Pures Glück

Zwanzig Jahre bin ich nun schon Fan von Amorphis, und in diesen zwanzig Jahren ist viel passiert – sowohl in meinem Leben als auch in der Karriere der Finnen. Von den Death-Metal-Anfängen (denen ich ja zugegeben immer noch etwas hinterhertrauere) über die tiefenentspannte Psychedelic-Rock-Zeit der mittleren Phase (die aber auch ihren Reiz hatte mit großartigen Alben wie Tuonela oder Am Universum) bis hin zum zweiten Frühling, der 2004 mit dem Einstieg von Sänger Tomi Joutsen begann und in einem triumphalen Siegeszug für die Band mündete, der bis heute anhält. Ich gestehe, ein klein wenig hatten sie mich dann allerdings mit den Alben The Beginning of Time und Circle verloren, zu ähnlich klang das Material, zu glatt, wenngleich natürlich immer noch auf extrem hohem Niveau. Wie ein Eimer Wasser ins Gesicht war dann das aktuelle Album Under the red Cloud, auf dem endlich wieder ordentlich Gas gegeben und wie in alten Zeiten gegrowlt wird (also noch viel mehr als auf den letzten Alben), gepaart mit einigen der herzzerreißend schönsten Melodien ihrer Bandkarriere und dem ganz besonderen orientalischen Flair, das mich auf der Elegy schon fasziniert hat. Klare Sache, dass ich zu diesem Konzert muss. Mit im Gepäck haben Amorphis noch die Griechen von Poem und die Holländer Textures.

DSC_5115Poem entern sogar ein paar Minuten zu früh die Bühne und legen gleich mit ihrem gefühlvollen, aber dennoch kräftigen Sound los, den man weitestgehend dem modernen, aber auch progressiven Metal zuordnen kann. Ein auf Dauer leider ein wenig eintöniger, aber immer leidenschaftlicher Klargesang, knallharte Riffs und wirklich schöne Melodien zeichnen die Musik der Griechen aus, und das Publikum geht – überraschend für eine Vorband – doch tatsächlich vom ersten Song an mit. Seit 2006 existiert das Quartett um Sänger George Prokopiou, hat vor kurzem seine zweite Scheibe Skein Syndrome veröffentlicht und befindet sich gerade auf seiner ersten Europatournee – so wirklich bekannt dürften Poem also noch nicht sein, umso schöner ist es, dass sie mit Songs wie „Passive Observer“, „Desire“ oder „Remission of Breath“ eine richtig tolle Stimmung im Backstage Werk zaubern, und beim abschließenden „Band lässt sich mit dem Rücken zum jubelnden Publikum fotografieren“-Schnappschuss gehen nahezu alle Hände der Anwesenden nach oben. Eine tolle Sache, ein richtig schöner Auftritt. Poem sollte man im Auge behalten.

DSC_5173Textures aus Holland finden daher auch schon eine hervorragend angeheizte Meute vor, als sie nach kurzer Umbaupause auf die Bühne kommen. Die Band ist durchaus bekannt im Publikum, wird mit großem Applaus empfangen, und die ersten Köpfe nicken schon sehr energisch bei den ersten Songs „Drive“ und „Regenesis“. Mein Fall ist die sehr Metalcore-lastige, sehr modern klingende Soundmixtur der Band leider überhaupt nicht, sodass ich hier kaum qualifiziert schreiben kann. Die sechsköpfige Truppe um Sänger Daniël de Jongh gibt vom ersten Moment an alles, ist hochmotiviert und extrem lebendig bei der Sache. Alle Musiker sind sehr gut aufeinander eingespielt, Daniël de Jongh gibt den routinierten Conferencier, der mit seiner sonoren Stimme auch Fernsehsendungen oder Boxwettkämpfe moderieren könnte. Das Publikum geht bis in die hinteren Reihen steil zu älteren und neueren Songs (z.B. „New Horizons“ oder „Shaping a singe Grain of Sand“ vom aktuellen Album Phenotype), die Band macht wirklich alles richtig – und erreicht mich leider nicht eine Sekunde. Sehr schade, für mich ist die Spannungskurve zwischen den sehr guten Poem und den hoffentlich noch besseren Amorphis hier heftig unterbrochen, was die Leistung der Band aber nicht schmälern soll.

