mir alles noch oft in Ruhe anhören müssen. Wie würdest du, mit deinen eigenen Worten, das Album beschreiben, wovon handelt es? Auf welche Reise nimmt es die Hörer*innen mit? Der Pressewaschzettel spricht von „Mensch, Natur, Technik, Kunst und Musik“ als Themenfeldern.
FJ: Mhm. Ich glaube, der Weg ist sehr individuell. Viel liegt im Auge des Betrachters. Das Album will nicht belehren, aber auch nicht nur verzaubern. Manche Songs haben etwas mehr Bedeutung, wie zum Beispiel „Noise“. Aber ich denke, das ist typisch für Nightwish. Das Album nimmt einen auf eine Reise mit, es lädt dazu ein, sich hinzusetzen und es anzuhören, nichts anderes nebenher zu tun. Es einfach in Ruhe anzuhören. Vor allem natürlich die zweite Hälfte, den ganzen Trip durch dieses … Epos. Es kommt also wirklich darauf an, was man selbst dabei empfindet.
SB: Die persönliche Interpretation bekommt also genug Raum?
FJ: Immer! Auf jeden Fall. Das halte ich für sehr wichtig. Ich denke, es ist ein sehr abwechslungsreiches Album. Deshalb lässt sich auch so schwer in Worte fassen, worum es eigentlich geht. Es gibt nicht nur eine Aussage, nicht nur ein Thema, alles kann entweder mit dem Menschen oder der Natur in Verbindung gebracht werden. Oder der menschlichen Natur. *lacht*
SB: Besteht dann auch eine Verbindung zu der besonderen Schreibweise des Albumtitels, den Punkten und Strichen?
FJ: Ja! Es soll verdeutlichen, dass die beiden Begriffe sowohl getrennt voneinander, aber auch zusammen stehen können, auch von der Bedeutung her.
SB: Es heißt aber nicht „Mensch gegen die Natur“?
FJ: Nein! Nein. Die Frage wurde mir schon einmal gestellt. Vielleicht wegen des gerade so brandaktuellen Themas der Klimakrise und dass wir uns schuldig fühlen wegen allem, was wir dem Planeten angetan haben – was ich sehr gut finde. Es gibt immer noch viel, was sich verbessern könnte, aber letztendlich existiert der Planet schon sehr viel länger, als dass wir Menschen darauf existieren. Natürlich hinterlassen wir unsere Spuren darauf, aber wir sind auch Teil eines Wandels, eines sich ständig wandelnden Planeten, was manchmal auch unangenehme Veränderungen mit sich bringt. Und manchmal auch unangenehm schnell.
SB: Das ist es, ja. Veränderungen sind unausweichlich, aber gerade ändert sich sehr viel und das sehr schnell, und das kann einem schon Angst machen.
FJ: Ja, ich denke, dass genau das gerade passiert. Dass die Medien versuchen, uns Angst zu machen vor jeder Autofahrt und jedem Plastikbecher, den wir benutzen. Ich glaube, dass das ein bisschen in die falsche Richtung geht, da wir viele Dinge überhaupt nicht in der Hand haben. Menschen, die sich das alles zu Herzen nehmen, können richtiggehend Klimadepressionen entwickeln. Aber wenn sich in wirklich großen Dimensionen nichts Grundlegendes ändert, wird sowieso nichts passieren. Außerdem wissen wir nie genau, was hinter einem Artikel steckt, den wir gerade lesen – was die Verfasser vielleicht für eine eigene Agenda haben. Wir sollten also alle einen kühlen Kopf bewahren und alles immer mit kritischem Blick sehen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass der Planet 4,6 Milliarden Jahre alt ist und uns sicher überleben wird. Ich glaube, das wird er. Ich habe mich schon immer sehr mit der Natur verbunden gefühlt und wollte schon immer etwas bewegen, weshalb ich in dieser Richtung heute auch sehr viel tue. Aber wenn ich das alles lese – und ich verfolge das Thema sehr genau -, dann bin ich etwas überrascht von der Größenordnung. Jetzt ist es „a thing“. Jetzt haben wir eine Klimakrise, vor einem Jahr hatten wir sie vielleicht noch nicht.
Auch das liegt etwas im Auge des Betrachters, aber auch hier lässt sich die Brücke zu Human.:II:Nature. schlagen und unserer Verbindung zur Natur. Die wir ganz deutlich zum Teil verloren haben. Zum Einen, weil wir die Natur großflächig zerstören, aber auch weil wir kaum mehr richtig Kontakt zu ihr haben. Wir sehen uns ja nicht einmal mehr als Teil der Natur. Es gibt die Natur und die Menschen. Aber wie verdammt noch mal sind wir denn zustande gekommen? Wir sind auch ein Teil davon. Wir stammen von der Natur ab, wir sind direkt mit ihr verbunden. Die Unterschiede in unserer DNA und der vieler anderer Lebewesen sind bemerkenswert klein, es ist also Schwachsinn zu sagen, wir sind kein Teil der Natur. Und ich glaube, mit ein Grund, warum wir so viele Probleme haben, liegt genau darin. So viele Menschen entdecken wieder, wie schön es ist, sich in der Natur aufzuhalten; selbst ein Spaziergang in einem grünen Park in der Stadt tut einem gut.

