The Machinists United – Double Headliner Show

P1110078Vom letzten Konzert von Die Krupps in der Kranhalle des Münchner Feierwerks ist mir ehrlich gesagt vor allem die tolle australische Vorband The Red Paintings in lebhafter Erinnerung geblieben. Dabei waren die Mannen um Mastermind Jürgen Engler gar nicht schlecht, aber mit der Mischung aus Kunst, Bühnenperformance und der ungewöhnlichen Musik stahlen die Australier ihnen zumindest für mich die Show. Die Kanadier Front Line Assembly, die ich schon seit gefühlten Ewigkeiten nicht mehr gesehen habe, passen sicherlich besser, denn so liefern sich zwei legendäre EBM-Industrial-Bands eine hochkarätige Double-Headliner-Show. Grund genug die morschen Knochen am Ende eines völlig verregneten Dienstags ins Backstage zu schwingen. So dachten auch etliche andere Anhänger harter Klänge, denn die Halle wird sich heute gut füllen. Den Anheizer-Part übernimmt die EBM-Band Tension Control.

P1100747Gegen 20:00 ist die Halle noch locker gefüllt, viele sind noch draußen beim Rauchen. Mit „Go for gold“ und „The world is going down“ wird das Set eröffnet. Tension Control spielen schnörkellosen klassischen EBM in einer Mischung aus Front 242 und Nitzer Ebb, die von harten Beats getrieben wird. Bei „Fortschritt durch Technik“ und den deutschen Texten generell kommt eine Prise DAF dazu. Beide Musiker tragen Pilotensonnenbrillen, das unterstreicht die Härte im Sound und wirkt ein bisschen unnahbar. Wie ich später noch herausfinden werde, haben die Pilotenbrillen noch einen anderen und viel wichtigeren Zweck. Nun begrüßt der Mann am Korg-Synthesizer Eli Van Vegas einen Fan in der ersten Reihe, und Sänger Michael Schrader entledigt sich der Pilotenbrille, denn ihm ist warm und er hat Durst. „Ich hätte gern ein Bier.“ – „Hier hast du ein Bier.“, das ihm der Kollege netterweise herüberreicht, allerdings schon recht leer. „Wir sind aus Osnabrück, und hier gibt man uns das: Becks aus Bremen!“ Da hat er im Bierland Bayern wohl etwas anderes erwartet. Auch „Big black boots“ geht in die Beine, und spätestens zu „Das ist Sex“ tanzt der ganze vordere Bereich. Weiter geht es mit „European Body Music“, nach dem Schrader feststellt: „Jetzt hat uns immer noch keiner Bier gebracht, wir sind hier in der Wüste!“ Da reicht ihm jemand aus dem Publikum sein Bier hoch, und so freut er sich über ein König Ludwig: „Das kann was!“ Zum Ende von „Euroträume“ singt er: „München aus Gold!“, dafür bringt ein Fan endlich zwei goldene König Ludwig vorbei. Im folgenden „Passion for aggression“ heißt es: „Raise your fist!“, das kann er nun mit einem Bier in der Hand tun. Damit verabschiedet sich die Band kurz, wird aber vom Publikum, das jetzt zahlreicher geworden ist, zurückbeordert. Die Zugabe „Im Rhythmus der Maschinen“ klingt für mich ein bisschen nach „Machineries of joy“ von Die Krupps, das passt, steigert die Vorfreude und bringt der Band den verdienten Applaus zum Abschied nach diesem halbstündigen Gig.

