Tanzen, tanzen, tanzen

Letzter Tag des Free & Easy, es ist Samstag, es ist warm, trotz kostenlosem Eintritt könnte man auch andere Dinge tun, als ins stickige Backstage Werk zu gehen. Doch das geht natürlich nicht, denn die Erfurter Northern Lite haben sich mal wieder angesagt, und wer schon mal ein Konzert des Trios gesehen hat, wird diesen Spaß unbedingt wiederholen wollen. Mit im Gepäck sind zwei hervorragende Synthiebands, nämlich Imaginary War und Torul, und das sollte man sich dann wirklich nicht entgehen lassen. Also Kameratasche gepackt und auf ins zweite Wohnzimmer … äh … Backstage.

DSC_8928Die Opener des Abends Imaginary War existieren seit 2011 und haben sich mit Leib und Seele dem Geist der Synthie-80er verschrieben. Die Musik des Quartetts um Mastermind und Sänger Joki Schaller atmet die großen Helden dieser Ära, Depeche Mode, Erasure, A-ha klingen hier durch, doch natürlich machen Imaginary War trotzdem etwas Eigenes. Der sympathische Vierer ist kein Unbekannter in München, Stammgast auf dem Free & Easy und routiniert genug, um eine schöne Show auf die Beine zu stellen. Allerdings begeht die Band in meinen Augen ein wenig denselben Fehler wie schon in den letzten Jahren – die schnelleren Songs wie „The Tide has turned“, „The Way we feel“ oder vor allem „Dead Princess“ sind echte Synthie-Perlen, doch die langsamen Songs in der zweiten Konzerthälfte machen das Ganze zu einer etwas zähen Angelegenheit. Die ersten Reihen mit den beinharten Fans tanzen natürlich und haben ihren Spaß, doch das Free & Easy-Laufpublikum zerstreut sich recht schnell wieder, sodass das große Werk sich eher wieder leert anstatt füllt. Die langsameren Songs sind beileibe nicht schlecht, Joki zeigt hier vor allem eindrucksvoll, was er stimmlich draufhat, nur funktionieren sie meiner Meinung nach daheim etwas besser als vor einem Publikum, das man vielleicht erst noch überzeugen muss. Oder hat sich die Band ihre eigene spaßhafte Aussage, „Wir müssen langsamer spielen, wir haben so viel Zeit“, zu sehr zu Herzen genommen? Nein, trotz meiner Kritik ist das ein schöner Auftritt der Ulmer Synthiepopper, der sicher vielen Anwesenden Freude bereitet hat.

DSC_9059Musikalisch ändert sich bei der nächsten Band nicht gar so viel, doch das Herkunftsland ist eher ungewöhnlich, verbindet man mit Slowenien doch gemeinhin hauptsächlich Laibach und dann lange nichts mehr. Torul haben aber definitiv das Rüstzeug, das kleine Land zumindest in Synthie- und Elektrokreisen noch sehr viel bekannter zu machen. Seit 2010 gibt es das Trio bereits, es hat diverse Alben herausgebracht, und das neue soll bald erscheinen. Anfang des Jahres haben Torul noch mit einem plötzlichen Sängerwechsel von sich reden gemacht (Jan raus, Maj rein), und die Fans der Band sind besonders gespannt auf diesen Auftritt – laut Facebook den ersten des neuen Sängers! Ich kenne Torul bisher nur auf Konserve, und auch da nur einzelne Lieder, ich lasse einfach alles auf mich zukommen.
Bis auf das seltsam tiefrote Licht, das die Band sehr effektiv verschluckt, bin ich aber vom ersten Song an voll und ganz überzeugt. Höchst einschmeichelnder Synthiepop mit großen Melodien (mit ebensolchen großen Gesten von Sänger Maj vorgetragen) und teilweise auch ordentlich elektronischem Rumms, der direkt in die Beine geht, das macht richtig Spaß. Mit „Saviour of Love“ gibt es auch schon etwas Neues zu hören, außerdem die große Hymne „The Balance“, und als Letztes einen Song namens „Monday“, wenn ich den Titel richtig verstanden habe. Die Band – und auch der neue Sänger – haben bei mir jedenfalls einen sehr guten Eindruck hinterlassen, und ich werde mich noch viel eingehender mit ihnen beschäftigen. Vielleicht ja schon am 15. September, da sind sie nämlich zusammen mit Sono wieder im Backstage!

DSC_9127Als ich mich jetzt umsehe, ist das Werk plötzlich brechend voll geworden – klar, es kann ja nicht mehr lange dauern, bis Northern Lite auf der Bühne stehen. Die Band, die auf sehr geniale Weise Techno, Synthie und alles dazwischen mischt, ist wirklich ein Phänomen und zieht Zuhörer aus den verschiedensten Ecken an. Das Publikum heute ist weitestgehend „bunt“, das Schwarzvolk ist deutlich in der Unterzahl, doch Northern Lites Musik hat durch die melancholische Stimme Andreas Kubats definitiv Düsterpotenzial. Trotzdem wird heute – wie immer bei Konzerten des Trios – eine infernalische Party gefeiert, ab den ersten Tönen von „Different“ geht die Meute steil. Das wird sich auch bis zum letzten Ton des Hits „My Pain“ nicht ändern; dazwischen liegen äußerst schweißtreibende anderthalb Stunden, die gespickt sind mit Hits. „Paper Aeroplane“, „Who you are“, „Johnny“, das Johnny-Cash-Cover „I see a Darkness“ – Andreas Kubat muss außer singen gar nichts tun, das Publikum frisst ihm bei dieser Songauswahl sowieso aus der Hand. „Go with the Flow“ – im Original von den Queens of the Stone Age – markiert den nächsten Stimmungshöhepunkt, bis dann nach der Zugabe mit „My Pain“ dieser Auftritt beendet ist. Toll wie immer, mehr muss man dazu gar nicht sagen (doch, mir hat „Black Day“ gefehlt). Wer noch kann, genießt im Anschluss die exzellente Depeche-Mode-Party von DJ Schwedler.

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist Northern Lite:
1. Different
2. Leave
3. You are not alone
4. Enemy
5. Paper Aeroplane
6. Who you are
7. Take my Time
8. Johnny
9. You know where
10. I see a Darkness
11. What you want
12. Reach the Sun
13. Go with the Flow
14. I don’t remember

15. Treat me better
16. Letters & Signs
17. My Pain

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