Ein bisschen bleiben wir noch bei dem Thema, Floor sagt unter anderem, wie wichtig die Entscheidung für sie ist, mit ihrer Familie wirklich mitten in der Natur zu leben (wer einen kurzen Einblick bekommen möchte – sie hat das niederländische Fernsehen zu einer Homestory eingeladen, und hier kann man den Beitrag sehen: Op Reis), und wenn es nach ihr ginge, müsste sie nie wieder in einer Stadt wohnen. Auch das ist ein Thema, über das wir uns noch länger unterhalten könnten, aber wir reißen uns zusammen und kehren nach einem kleinen Schlenker zu den schönen Seiten von München und Amsterdam (nicht jede Stadt ist ganz schlecht) wieder zum neuen Nightwish-Album zurück.

SB: In dem Interview mit FaceCulture, das ich auf YouTube gesehen habe, hast du gesagt, dass du ganz schön schlucken musstest, als Tuomas dir zum ersten Mal die Gesangsparts präsentiert hat, weil sie so komplex waren. Nachdem ich das Album jetzt gehört habe, verstehe ich das absolut. Ich bin zwar überhaupt keine Sängerin und weiß nichts über Gesangstechniken, aber ich weiß ein bisschen was darüber, wie du singst. Wie bist du die gesanglichen Herausforderungen angegangen?
FJ: Indem ich mir die Parts Schritt für Schritt erarbeitet habe. Man darf sich nicht überwältigen lassen. Normalerweise bin ich sehr ungeduldig mit mir oder wenn ich etwas lerne. Als ich die Songs gehört habe, wollte ich sofort alles verstehen, wollte Teil davon sein, ich wollte sofort mit dem Singen anfangen, ich wollte … völlig eintauchen. Und das hat Wochen gedauert. Weil ich alles erst einmal in viel kleinere Stücke aufsplitten musste. Ich musste erst die Melodien lernen, dann die Lyrics, dann kamen die Worte zu den Melodien … So weit war ich dann, als unser Probenzeitraum begann. Ich hatte noch keine Emotionen einfließen lassen, erzählte noch keine Geschichte. Das hat sich langsam nach und nach entwickelt, und ich habe Tuomas auch nach der Bedeutung der Texte gefragt – ein bisschen zumindest, immer mal wieder. Denn um eine Geschichte wirklich erzählen zu können, muss ich sie fühlen. Das ist dann der Teil des ganzen Prozesses, bei dem ich jedes Mal zusammenbreche.
SB: Weil alles so langsam geht?
FJ: Nein, weil ich wirklich fühle, was er meint. Und manche Sätze sind einfach so schön oder so persönlich. Ja, so geht es mir dann. Wie zum Beispiel bei „Procession“. Ich habe lange gebraucht, bis ich es singen konnte, weil es so traurig ist. Und so schön! Ich muss mich durch die ganzen Schichten hindurcharbeiten, und dann muss ich alles wieder zusammensetzen, bis es sich richtig anfühlt. Das hat noch einmal ein paar Wochen gedauert, nach den Proben für die Studioaufnahmen. Als wir dann im Studio waren und alles einspielten, konnte ich dafür sofort loslegen. Ich war sehr schnell mit meinen Parts fertig, und man hat mir sogar das Kompliment gemacht, man habe wirklich gehört, dass ich geübt habe. Na, Gott sei Dank! *lacht* Denn ich habe Stunden jeden Tag damit zugebracht, und das war auch nötig.