P1100879Während der Umbaupause füllt sich die Halle auf ca. drei Viertel der Kapazität, es ist heute also nicht ausverkauft. Endlich startet die Intro-Sequenz, und Front Line Assembly betreten die Bühne. Jason Bazinet an den Drums formt mit den Sticks ein Kreuz, dann geht es mit „Anthropod“ los. Beidseitig der Bühne sind die Synthies zu derart hohen Gefechtstürmen aufgebaut, dass die Personen dahinter vom Publikum aus nicht zu sehen sind, nur ab und zu ragt der Kopf von Rhys Fulber hervor. Außerdem ist alles mit Tarnnetzen abgehängt, sogar das Schlagzeug. Das lenkt aber natürlich den Blick ganz bewusst auf den Sänger Bill Leeb. Andererseits ist teilweise ohnehin nicht viel zu sehen, denn massive Stroboskop-Blitze blenden das Publikum. Auch Bazinet trägt eine Pilotensonnenbrille, das Modell Elvis, er weiß warum. Ich wünschte, ich hätte auch eine, denn sinnigerweise beginnen meine Augen beim zweiten Song, „Eye on you“, zu tränen, ich bin aber zugegebenermaßen recht lichtempfindlich. So extrem habe ich das aber lange nicht mehr erlebt. „Thank you for coming tonight!“ bedankt sich Leeb beim Publikum, und zu „Neologic spasms“ stellt er sich selbst noch zusätzlich an eine große Pauke. Bei „Killing grounds“ bricht nun endgültig der Pogo aus. Kein Wunder, denn die Musik insgesamt ist wunderbar vielschichtig und abwechslungsreich, die Live-Drums bringen eine dynamischere Note rein, als ein reiner E-Beat dies vermag. Leider entfällt die Live-Gitarre, so dass diese von der Konserve dazugemischt wird, aber das tut der Stimmung keinen Abbruch. Zum ruhigeren „Vanished“ kann man sich kurz erholen, dann bei „Shifting through the lens“ auch schon wieder begeistert mitklatschen. „Gun“ beginnt mit einem ruhigen Intro, doch dann liefern sich Leeb und Fulber an den Pauken ein Trommelgefecht, sodass hier gleich drei Drummer zu Werke gehen. Untermalt wird das Ganze vom Stroboskop, und ich habe natürlich immer noch keine Pilotenbrille. Die Menge reagiert P1100885_2euphorisch, und Leeb freut sich über den Jubel: „You’re allright, her’s another one!“ Und damit wiederholt sich das Spiel bei „Plasticity“. Während des nächsten Songs „Deadened“ fällt mir auf, dass das Tarnnetz im Rhythmus der großen Bassdrum pulsiert, der Effekt erinnert mich an einen Herzschlag. Nun wird mit „Millennium“ der letzte Song angekündigt, bei dem Leeb noch einmal an der Pauke steht. Das Publikum bejubelt die Band zum Abgang und fordert dann ernergisch: „Two more songs!“ Wieder zurück verkündet Leeb: „Thank you, we have one more!“, dann wird der Hit „Mindphaser“ gespielt. Fulber verlässt noch einmal seinen Gefechtsturm für eine stroboskopumwitterte Paukenorgie, das Publikum klatscht begeistert mit, und inmitten der pogenden Leute kommt es zu einer Crowdsurfing-Aktion. Ein toller Abschluss eines tollen Konzerts mit einer tollen Lichtshow, die die Musik optimal untermalt hat, auch wenn ich dabei leiden mußte. Die Umbaupause nutze ich zum Blinzeln und Tränen wegwischen.

