United States of Mind

Endlich ist er da, der Abend, auf den ich mich seit seiner Ankündigung in den ersten Monaten des Jahres gefreut habe: Meine schwedischen Lieblinge Covenant sind nach drei Jahren mal wieder in München, im Gepäck haben sie wie auch damals schon ihr aktuelles Album The Blinding Dark, das just am heutigen Tag veröffentlicht wird. Die Spannung unter den Fans ist groß, was die Soundtüftler wohl diesmal für musikalische Welten erschaffen haben – und natürlich, wie die neuen Songs live wirken würden. Auf dem Amphi habe ich bereits „Sound Mirrors“ gehört, was sich gut in das bisherige Schaffen der Band eingereiht hat. Wie viele Tracks vom neuen Album man heute wohl präsentiert bekommt? Ich freue mich jedenfalls wahnsinnig auf den Abend, der mit den hochkarätigen Vorbands Faderhead und Iszoloscope zu einem richtigen Großereignis zu werden verspricht.

DSC_1719Um kurz nach acht ist das Backstage Werk auch schon erfreulich gefüllt, als der Kanadier Yann Faussurier alias Iszoloscope die nahezu komplett dunkle Bühne betritt und und sofort mit seinem Set beginnt. Iszoloscope sind auf dem Label Ant-zen zu Hause, waren schon diverse Male auf dem Maschinenfest zu Gast, und wem diese Stichworte etwas sagen, der weiß, was gleich an Rhythm ’n’ Noise aus den Boxen wummern wird. Extrem tanzbarer Lärm wie ich ihn liebe und wie er gerade in München nahezu nie gespielt wird. Ich kann kaum die Füße stillhalten im Fotograben und freue mich während des gesamten Auftritts über die rhythmisch-elektronische Beschallung, bin dabei allerdings recht allein. Dieser Sound ist zugegeben extrem und wirkt auf das ungeübte Ohr schnell eintönig. Dennoch ein großes Lob an Covenant, dass sie einer nur Spezialisten bekannten Band eine so große Auftrittsplattform ermöglichen und auch mal extremeren Sound publik machen. Ich bin jedenfalls begeistert vom souveränen Iszoloscope-Set.

DSC_1845Der nächste Act ist dafür dann umso populärer, Sami Mark Yahya, besser bekannt als Faderhead, aus Hamburg kommt mit seinem Soundpartner Joel auf die Bühne. Ungewohnt ruhig und zurückhaltend tritt er auf, ohne Sonnenbrille, aber zum Glück mit seinem Markenzeichen, dem exakt gestylten Irokesen. Faderhead gibt offen zu, sehr, sehr nervös zu sein (was ihn furchtbar sympathisch macht), da er seine musikalische Ausrichtung geändert hat und heute zum zweiten Mal überhaupt den neuen Stil live präsentieren wird. Weg vom Brachialsound der frühen Tage zu softeren, aber auch sehr viel komplexer aufgebauten Songs, die er vereinzelt früher schon veröffentlich hat. Jetzt wird klar gesungen anstatt verzerrt ins Mikro gebrüllt, er kann sich nicht mehr hinter harten Beats verstecken – und will das auch nicht mehr. Seine klare Ansage, dass er jetzt einfach zehn Jahre älter ist und andere Musik als früher machen will, wird sehr positiv aufgenommen; hier im Raum sind sicher nicht viele, die ihm deswegen böse sind, im Gegenteil, ich habe den Eindruck, er gewinnt heute Abend sehr viele neue Fans dazu. Das brandaktuelle Material von der EP Anima in Machina klingt aber auch wirklich toll. Natürlich immer noch voll und ganz elektronisch, aber viel suggestiver als früher („Shame“) und trotzdem noch tanzbar. „Escape Gravity“ wird von einer Achtziger-mäßigen Keyboardsequenz und lässigem Rhythmus getragen und geht sofort ins Ohr. Das bereits einige Jahre alte „Horizon born“ ist dann der erste bekannte Song, der auch dementsprechenden Applaus erntet. Faderhead konzentriert sich im Folgenden weitestgehend auf Anima in Machina („Naughty H“, „Sick City“), das Publikum geht wirklich hervorragend mit, und selbst bekennende Faderhead-Ablehner sind danach überzeugt. Als letzten Song gibt es dann aber doch noch etwas Rums, nämlich den bewährten Tanzflächenfüller „TZDV“, und somit dürften wirklich alle Anwesenden etwas von diesem tollen Auftritt gehabt haben. Trotz meiner Vorliebe für harte Beats gefällt mir die neue, softere Ausrichtung von Faderhead sehr, sehr gut, und ich bin gespannt, was da noch alles kommen wird.