Wir reden noch ein bisschen weiter darüber, dass Tuomas bei diesem Album den Fokus noch mehr auf die Vocals gelegt hat (mein Eindruck), da er jetzt weiß, was Floor alles kann (ihr Eindruck), und dass die Melodien doch ganz schön herausfordernd waren und man da wirklich keinen Sekundenbruchteil überlegen darf beim Singen, sondern es einfach aus einem herauskommen muss. Man hört definitiv, wie viel harte Arbeit dahintersteckt, aber zum Glück war es eine tolle Arbeit, wie Floor sagt. Sie betont noch einmal, wie wichtig es für sie ist, wirklich zu verstehen, was sie tut, um als Sängerin so viele Menschen zu berühren und zu erreichen.

Daran knüpfe ich eine weitere Frage an.
SB: Gab oder gibt es einen Punkt bei Tuomas‘ Texten, an dem du gesagt hast oder sagen musst: „Ja, ich verstehe es, aber ich kann es nicht singen“? Weil es zu persönlich ist, zu emotional oder zu weit weg von dir selbst?
FJ: Nein, bisher nicht.
SB: Gut. Weil es sicher schwer ist, die Emotionen von jemand anderem zu singen.
FJ: Das stimmt, aber das mache ich auch nicht. Er erklärt mir, worum es in dem Song geht, aber nicht, warum er ihn geschrieben und was er dabei empfunden hat.
SB: Ah, okay, das ist natürlich etwas anderes. Ich hätte gedacht, dass er ein bisschen mehr darüber spricht.
FJ: Nein … Vielleicht, wenn ich ihn fragen würde, aber das mache ich nicht, denn ich kann den Song nur mit meinen eigenen Gefühlen singen.
SB: Du bekommst also das Ergebnis, aber nicht den Hintergrund.
FJ: Ja, so ähnlich. Aber natürlich kenne ich ihn ziemlich gut. Und das klingt vielleicht sehr verrückt, aber es ist auch nicht so wichtig. Ich könnte seine Gefühle nicht vollständig transportieren, weil es ja schließlich seine sind. Außerdem liegt es auch hier wieder im Auge des Betrachters, wie man etwas auffasst. Ich habe dieses und jenes Gefühl beim Singen, und du hörst auch, dass ich dabei etwas empfinde, aber wie das Ganze bei dir ankommt, hängt von deinen eigenen Gefühlen ab. Wie du empfindest, wie du selbst bist, was für einen persönlichen Hintergrund du hast, welchen emotionalen Ballast. Es ist immer subjektiv. Und deshalb muss ich die Songs mit meinen eigenen Gefühlen singen, auch wenn sie von Tuomas geschrieben sind, um die Geschichte richtig erzählen zu können – sonst wäre sie nicht meine.
SB: Aber bei „Beste Zangers“ hast du Songs gecovert – waren das letztendlich dann auch „deine“ Songs?
FJ: Ja, anders geht es nicht. Nur so kann ich singen, und deshalb war ich vor „Beste Zangers“ auch so nervös. Die Lieder müssen sich echt anfühlen, weil es sonst für mich keinen Sinn ergibt. Ich habe in meiner ganzen Karriere mit meiner eigenen Musik und mit Nightwish so viel gemacht … Da erschließt sich mir der Sinn von Cover-Versionen einfach überhaupt nicht. Vor allem, wenn ich Cover-Versionen von Cover-Versionen singen soll. Warum? [Im Folgenden bezieht sie sich auf die Folge von „Beste Zangers“, in der die anderen Teilnehmer*innen für sie gesungen haben. Anmerkung SB] Ich war auch überrascht, dass manche sich immer noch entschieden haben, andere Songs als meine eigenen zu singen. Ich habe eine zwanzigjährige Karriere mit eigener Musik hinter mir, als einzige Musikerin [unter den Teilnehmer*innen]. Warum um Himmels willen sollte man da ein Cover von einem Lied singen, das mir gefällt. Aber nun gut, das ist ein anderes Thema. Wie auch immer – solange man seine eigenen Gefühle einbringen kann, wird es ein echter Song. Sonst … sind es nur die Worte eines anderen Menschen.
SB: Hast du einen Lieblingstrack vom neuen Album? Oder einen, zu dem du die größte Verbindung hast?
FJ: Nein … eigentlich nicht. Aber „Endlessness“ ist einer meiner Favoriten. Wenn ich nur einen Song spielen könnte, dann wäre es dieser. Ich werde dabei so traurig. *lacht* Er ist so melancholisch – da helfen nicht mal Brezen!
SB: Warum? Wegen der ganzen Atmosphäre?
FJ: Jaaa!
SB: Und was der Song für Emotionen in dir auslöst?
FJ: Jaaa! *seufzt* Und weil er so schön ist!

