Lost in aviation oder Alles wird ASG

Das Jahr ist zwar noch jung, aber ganz bestimmt nicht arm an Highlights. Ein ganz besonderes ist wie immer der Katzenclub, dessen hervorragender Ruf sich mittlerweile schon international herumgesprochen hat. Die Party- und Konzertreihe holt zuverlässig die Acts nach München, die man hier unbedingt sehen möchte und für die man ansonsten meistens quer durch die Republik auf einschlägige Festivals reisen müsste. Zusammen mit den abwechslungsreichen Partys, die bis in die frühen Morgenstunden dauern und die man entweder mit exzessivem Quatschen oder genauso exzessivem Tanzen verbringen kann, freut man sich gern ein paar Wochen oder Monate im Voraus auf die Termine. Heute Abend ist es nach dem rauschenden Festival im November endlich wieder soweit, und mit The Devil & The Universe, Agent Side Grinder und Clan of Xymox hat man ein so internationales wie gothisch epochen- und stilübergreifendes Paket geschnürt. Extra früh soll es losgehen, damit die Party nach den Konzerten dann auch einigermaßen pünktlich anfangen kann.
DSC_1505Um sieben legen daher die Österreicher The Devil & The Universe mit ihrer ganz besonderen Show aus Videoeinspielungen, Trommeln, Gitarren, wilden Synths und noch wilderer Performance los. Sie waren Teil des Festival-Line-ups im Jahr 2018, und es ist schön, sie jetzt wieder in München begrüßen zu dürfen. Die Kranhalle ist schon gut gefüllt, die Bühne wie immer nahezu stockfinster, doch spätestens beim zweiten Song erkennt man drei Ziegenmasken auf der Bühne, die da allerdings auch schon wieder abgestreift werden. Im Gepäck haben Ashley Dayour, David Pfister und Stefan Eisbacher ihr aktuelles Album Endgame 1969, von dem es auch diverse Songs wie „Satanic (don’t) panic“, „Altamond apocalypse“, „Kalis tongue“ oder den Titelsong zu hören gibt. Einzelne Titel herauszustellen ist aber eigentlich nicht nötig; man lässt den Auftritt besser als Gesamtkonzept und an einem Stück auf sich wirken. So viel passiert auf der Bühne – Ashley wechselt furios zwischen Trommeln und Gitarre und bearbeitet beide Instrumente mit vollem Einsatz; David und Stefan an den Synths und E-Pads gehen zwar räumlich beschränkter, aber ansonsten nicht minder ab – und auf der Leinwand dahinter, dass man eigentlich gar nicht genau weiß, wo man hinschauen soll. Auf jeden Fall soll man sich aber von der Mischung aus ritualistischen Trommeln, sägenden Gitarren, Samples, seltenen Vocals und theatralischen Synthmelodiebögen einfangen lassen. Zumindest bei mir klappt das hervorragend, und ich denke, bei einem Großteil des Publikums auch, das entgegen Ashleys Vermutung sicher nicht schläft, sondern still genießt. Applaus gibt es natürlich trotzdem reichlich für die drei Kuttenmänner, die zwischen das neue Material auch einige Klassiker wie „The church of the goat“ oder „What time is love“ einstreuen. Eine Zugabe gibt es auch noch (inklusive Epilepsiewarnung auf der Leinwand, und ja, das nachfolgende Video zuckt heftig, aber auch faszinierend), bis The Devil & The Universe um Viertel nach acht dann hoffentlich doch zufrieden und mit einem dicken Dank ans Publikum und den Katzenclub abgehen.

Danach sollen eigentlich die von vielen sehnsüchtig erwarteten Schweden von Agent Side Grinder auftreten (auch sie haben beim Festival 2018 einen hervorragenden Eindruck hinterlassen), wegen ihnen dürfte ein Großteil der Halle heute hier sein. Vor allem auch ein schwedisches Pärchen, das neben mir steht und mit dem ich mich ein bisschen unterhalte, das extra wegen dieses Abends von Südschweden angereist ist. So viel zur internationalen Bekanntheit des Katzenclubs! Leider dauert das Warten immer länger, es wird immer heißer in der knallvollen Kranhalle (irgendwo läuft auch die Heizung – sehr sinnvoll), und nur sehr spärlich spricht sich herum, dass das Equipment von ASG nicht mit ihnen in München gelandet ist und man ziemlich verzweifelt danach fahndet und überlegt, wie man es ins Feierwerk bekommt. Dass das natürlich die Albtraumsituation für Band und Veranstalter schlechthin ist, ist völligst klar – eine kurze Info ans Publikum wäre hier trotzdem super gewesen. Gothen sind ja aber zum Glück pragmatisch, und so wird die Wartezeit schon mal für exzessives Ratschen verwendet. Die große Frage ist jetzt nur, ob Clan of Xymox früher als geplant auftreten und was überhaupt als Nächstes passiert.