DSC_2057Nun wird es dann aber doch langsam Zeit für meine absolute Lieblingsband, die sich allerdings mit einem ellenlangen Intro zu immer neuen Nebelschwaden (die Luft wird dünn im Fotograben) mächtig viel Zeit lässt. Irgendwann kommen die beiden Daniels auf die Bühne und beziehen Position an ihren Synthiestationen, wo sie einiges an Soundspielereien zum Intro beitragen. Alles wartet aber natürlich sehnsüchtig auf Eskil Simonsson, den Mittelpunkt des Geschehens. Wie immer versteckt sich die Band hinter düsteren Farben und viel Nebel, aber als Eskils Umriss dann auf der Bühne zu sehen ist, bricht ein ohrenbetäubender Sturm der Begeisterung im Werk los. Die Band spielt dann gleich mal einen ihrer größten Hits, den „Leiermann“, und sie kann es sich leisten bei ihrem Repertoire an Überhits. Das nicht minder hypnotische „Bullet“ vom Album Northern Light ruft erneuten lautstarken Jubel hervor, ich kann wirklich kaum mehr stillstehen. Als dann als dritter Song das Intro zum legendären „Figurehead“ ertönt, ist mein Glück perfekt … bis, ja bis uns die Technik einen gehörigen Strich durch die Rechnung macht. Bei Daniel Myer ist plötzlich der Strom weg, auch nach längerer akribischer und zunehmend hektischer Suche kann der Fehler nicht gefunden werden. Eskil überbrückt die unangenehme Situation hochgradig professionell und singt „Figurehead“ einfach mal a cappella – ungewohnt, aber toll! Dennoch wollen wir Elektrolurchis natürlich lieber die Originalversion hören und sind erleichtert, als nach einigen Minuten der Song noch mal gestartet werden kann. Meine persönliche Hitliste wird durch das nachfolgende „Wasteland“ vom ersten Album Dreams of a Cryotank gleich fortgesetzt, ich glaube, dass ich das noch nie live gehört habe (und ich habe schon viele Covenant-Auftritte miterlebt). Der Abend ist jetzt schon sensationell, und dabei haben wir erst vier Lieder gehört! Der nächste Songblock ist dann eine kleine Herausforderung für das Publikum, da alle drei Tracks vom neuen Album stammen: „I close my Eyes“, „Morning Star“ und „Cold reading“. Die ersten beiden gehen mir live jetzt noch nicht so ins Ohr, klingen aber sehr vielversprechend – vor allem vielversprechend düster, wie The Blinding Dark ja auch angekündigt war. „Cold reading“ reißt mich mit seinem technoiden Grundrhythmus und Eskils energischem Gesang sofort mit, dieser Song funktioniert live absolut hervorragend. Immer noch extrem tanzbar wie die größten Hits von Covenant, aber mit wirklich dunkler Grundatmosphäre.
Danach darf sich das Publikum wieder auf vertrautem Gebiet bewegen, die Band feuert einen grandiosen Hit nach dem anderen ab, und ich komme aus dem Jubeln gar nicht mehr heraus: das unglaublich energetische „Edge of Dawn“ vom ersten Album, das zuverlässig die Halle zerlegt, das verträumte „Beauty and the Grace“, der Oldschool-Klassiker „Go Film“, das unglaublich lässige „The Men“ … es hört gar nicht mehr auf. Diese Songauswahl ist wirklich zum Niederknien (und Tanzen natürlich). Als dann das Intro zu „20Hz“ ertönt, einem ihrer besten Songs überhaupt, sind wirklich alle glücklich. Auch „Ignorance & Bliss“ darf natürlich nicht fehlen, das mir jahrelang zu cheesy und poppig war, bis es irgendwann mal Klick gemacht hat und ich hingerissen war. Wer dann noch kann, tanzt sich die Füße beim Übersong „Stalker“ wund, wippt mit Daniel Myer am Mikro bei „Lightbringer“ mit und flippt dann endgültig bei „Ritual Noise“ aus. Eskil springt wie eh und je begeistert über die Bühne und bringt zwischendurch seine herrlich verschwurbelten, leicht esoterisch angehauchten Ansagen, die aber wirklich immer von Herzen zu kommen scheinen und damit ihre volle Berechtigung haben.