Wir unterhalten uns noch kurz, wie toll Marcos stimmliche Leistung bei dem Song ist und wie anspruchsvoll auch hier die Melodien sind. Und dass er einen guten Abschluss für das Album abgibt.

SB: Das ist dein zweites neues Album mit Nightwish – hat sich im Vergleich zu Endless forms most beautiful etwas geändert? Bei den Proben, im Studio?
FJ: Nein, eigentlich nicht. Zumindest nicht rein praktisch. Aber jetzt hatte ich alles schon mal gemacht. Man ist weniger unsicher als beim ersten Mal. Wann passiert was, wann steht was auf dem Zeitplan … Es herrscht mehr Routine. Natürlich kenne ich die Jungs jetzt auch einige Jahre länger, wir waren gemeinsam auf Tour, wir kennen uns besser – persönlich und musikalisch. Das beeinflusst auch, wie man an Dinge herangeht. Man ist entspannter, muss sich nicht ständig beruhigen, dass schon alles gut geht.
SB: Aber etwas Neues gab es jetzt schon – das Shooting im Natural History Museum in London! Wer hatte die Idee dazu? Denn die ist ja schon ganz schön speziell.
FJ: Ich weiß es gar nicht genau. Wahrscheinlich haben Troy und Tuomas sich das ausgedacht. Wir waren auch in einer kleineren Stadt in der Nähe von London, deren Namen ich immer wieder vergesse, im naturhistorischen Museum. Wir kennen dort jemanden, sie hat eine Verbindung zur Band und hat uns eine persönliche Führung durchs Museum gegeben. Wir haben dort zum Beispiel Darwins Finken gesehen … [Vielleicht meint sie das Natural History Museum in Tring, Hertfordshire, das einen großen Teil der Finkensammlung beherbergt. Anmerkung SB] Die Erfahrung war großartig und hat so gut zu dem Thema von Endless forms most beautiful gepasst. Das setzt sich natürlich auf Human.:II:Nature. fort, vielleicht kam daher die Idee mit dem Natural History Museum. Wir hatten das Museum nach Schließung vier Stunden ganz für uns. Das war so magisch! Einfach nur dort sein zu dürfen!
SB: Das glaube ich, das Gebäude ist so beeindruckend. Und dort fand das Videoshooting statt?
FJ: Nein, dort haben wir ein Fotoshooting gemacht. Am Tag darauf hatten wir noch eins im jüdischen Viertel, in einem alten Haus, mit einem anderen Fotografen. Wir hatten also Shootings an zwei Tagen, an zwei verschiedenen Locations, mit zwei verschiedenen Fotografen. Ich hatte zwei verschiedene Outfits, Frisuren, Make-up … Da gab es also einiges zu planen. Das Video haben wir zuvor in Helsinki in einem Studio aufgenommen, vor einem Green Screen.