DSC_1687Clan of Xymox beginnen ihr Set dann aber doch wie geplant um zwanzig vor zehn, und zum Glück erlöst uns Ronny gleich am Anfang, indem er bekannt gibt, dass ASG im Anschluss noch auftreten werden und dass man dran ist, das Equipmentproblem zu lösen. Na, dann können wir uns ja jetzt in Ruhe auf die Szeneveteranen freuen, die in München immer wieder gern gesehene Gäste sind! Seit bald vierzig Jahren hält der Leipziger Niederländer Ronny Moorings Clan of Xymox unermüdlich am Leben und hat sicher nicht wenige der heute Anwesenden ihr ganzes Gruftileben lang begleitet. Heute steht Ronny zusammen mit Mario Usai am Bass, Daniel Hoffmann an der Elektronik und Sean Goebel an Synth und Sonderinstrumenten auf der Bühne, und mit „Stranger“ erklingt gleich ein überhaupt nicht „stranger“ Song, sondern ein vielgeliebter Klassiker. Im Lauf der nächsten knapp anderthalb Stunden spielen sich Clan of Xymox ziemlich quer durch die Bandhistorie, sodass sicher für jeden etwas dabei ist. Besonders schön am Anfang ist der „Frauennamenblock“, „Louise“, „Emily“ (mit Mini-Keyboard-Akrobatik von Sean Goebel) und „Hail Mary“. Danach brauche ich kurz frische Luft, die Halle ist schon SEHR voll im Moment, doch ich bin pünktlich zu einem brandneuen Song zurück, „She“, der offiziell am Valentinstag veröffentlicht wird, aber nach Ronnys Aussage eigentlich ein „Anti-Valentinstag-Song“ ist. Gut ist er auf jeden Fall, und das ist ja die Hauptsache. Bald ist es dann auch schon Zeit für die Zugabe, und die hat es mit insgesamt sechs Songs in sich. „In love we trust“ wird spontan in „In Munich we trust“ umbenannt, durch die „Back door“ verschwindet heute niemand, aber irgendwann müssen wir dann doch „Farewell“ sagen. Clan of Xymox haben uns auf eine schwelgerisch-melancholische Zeitreise durch unsere Gothic-Vergangenheit mitgenommen, mit dem neuen Titel „She“ aber eindrücklich bewiesen, dass sie noch viel zu sagen haben. Bedankt, CoX!

