Youth gone wild



In seligen Teenagerzeiten (ja, ist zwar schon lang her, aber ich erinnere mich noch) hing ein fast menschengroßes Poster von Sebastian Bach in meinem Zimmer, was sogar meiner nicht wirklich metal-affinen Mutter ein „Oh, das ist aber ein hübscher Mann“ entlockte. (Komisch, beim Danzig-Poster daneben sagte sie das nicht.) Hübsch war er natürlich, aber mir war tatsächlich auch damals schon die Musik wichtiger, die ersten beiden Skid-Row-Scheiben liefen bei mir rauf und runter, und ich höre sie bis heute regelmäßig und sehr gerne, auch wenn der sonstige Metal-Musikgeschmack etwas weniger melodisch geworden ist. Nur live hatte ich die Songs noch nie gehört, und das musste unbedingt nachgeholt werden!

double-crush-syndromeSo wie mir ging es offensichtlich einem ganzen Haufen Menschen nicht mehr ganz jungen Alters, teilweise noch in die T-Shirts von damals gewandet, die langsam, aber sicher die Backstage Halle füllten. Bei Double Crush Syndrome war das Publikum noch etwas weit gestreut, bei Herrn Bach wurde es dann allerdings vor der Bühne doch sehr, sehr kuschlig. 
Double Crush Syndrome, mit dem höchst agilen Andy Brings und seinen Mitstreitern an Bass und Schlagzeug, machten ihre Sache nichtsdestotrotz gut, und man merkte vor allem dem Bandleader die langjährige Bühnenerfahrung an. Schnell kam bei rotzrockigen Songs wie „She’s a Pistol“, „We cannot be ruled“, „Blood on my Shirt“ oder „Die for Rock’n’Roll“ und diversen anderen vom Debütalbum The You Filter ausgelassene Stimmung auf. Die Band gab alles, erledigte ihren Job als Anheizer für Sebastian Bach ausgezeichnet, und Andy Brings konnte durch ein großes „Youth gone wild“-Tattoo auf einer Körperhälfte überzeugend sein lebenslanges Skid-Row-Fantum unter Beweis stellen (später stand er bei Herrn Bach dann in der ersten Reihe). Nach einer halben Stunde und einem kleinen Ausflug des Sängers ins Publikum war dann zwar schon Schluss, bei den Zuschauern dürften Double Crush Syndrome aber dennoch einen guten Eindruck hinterlassen haben. 

sebastian-bachDann hieß es warten, schwitzen und noch mal warten. Die ersten Reihen vor der Bühne waren zu 99 % weiblich belegt, und die Anhängerinnen brachten sich mit Sprechchören, in denen Sebastian Bach und seine diversen ansprechenden Körperteile gefordert wurden, in Stimmung. Um neun ging es dann endlich los, der Hüne in den besten Jahren enterte die Bühne und legte mit Begleitband gleich richtig los: „Slave to the Grind“ vom gleichnamigen zweiten Skid-Row-Album donnerte aus den Boxen, zwar noch mit etwas zu hektischem Gesang, aber das war egal. Der Klassiker fuhr sofort in Nacken und Beine, und der Jubel kannte keine Grenzen. 
Etwas ruhiger ging es mit „Temptation“ weiter, vom aktuellen Solo-Album Give ‚em Hell, das natürlich auch nett anzuhören ist, aber irgendwie waren doch alle wegen der alten Songs hier, was man bei „The Threat“ wieder ganz deutlich merkte. Auch „Big Guns“ vom selbstbetitelten ersten Skid-Row-Album ludt zum Mitgrölen ein, „Piece of me“ gewährte auch keine Verschnaufpause, die erst bei „Harmony“ – wieder aus Bachs Solokarriere – eintrat. 
Diese war auch nötig, denn danach folgte der erste wirklich große songtechnische Höhepunkt des Abends, die Überhymne „18 and Life“. Alle in meiner Umgebung sangen mit, einfach alle, das hatte schon was. Bach schien sich ehrlich über die Publikumsreaktionen zu freuen, auch wenn diese ihn nicht überrascht haben dürften. Überhaupt wirkte er rundum sympathisch, quatschte zwar auch viel eher Belangloses, aber unterhielt die Meute damit bestens. Insgesamt kam er vollkommen uneitel rüber, trotz des immer noch guten Aussehens (wobei er mir tatsächlich jetzt als Mann noch viel besser gefällt als früher, mit Falten und ein paar Kilo mehr auf den Rippen). Außerdem schnitt er herrliche Grimassen und grinste immer wieder breit durch die schon bald vollkommen verschwitzten Strähnen. Nach nahezu jedem Lied wurden die „25 Years of Rock’n’Roll“ beschworen, die der Mann nun schon mit Skid Row und Solo lebt, als Zuckerl für das deutsche Publikum gab es angespielte Accept– und Scorpions-Songs, die geschickt als Einleitungen zu Tracks wie „American Metalhead“ eingebaut wurden. 
Nach „Taking back tomorrow“, einem weiteren Song der Solo-Karriere Bachs, wurde es wieder sehr gefühlvoll und alt, „In a darkened Room“ ist immer noch eine großartige Powerballade, bei der das halbe Publikum wieder mitsang, ebenso bei den nachfolgenden „Monkey Business“ und „I remember you“.
Als Letztes durfte natürlich DER Überhit nicht fehlen, bei „Youth gone wild“ drehte die Halle komplett durch, ich fühlte mich endgültig wieder wie vierzehn, und um mich rum waren alle einfach nur glücklich. 
Danach gingen allerdings die Lichter an, es gab keine explizite Zugabe (was bei einer Spielzeit von neunzig Minuten aber auch okay war), und man musste wieder zurück in die Gegenwart. 

Fazit: Auch wenn der Sound nicht optimal war und Herr Bach immer noch zu sehr zum Schreien neigt (eigentlich kann er wirklich verdammt gut singen, wenn er in den tieferen Regionen bleibt), war’s für mich ein großartiger Abend mit vielen Songs, die ich schon immer mal live hören wollte. Die Begleitband blieb neben Herrn Bach etwas blass, machte ihre Sache aber nicht schlecht.
Insgesamt muss man aber schon sagen, dass Sebastian Bach vom Ruhm der alten Skid-Row-Sachen lebt und er mit seinem Solo-Material – was guter Kick-ass-Rock’n’Roll ist, aber auch nicht mehr – sicher nicht so viele Leute in die Konzerthallen locken würde. Trotzdem ein souveräner und feiner Auftritt, der nicht unnötig wirkte und auch nicht nach „ich muss dringend Geld verdienen und nudel mal ein paar alte Songs runter“. 

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Sebastian Bach Setlist

1. Slave to the Grind
2. Temptation
3. The Threat
4. Big Guns
5. Piece of me
6. Harmony
7. 18 and Life
8. Tunnel Vision
9. American Metalhead
10. Taking back tomorrow
11. In a darkened Room
12. Monkey Business 
13. I remember you
14. All my Friends are dead
15. Youth gone wild

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