Nachdem uns die Zeit davonrennt, disponiere ich ein wenig um und ziehe eine Frage vor, die mir sehr am Herzen liegt.
SB: Du hast bei deinem Konzert in Amsterdam „Nemo“ in der Original-Akustikversion gesungen, und das war wunderschön. Wäre das auch etwas für Nightwish? Die Songs auf ihren Kern zu reduzieren und sie akustisch zu präsentieren?
FJ: *lacht* Wegen mir auf jeden Fall. Ich habe diese Idee oder diesen Wunsch schon seit Jahren.
SB: Weil mit Orchestern arbeitet ja jeder.
FJ: Ja, eben. Deshalb haben wir das bisher auch noch nicht gemacht. Es ist so schwer, dass es dann wirklich richtig gut klingt. Aber auf Akustik hätte ich wirklich Lust. Einen guten Song kann man immer größer oder kleiner machen. Deshalb wollte ich auch „Nemo“ in genau der entgegengesetzten Version spielen zu der, die man in den Niederlanden dann jetzt kannte. [Tim Akkerman hat bei „Beste Zangers“ eine sehr schnelle Rock-Version von „Nemo“ beigetragen. Anmerkung SB]. Also ja, ich wäre sehr offen dafür. Wir haben zwanzig Jahre oder mehr an Songs, da ließen sich sicher zwei Stunden mit Akustikversionen füllen.
SB: Ich freue mich darauf. Red doch mal mit Tuomas darüber!
FJ: *lacht* Okay, mache ich!