DSC_1812Wir werden recht schnell aus der verträumten Stimmung gerissen, denn jetzt setzt auf der Bühne die große Hektik ein. Ein Bandequipment wird rasend schnell abgebaut, das andere wird ebenso hastig aufgebaut, wir in den ersten Reihen verfolgen das Geschehen mit Argusaugen, ob auch wirklich alle superspeziellen Geräte von Agent Side Grinder angekommen sind. Als nach einigem Experimentieren die Stahlfeder hängt und auch Peter Fristedts Bandmaschine da steht, wo sie stehen soll, atmen wir durch und glauben so langsam, dass das, worauf wir tatsächlich jetzt schon echt lange warten, heute doch noch passieren wird: ein Auftritt unserer Schwedenlieblinge, die sich mit ihrem einzigartigen Sound und über einen einschneidenden Besetzungswechsel hinweg (wir erinnern uns, drei Bandmitglieder gingen, und nur einer kam dafür – aber mit Emanuel Åström am Mikro hat man einen großen Glücksgriff getan) in den letzten Jahren in unsere Herzen gespielt haben. Der Soundcheck wird in etwa zehn Minuten durchgeprügelt, am meisten Probleme macht lustigerweise die Stahlfeder, die zuerst noch viel zu laut eingestellt ist und bei der man das Gefühl hat, neben einer schlagenden Glocke zu stehen. Die Synths von Johan Lange und Peter Fristedt sind weniger widerspenstig, und Emanuels Mikro tut auch schnell so, wie es soll. Die Band ist merklich gestresst, aber auch erleichtert, und möchte trotz der späten Stunde (mittlerweile ist es Mitternacht) erst noch mal kurz hinter die Bühne – natürlich! Ein paar Minuten später kommen sie im Bühnenoutfit zurück, und Emanuel bedankt sich erstmal überschwänglichst für unsere Geduld – „People of Munich, we owe you!“ – und erzählt kurz, was für ein Krimi der Tag bisher für die Band war. Dass das Gepäck irgendwo zwischen Stockholm und München (oder auch Kopenhagen oder Warschau, so genau weiß man es nicht) verloren gegangen ist und fünf von sechs Cases um halb elf Uhr abends dann im Feierwerk waren. Zwei Synths wurden im Hintergrund hektisch in München organisiert. Nach der kurzen Einleitung legen ASG dann furios mit „In from the cold“ vom aktuellen Album A/X los, das Publikum erweist sich als textsicher und tanzfreudig – kurz, die Stimmung ist ab dem ersten Takt auf Anschlag. Rasant geht es weiter mit dem Klassiker „Life in advance“, wir grooven mit dem auf der Bühne abgehenden Emanuel, und richtig groß wird der Jubel, als er einen „Rave“ im „ASG style“ ankündigt – das legendäre „Mag 7“, das sich so unglaublich hypnotisch und clever aufbaut und von den spärlichen Vocals noch vorangepeitscht wird – heute noch mal extraintensiv, die Band spielt die ganze Anspannung des Tages raus (wie den ganzen Auftritt über). Hier darf die Stahlfeder auch zeigen, dass sie uns nicht nur das Zwerchfell zerlegt, sondern songdienlich Geräuschakzente unter Johans Händen liefert.
Emanuel bemerkt zwischen immer wiederkehrenden Dankesbekundungen, dass es verflixt warm hier in der Halle ist, also „let’s make it warmer!“ Auf die Frage „Are there any goths in here?“ antwortet ihm Gelächter und Jubel, und davon angefeuert stürzen sich ASG in das zwingende „Inner noises“, bei dem mindestens die ersten Reihen ordentlich eskalieren. Das tut Emanuel auf der Bühne auch, rennt hin und her, gestikuliert, schwingt den Mikroständer und kommt ganz nach vorne zum Publikum. Rockstar – ASG style! Peter und Johan bedienen hochkonzentriert, aber nicht minder leidenschaftlich ihre Synths und die kultige Bandmaschine, das ebenso kultige Saxophon beim folgenden „Stripdown“ kommt leider aus der Konserve. „Let the giants fall“ vom Album Alkimia gehört live einfach dazu und wird dementsprechend laut bejubelt. Dann bedankt sich Emanuel noch mal bei uns allen, Johan bedankt sich bei Vadim für die geliehenen Synths (auf denen er noch nie gespielt hat, wie er sagt, aber gemerkt hat das außer ihm niemand), und überhaupt bedanken sich alle für die Musikcommunity, das Vertrauen, die Freundschaft und wie alle einander aushelfen. Vor allem bedanken sie sich aber bei uns, den Fans: „Without you we are simply nothing.“ Bevor wir alle zu gerührt sind, geht es schnell mit „Doppelgänger“ weiter, dem hochmelodischen „This is us“ und dem Übersong der Band, „Wolf hour“ – leider nicht wie am Amphi mit Henric de la Cour, aber wir schwelgen trotzdem. Zwischendrin stellt Emanuel noch die Band vor – Johan Lange zu seiner Linken ist der „best songwriter and musician I know“ (Johan winkt sehr verlegen ab), Peter Fristedt zu seiner Rechten der „strangest songwriter and musician I know“ (Peter grinst). Mittlerweile ist es eins, und die Band versucht, von der Bühne zu gehen, aber „Allisin Sane (No. 2)“ als superintensive Zugabe muss noch sein. Dann geht der beste Auftritt zu Ende, den ich von Agent Side Grinder je sah (und das sind mittlerweile doch einige). Tack, grabbar, det var helt imponerande hur ni vände denna mardrömsdagen och firade grymmaste ASG-raven med oss!

Danke an das Katzenclub-Team für diesen phänomenalen Konzertabend, und dass aus dem Gepäckkrimi noch ein Mitternachtsspecial wurde! Danke an alle Bands für ihren Besuch in München, danke an das geduldige und feierlustige Publikum, das nach den Konzerten die Party noch zum Kochen brachte. Ende März gibt es den nächsten Katzenclub, unter anderem mit Hante., Minuit Machine und Box and the Twins!

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