P1110230Endlich verdunkelt sich der Saal wieder, und mit dem Intro treten gegen 22:30 nach und nach die Bandmitglieder von Die Krupps auf die Bühne. Nahtlos geht es in „The dawning of Doom“ über, Sänger Jürgen Engler explodiert förmlich vor Energie, aufgeladen vom blitzenden Stroboskop. Hätte ich nur eine Pilotensonnenbrille. Lange hält es ihn nicht am Mikroständer, bald kickt er ihn beiseite und fegt über die Bühne. Linke Seite, rechte Seite, auf die Monitorboxen und zurück. Auch die Gitarristen Marcel Zürcher und Nils Finkeisen legen sich ins Zeug, während Ralf Dörper der Ruhepol am Synthesizer ist. Statt einer Begrüßung heißt es nun: „Immer wieder schön in München zu sein. Hier ist ‚Der Amboss‘!“ Passenderweise schlägt er zu diesem Visage Cover mit Eisenstangen auf die Stahlrohre seiner Schlagwerkkonstruktion, die er selbst Steel-O-Phon nennt. Bereits jetzt sind die Leute allesamt wieder in Bewegung. Zum Ende von „Schmutzfabrik“ heißt es „stehen die Maschinen still“, und die ganze Band erstarrt wie eingefroren. Das ist ein origineller Effekt, und der Applaus ist groß. Nun bekommt Engler eine ernste Miene und kündigt den nächsten Song schlicht an mit: „Aus aktuellem Anlass: ‚Germaniac‘!“ Die Krupps haben sich schon immer offen gegen Rechts positioniert, und das ist nicht nur aus aktuellem Anlass wichtig, sondern auch, weil durch das teils martialische Auftreten immer wieder Bands der EBM-Szene und ihre Anhänger P1110555ins rechte Spektrum verordnet werden, ob nun zu Recht oder Unrecht. Heute aber reagiert das Publikum begeistert. Es kommt zu einem Stagedive, Pogo in der Menge und zu Crowdsurfing aus selbiger heraus. Mit „Fly martyrs fly“ geht es weiter, bevor Engler ankündigt: „Ein Song gegen fucking Trump, er heißt ‚Fuck you‘!“ Genauso deutlich wie diese Aussage ist auch der Beifall. Zu „Black beauty white heat“ hängt Engler sich nun auch noch eine Gitarre um, und zu drei Gitarren passiert es: Ebenfalls drei Leute liegen im Pogo-Kreis am Boden. Ihre Beine sind irgendwie miteinander verknotet, was ich so auch noch nicht gesehen habe, und es braucht die Hilfe der Umstehenden, damit sie wieder aufstehen können. Plötzlich schreit Engler unvermittelt: „To the hilt!“ Die Folge ist ein allgemeines Ausrasten auf allen Seiten. Ein Fan schnappt sich sogar das Mikro, um selbst „To the hilt!“ zu brüllen. Dabei zeigt sich, dass das gar nicht so leicht ist, denn selbst mit nur diesen drei Worten trifft er weder den Takt noch den Rhythmus und sorgt damit für ordentlich Gelächter. Engler übernimmt dann doch lieber wieder das Mikro. Die Stimmung lässt sich aber immer noch steigern, denn nun schreit er: „Seid ihr bereit für ‚Metal machine music‘?“ – „Jaaa!“ Ralf Dörper an den Keyboards setzt demonstrativ erst einmal Kopfhörer auf.
P1110543Da hier trotz aller Härte zunächst nur Marcel Zürcher mit der Gitarre agiert, steht der zweite Gitarrist Nils Finkeisen völlig bewegungs- und ausdruckslos neben ihm im Bühnenhintergrund, wie eine Schaufensterpuppe. Derweil schlägt Engler im Stroboskop-Gewitter auf die Stahlrohre ein, im Publikum fliegen Headbanger-Haare und die Pogo-Meute durcheinander. Plötzlich erwacht die Puppe zum Leben, steigt mit der Gitarre in den Song ein und treibt die Leute noch mehr an. Brachial, einfach nur brachial und perfekt inszeniert. Der Fan versucht noch einmal das Mikro zu angeln, doch diesmal passt Engler auf. Vor und auf der Bühne sind mittlerweile alle sichtlich erschöpft, vor allem von Engler tropft der Schweiß. Aber nicht zu erschöpft, um das Intro zu „Robo sapien“ mitzusingen und mitzuklatschen. Der eher ruhige Song bietet eine willkommene Erholungspause, bevor mit „Nazis auf Speed“ das Tempo wieder angezogen wird. Engler schwingt dabei den Mikroständer über die Köpfe des Publikums wie, nun ja, wie einen Ständer eben. Und bevor hier irgendwelche Missverständnisse aufkommen, meint er: „Als nächstes die Anti-Nazi-Hymne … Hier ist ‚Fatherland‘“. Vor Begeisterung entern gleich zwei Fans die Bühne, um dort mit der Band zu tanzen, die sich davon nicht stören lässt, und Teile vom Text zusammen mit Engler zu singen. Meinen Respekt an die Ordner heute, die zwar aufmerksam sind, aber ruhig und besonnen reagieren, ohne rabiat zu werden. Das hat man auch schon mal anders erlebt bei solchen Aktionen. Zum Abschluss steigt Engler sogar auf sein Schlagwerk, dann verlässt die Band unter Jubelstürmen die Bühne. Aber jedem ist klar, das war es noch nicht. Der begeisterten Menge teilt Engler mit: „Das fühlt sich an wie die Krupps-Hochburg in München!“ Für „Machineries of joy“ werden wieder die Stahlrohre von ihm bearbeitet (und ich einmal mehr geblendet), zusätzlich bläst er in eine Trillerpfeife. Der Song endet schließlich in einem „Lohn – Arbeit“-Sprechchor, bevor mit „Bloodsuckers“ der Abend endgültig endet. Nach einem furiosen Finale springt Engler in die Menge und wird durch die Halle getragen, während die anderen Bandmitglieder unzählige Hände schütteln, auch für ein Selfie ist kurz vor Mitternacht noch Zeit. Für Die Krupps ist das heute verdientermaßen ein Triumphzug.

Fazit: Was für ein Abend! Das war das perfekte Package, das sich von Band zu Band gesteigert hat. Auf einen soliden Beginn von Tension Control folgen die großartigen Front Line Assembly, und Die Krupps bringen die Halle zum Kochen und werden verdientermaßen völlig abgefeiert. Das bleibt mir dieses Mal in Erinnerung, denn das war heute definitiv eines der Top-Five-Konzerte dieses Jahr, trotz Schäden auf der Netzhaut. Ach ja, Memo an mich: Für’s nächste Mal eine Pilotensonnenbrille kaufen.

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist Front Line Assembly:
Anthropod
Eye on you
Neologic spasms
Killing grounds
Vanished
Shifting through the lens
Gun
Plasticity
Deadended
Millennium

Mindphaser

Setlist Die Krupps:
The dawning of doom
Der Amboss (Visage Cover)
Schmutzfabrik
Germaniac
Fly martyrs fly
Fuck you
Black beauty white heat
To the hilt
Metal machine music
Robo sapien
Nazis auf Speed
Fatherland

Machineries of joy
Bloodsuckers

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