Und wo wir schon bei „Beste Zangers“ sind, hake ich gleich noch mal ein bisschen nach – so viel Zeit muss dann doch sein.
SB: „Beste Zangers“ war für dich eine sehr wichtige Erfahrung. Inwieweit hast du dich dadurch verändert? Was hast du für dich selbst gelernt?
FJ: Nun, ich war anfangs sehr skeptisch, ob ich es machen soll. Mir war sehr schnell klar, dass das Ganze gut werden musste – also richtig, richtig gut -, sonst wäre es die schlimmste Antiwerbung für mich, die man sich nur vorstellen kann. Ich habe eine sehr enge Verbindung zu meinen Fans, ich bin keine kommerzielle Sängerin, und es würde heißen, dass ich meine Seele an das kommerzielle Fernsehen verkaufe. Neun von zehn meiner loyalen Metal-Fans würden sagen: „Floor, was soll die Scheiße?“ Deshalb musste das Ganze wirklich sehr gut sein, damit ich alle davon überzeugen konnte. Doch es waren nur superkurze Proben mit der Band, die uns in der Show begleiten sollte, angesetzt, ich kannte die Musiker nicht, wir sollten Songs umändern und anpassen, die wir alle nicht kannten, und dann musste natürlich alles noch gut genug sein, um im Fernsehen damit auftreten zu können. Ich war wirklich total skeptisch. Ich habe sogar gesagt, wenn ich mich bei den Proben nicht wohlfühle, dann werde ich es nicht machen. Ich habe ihnen also wirklich das Messer an die Kehle gesetzt. Dabei ging es mir nicht um mich als Person, sondern weil ich mich wirklich unwohl mit der Ausgangssituation gefühlt habe und große Angst hatte, dass es nicht gut werden würde. Aber dann habe ich mit der Marcel Fisser Band gespielt, die ich vorher nicht gekannt hatte, und sie war unglaublich gut. Letztendlich ging dann alles wirklich glatt, und allmählich bekam ich das Gefühl, dass die Show funktionieren könnte, dass alles gutgehen würde. Es hat also tatsächlich viel Spaß gemacht, mal etwas völlig anderes auszuprobieren. Ich habe letztes Jahr auch ein bisschen mehr darüber gelernt, wie Fernsehen funktioniert und wie weit entfernt es von meiner Welt ist. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich von allen Teilnehmern der Show der Star werden würde, weil … Nun, ich werde bald vierzig, und ich mache Metal … Ich hatte vor allem gehofft, dass es für Nightwish und Metal generell einige Türen öffnen würde, dass sich die Menschen Nightwish mal anhören würden. Dass Metal nicht nur diese Klischees ist … satanisch, laut, nichts für mich. Diese ganzen Klischees haben nichts mit der Musik zu tun, sagen nichts über die Vielfältigkeit des Genres aus. Jetzt ist das sehr viel mehr Menschen bewusster, und das ist supercool. So viele Menschen haben jetzt Nightwish für sich entdeckt. Und meine Solokarriere ging plötzlich durch die Decke, seither läuft es großartig für mich in den Niederlanden. Ich habe das noch gar nicht alles begriffen, so viel ist bereits passiert und passiert immer noch. Aber ich nehme alles nach und nach in mich auf und genieße es. Es ist wirklich großartig.
SB: Die Pop- und Rock-Songs, die du für „Beste Zangers“ einstudiert hast – haben sie Lust auf mehr gemacht? Könntest du dir in Zukunft mehr in die Richtung vorstellen? Wenn genug Zeit ist, natürlich.
FJ: Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass es Spaß macht, selbst etwas zu schreiben, aber ich will mich auf nichts Bestimmtes festlegen und lasse das einfach mal auf mich zukommen. Ich habe schon immer viele verschiedene Genres gehört, nicht nur Pop oder nur Rock oder so, aber es ist immer inspirierend, Lieder zu singen, die anders sind. So wie dieses Album zum Beispiel.

Dann sind wir leider schon am Ende unserer Interviewzeit angekommen, und ich gratuliere Floor noch zu ihrem großen Erfolg und dass sich die viele harte Arbeit, die dahintersteckt, gelohnt hat. Und natürlich bedanke ich mich für ihre Zeit und das angenehme Gespräch an diesem harten Interviewtag mit viel zu wenig Schlaf, aber wenigstens gesicherter Brezenversorgung. Dank je wel, Floor!

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Wer sich ein bisschen in die hier dauernd angesprochenen Songs bei „Beste Zangers“ einhören will – sie lohnen sich alle -, sollte auf jeden Fall Floors Duett mit dem großen niederländischen Opernsänger Henk Poort ansehen, mit dem sie „Phantom of the opera“ gesungen hat – da ging ein persönlicher Traum von ihr in Erfüllung, hat sie mal irgendwo erzählt. Henk Poort war auch beim Konzert in Amsterdam mit auf der Bühne, und er ist generell eine tolle Neuentdeckung für mich. 

Das Konzert aus dem Melkweg in Amsterdam ist komplett auf YouTube und zeigt einen hervorragenden Querschnitt durch Floors beeindruckende Karriere – neben den Songs aus „Beste Zangers“ hat sie Lieder von Nightwish, After Forever, ReVamp und Northward gesungen, bei denen vor allem die paar versprengten Metalfans im Publikum richtig schön ausgerastet sind.
Eigentlich hätte jetzt im März noch mal ein großes Konzert in Amsterdam stattfinden sollen, für das es sogar eine extrem erfolgreiche Crowdfunding-Aktion gab, um den Abend professionell zu filmen und auch eine Backstage-Dokumentation zu erstellen. Wegen der im Moment allgegenwärtigen, äußerst ernsten Corona-Krise musste auch dieses Konzert wie so viele andere abgesagt werden. Ein neuer Termin wird hoffentlich gefunden, und dann lasst euch den Stream nicht entgehen!

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