Ausgefeilte Soundlandschaften
Der April verspricht ein Monat voller Metal-Highlights zu werden (unter anderem mit dem Dark Easter Metal Meeting an Ostern), und den Anfang machen Harakiri for the Sky, die mit der Tour zum neuen, sechsten Album Scorched earth erfreulicherweise auch im Münchner Backstage aufschlagen. Melancholischer und zugleich wütend-verzweifelter Black Metal ist geboten, mit im Gepäck haben die Österreicher die Schweden/Niederländer von Dödsrit und die Schweizer*innen von E-L-R. Ein spannendes Package, das einige Facetten extremen Metals präsentiert und auf dessen Live-Umsetzung ich schon gespannt bin. Dann mal los!
Nachdem die Backstage Halle schon seit einiger Zeit ausverkauft ist, bin ich extrafrüh da, um einen guten Platz zu bekommen. Dafür verzögert sich der Einlass um eine gute Viertelstunde, aber die geht mit Quatschen mit lieben Bekannten gut rum, und schließlich sind wir drin. Bei ihrem letzten Besuch in München 2022 haben Harakiri for the Sky auf dem Dark Easter und drüben im Werk gespielt, ich finde die Größe der Halle aber gar nicht schlecht, diese Art Musik kann direktere Nähe zum Publikum gut vertragen. Die Bühne ist noch in Dunkel getaucht, links und rechts stehen zwei hohe Ständer mit einem Ring, von dem diverse getrocknete Pflanzen und Blüten herunterhängen, wir identifizieren unter anderem Hopfen. Sehr stimmungsvoll, noch atmosphärischer wird es dann, als E-L-R mit ihrem Auftritt beginnen. Ein paar wenige Glühbirnen und Strahler reichen als Beleuchtung, Gitarristin S. M. steht links, Bassistin I. R. rechts, M. K. sitzt ganz hinten am Schlagzeug. Doomgaze spielt das Trio nach eigener Angabe, und das beschreibt die oft schwebende, oft tonnenschwere Musik schon sehr gut. Die Songs – wie der Opener „Glancing limbs“ vom Debütalbum Mænad – sind zum großen Teil instrumental und hochgradig hypnotisch, sie beginnen ruhig und atmosphärisch, um sich dann immer weiter zu steigern. Der oft zweistimmige Gesang der beiden Frauen ist zart und ätherisch und fügt sich wie ein weiteres Instrument in den Gesamtsound ein. Diese Mischung, zusammen mit der überaus stimmigen Bühnendeko und Beleuchtung, ist ziemlich einzigartig und sehr, sehr faszinierend. Am besten schließt man die Augen und lässt sich von Songs wie „Fleurs of decay“, „Three winds“ oder dem schwyzerdütschen „Forêt“, alle vom zweiten Album Vexier, mitreißen. Ein toller Einstieg in den Abend!
Weiter geht’s nach kurzer Umbaupause mit Dödsrit („Todesritus“) aus Schweden und den Niederlanden. Die Truppe um Sänger/Gitarrist Christoffer Öster (der Dödsrit bis vor einiger Zeit noch als Ein-Mann-Projekt betrieben hat) startet furios mit „Irjala“ vom aktuellen Album Nocturnal will, ein so melodischer wie erbarmungsloser Brecher, der die hypnotische Stimmung bei E-L-R aufnimmt und weiterführt. Das ist auch Programm für die nächsten Songs, die alle von Nocturnal will beziehungsweise dem Vorgänger Mortail coil stammen. Ausgefeilte Soundlandschaften in Überlänge, bei denen sich Christoffer und Georgios Maxouris an der zweiten Gitarre den Gesang teilen, was ebenfalls richtig schöne Akzente setzt. Neben wilden Black-Metal-Eruptionen lassen nicht nur die Crustpunk-Passagen aufhorchen, sondern auch die – und ja, das passt zusammen – cleanen Gitarrenleads, die an alte NWBHM-Zeiten erinnern. Nach „Apathetic tongues“ lassen Dödsrit das Publikum alles andere als apathisch zurück, ganz im Gegenteil.
Beim Warten auf den Headliner Harakiri for the Sky merkt man jetzt auch die ausverkaufte Halle, es wird zunehmend enger, und freudige Erwartung liegt in der Luft. Auf Scorched earth hat die Band ihren Post-Black-Metal-Sound mit einigen Kollaborationen und neuen Elementen erweitert, und sicher bin nicht nur ich gespannt, wie das Ganze dann auf der Bühne wirkt. Die Deko ist jedenfalls schon mal vielversprechend – zurückhaltend, aber effektvoll. Auf dem Boden liegen vier dünne Teppiche mit den Anfangs-„Runen“ des Bandnamens, diese „Runen“ finden sich auch auf Aufstellern zu beiden Seiten des Drumkits wieder, die Teil des Beleuchtungskonzepts sind. Nach dem Klavierintro bricht „Keep me longing“ mit voller Wucht über uns herein. J. J. läuft wie immer wie ein gefangenes Tier auf und ab, schreit die ganze Wut und Verzweiflung seiner Texte hinaus und hält nur gelegentlich kurz inne, während M. S. und die anderen Musiker ein Soundgewitter nach dem anderen entfachen. Die Band spielt sich neben den Songs vom aktuellen Album auch ein wenig durch die Historie, und besonders „Fire, walk with me“ von Arson und „Funeral dreams“ von III:Trauma werden noch ein bisschen lauter bejubelt. Ein weiterer Höhepunkt ist der Gastauftritt von P. G. von Groza am Mikro, der das Radiohead-Cover „Street spirit (fade out)“ auch auf Scorched earth eingesungen hat. Auch live ist der Song in dieser Zusammensetzung einfach nur wunderschön und gefühlvoll, und am Ende umarmen sich P. G. und J. J. lange. Toll! Beim epischen „Song for the damage we’ve done“ von Maere springt J. J. sogar ins Publikum und singt von dort aus weiter – sehr unerwartet und sehr cool. Als Zugabe gibt es dann noch den ganz alten Bandklassiker „Lungs filled with water“ von Harakiri for the Sky, der von allen gebührend abgefeiert wird.
Ein großartiger Einstieg in den Metal-April mit drei im Kern grundverschiedenen, aber trotzdem hervorragend zueinander passenden Bands, die die Atmosphäre im Lauf des Abends immer mehr steigern und verdichten. E-L-R und Dödsrit sind für mich tolle Live-Neuentdeckungen, und nachdem ich früher immer nicht so ganz mit Harakiri for the Sky warm geworden bin, haben sie mich seit einigen Jahren mit ihrer Mischung aus zum Heulen schönen Gitarrenmelodien und purer Verzweiflung sowie vor allem der Wucht ihrer Live-Auftritte voll und ganz überzeugt. Ein runder Abend also, der niemanden enttäuscht haben dürfte.
Setlist Harakiri for the Sky:
Keep me longing
With autumn I’ll surrender
Fire, walk with me
Heal me
Funeral dreams
Street spirit (fade out) Radiohead-Cover mit P. G.
Sing for the damage we’ve done
Lungs filled with water
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