Der Abend, der eigentlich ganz anders geplant war
Es ist Sommer, das Free & Easy im Backstage bietet wie jedes Jahr einige Wochen voller Musik, das Rundum-Sorglos-Paket für alle an alternativen Musikstilen Interessierten. Das schwarz-elektronische Programm für den Samstagabend stand allerdings unter keinem guten Stern – erst mussten Enter & Fall vor einiger Zeit absagen, dann schließlich vor wenigen Wochen auch noch Suicide Commando, da sich Johan van Roy einer Knie-OP mit darauf folgender langwieriger Rehabehandlung unterziehen musste. Die Enttäuschung war erst groß, doch dann verpflichteten die Veranstalter mit Solar Fake, E-Craft und .Com/Kill einige Hochkaräter der Szene als Ersatz. Wenn das mal nicht vielversprechend klang.
Den Abend läuteten dann vor einem lose gefüllten Werk Accessory ein, die sich auch schon diverse Jahre in der Szene tummeln, mir bisher aber noch kein Begriff waren. Gerechnet hatte ich mit eher Synthiepop-lastigen Songs, serviert bekam das Publikum recht technoide Stampfbeats, die sich zum Tanzen gut eigneten, zum puren Zuhören auf die Dauer etwas ermüdend waren. Das Publikum vor der Bühne fand das Gebotene aber durchaus ansprechend (und die Band hat auch eine gute Show abgeliefert, keine Frage, mein Geschmack war’s halt eben nicht so sehr) und tanzte sich zu Songs wie „Voran“, „Tanzflächenmann“, „She says it feels good“ oder „Shout it out“ ordentlich warm.
Recht stampfig und hart-elektronisch ging es mit E-Craft weiter, auf die ich mich eigentlich gefreut hatte, vor allem hoffte ich, den alten Club-Hit „Schmerzpervers“ zu hören sowie viel weiteren schönen Oldschool-EBM. Leider sind E-Craft mittlerweile auch um einiges elektronischer und technoider geworden, sodass hier bei mir derselbe Effekt eintrat wie bei Accessory: Grundsätzlich war das alles gut, die Band sehr, sehr engagiert und spielfreudig, das Publikum direkt vor der Bühne war begeistert – nur wenn man etwas weiter weg am Rand stand, dann dröhnte doch alles mehr oder weniger an einem vorbei.
E-Craft spielten mit „Humanity“, „Rearrested Pt.1“, „Gone Pt.1“ und „Something to eat“ einige Songs aus ihrem neuen Album ReArrested, älteres Material wurde weitestgehend außen vor gelassen. Schade.
Etwas düsterer und introvertierter wurde es danach mit .Com/Kill, dem Nebenprojekt der Diary-of-Dreams-Leute Adrian Hates und Gaun:A. Die Einflüsse der Hauptband sind unverkennbar, doch ist die Musik etwas knarziger, noch düsterer, sperriger … dazu passte dann an diesem Abend auch die katastrophale Bühnenbeleuchtung. Wie schon bei den beiden Bands zuvor war es schwer, die Musiker von .Com/Kill überhaupt auf der Bühne zu erkennen. Muss das so sein?
Immerhin stimmte die musikalische Qualität, .Com/Kill konnten eine schöne Atmosphäre auf der Bühne erzeugen, auch wenn ihr Sound für den gesamten Abend vielleicht doch etwas zu wenig auf Party und Stimmung ausgerichtet war. Ich habe mich aber über Songs wie „Das Blendwerk“, „.Com/Kill one“, „Monster divine“ oder den hypnotischen Ohrwurm „Freaks like us“ gefreut.
Richtig, richtig voll wurde das Werk dann allerdings erst zu Solar Fake. Auch wenn Sven Friedrich und sein Keyboarder Andre (Frank scheint jetzt offiziell nicht mehr dabei zu sein, sehr schade) oft touren und auf den einschlägigen Festivals zu Gast sind, kann man sich die beiden immer wieder anschauen. Vom ersten Moment herrschte ausgelassene Stimmung im Publikum, und die fast anderthalb Stunden des Auftritts gingen rasend schnell vorbei. Trotz eher grottigen Sounds (wie auch schon bei den anderen Bands) wurde das Hit-Feuerwerk von Solar Fake eifrig bejubelt, Sven war umwerfend sympathisch und charmant wie immer, und Keyboarder Andre tobte hinter seinem Instrument. Wer Solar Fake mag und schon mal live gesehen hat, der weiß, wie glücklich einen die Musik macht. Wer noch kein Konzert von ihnen gesehen hat, sollte es schnellstens nachholen. Elektro vom Feinsten, mal synthiepoppig anschmiegsam, mal rauer und elektronischer, alles garniert mit einer der schönsten Singstimmen der schwarzen Szene. Einfach wohltuend!
Setlist Solar Fake:
I hate you more than my life
Face me
No Apologies
Here I stand
Change the View
Radical
More than this
Reset to default
Parasites
Where are you
Pain goes by
My Spaces
One Step closer
The Pages
Under the Skies
Such a Shame
Fazit: Abgesehen vom unterirdischen Licht und dem alles andere als optimalen Sound war es insgesamt ein schöner Abend mit einer vielfältigen Bandauswahl. Dem Publikum hat es meinem Eindruck nach auch gut gefallen, und viele sind nach den Konzerten noch zur Aftershowparty mit DJ Sconan und der Blackpaintingcrew geblieben.
(7604)