Im ersten Zugabenblock gibt es noch die beiden bereits bekannten Songs vom neuen Album zu hören, „Sound Mirrors“ und „Dies Irae“. Gerade zweiteres beginnt ganz unaufdringlich, sogar unauffällig und gräbt sich immer weiter in die Gehörgänge und ins Herz, um sich darin für immer niederzulassen. Ein Lied, bei dem man sehr genau zuhören sollte. Danach darf dann wieder gejubelt und getanzt werden, die Schiffe werden in den Hafen gerufen und die Feuer entzündet. Ein Song, der einfach nie langweilig wird! Als zweite Zugabe gibt es noch zwei absolute Leckerbissen, das extrem selten gespielte und wunderbar wehmütige „Prometheus“ sowie das mitreißende „We stand alone“, bei dem wirklich keiner stillstehen kann und bei dem ich wie immer losheulen könnte, weil es einfach so ein großartiges Lied ist.

Nach zweieinviertel Stunden Covenant ist dann um Viertel nach Zwölf endgültig Schluss. Für mich war es ein Wahnsinnsauftritt mit einer rundum großartigen Setlist, bei der ich nicht mal solch wichtige Songs wie „Dead Stars“ oder „Last Dance“ o.Ä. vermisst habe. Das will wirklich etwas heißen. Vermisst habe ich allerdings sehr Andreas Catjar und seine herrlich durchgeknallten Soundexperimente mit Gitarre und mysteriösen Kästchen, die die bekannten Lieder um viele neue Facetten erweitert haben. Daniel Myer ist natürlich auch großartig, auch wenn er heute durch diverse Technikpannen etwas gehandicapt war (Zitat: „Der Strom in München arbeitet anders als der in Schweden.“). Daniel Jonasson war früher auch schon öfter hinter seinem Synthie nach vorn an den Bühnenrand gekommen, das hat mir auch ein wenig gefehlt. Aber insgesamt war es eine Topleistung von allen drei Covenants, ein spannendes und intensives Konzerterlebnis, das ich lange nicht vergessen werde. Iszoloscope und Faderhead haben den Abend für mich perfekt abgerundet.

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist Covenant:

Der Leiermann
Bullet
Figurhead
Wasteland
I close my Eyes
Morning Star
Cold reading
Edge of Dawn
Beauty and the Grace
Go Film
The Men
20Hz
Ignorance and Bliss
Stalker
Lightbringer
Ritual Noise

Dies Irae
Sound Mirrors
Call the Ships to Port

Prometheus
We stand alone

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1 Kommentar

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  1. […] bisher nicht zu einem Konzert der momentan laufenden, absolut großartigen Tour geschafft hat, kann hier noch mal nachlesen, wie es in München […]

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