DSC_5266Bald ist es dann endlich soweit, die Gitarrengötter Esa Holopainen und Tomi Koivusaari entern grinsend zum Intro von „Under the red Cloud“ die Bühne, Drummer Jan „Snoopy“ Rechberger verschanzt sich hinter seinem beachtlichen Drumkit, Keyboarder Santeri Kallio nimmt seinen Platz hinter den diversen Keyboards ein, gefolgt von Basser Niclas Etelävuori, bis dann endlich auch der Mann kommt, auf den alle warten: Tomi Joutsen, mittlerweile ohne seine knielangen Dreadlocks (was das Leben der Fotografen im Graben auch ein wenig sicherer macht), aber charismatisch wie immer. Das Titelstück des aktuellen Albums dürfte mit eins der besten Amorphis-Songs sein, mit einer wunderschönen Grundmelodie, die von Esas glasklarer Gitarre aufgenommen wird, deftigen Growls und peitschenden Drums – ein perfekter Einstieg in das Set, die Halle flippt jetzt schon aus, vom ersten Moment an herrscht wirklich eine ganz besondere Stimmung im Raum. Das nachfolgende „Sacrifice“, ebenfalls von der aktuellen CD, kommt ein wenig gefälliger daher, aber mit einem absoluten Killerrefrain, den man tagelang nicht mehr aus dem Ohr bekommt. „Bad Blood“ lädt dann wieder zum Haarekreisen ein, mit der mittlerweile bewährten Mischung aus herzhaften Growls und einem klar gesungenen Refrain. „Sky is mine“ vom für viele Amorphis-Fans bahnbrechenden Album Skyforger mischt ein wenig die psychedelische Phase der Band mit den neueren Uptempo-Nummern – nicht mein Lieblingssong von der Platte, aber absolut typisch für die Band und natürlich von hoher Qualität. Als Nächstes wird das Vorgängeralbum Circle mit „The Wanderer“ berücksichtigt, das offensichtlich beim Publikum rasend beliebt ist, hier steigert sich die Stimmung noch mal ein wenig. Mir geht das Herz dann allerdings bei den nächsten beiden Songs richtig auf, „On rich and poor“ und „Drowned Maid“ von der Elegy bzw. Tales from the thousand Lakes – DAS sind meine Amorphis, und sie knüppeln die Songs mit einem Elan, als wären keine zwanzig Jahre vergangen. Sehr amüsant wie immer sind die verschreckten Gesichter der etwas weniger metalaffinen Besucher um mich herum, die wohl nur neuere Amorphis-Sachen kennen und jetzt vollkommen überfahren sind, dass da ja doch noch eine richtige Metalband auf der Bühne steht. Doch Verschnaufpausen gibt es nicht, „Dark Path“ vom aktuellen Album ist zwar wieder sehr viel melodischer, gibt aber genauso Gas und bietet eine ganz neue (brutale) Facette von Tomis Stimme. „The four wise Ones“ – mein persönliches Lieblingslied von Under the red Cloud – föhnt einem auch noch mal richtig schön die Haare nach hinten, und der erste Crowdsurfer lässt sich selig grinsend von der Security in den Graben ziehen.

Um einiges milder wird es mit „Silent Waters“ vom gleichnamigen Album, auf das allerdings der Wahnsinnsklassiker „My Kantele“ in der Metalversion folgt – ich bin im siebten Amorphis-Himmel, ebenso wie große Teile des Publikums. „Hopeless Days“ und „House of Sleep“ stehen dann wieder für die aktuellere Ausrichtung der Band und rufen wahre Begeisterungsstürme in der Halle hervor. Bis hinters Mischpult sind die Arme hochgereckt, überall glückliche Gesichter, viele singen mit – und der Crowdsurfer segelt auch wieder ein paarmal vorbei. Esa zockt wie immer seelenruhig, aber sichtlich erfreut seine Riffs und umwerfenden Melodien herunter, ebenso wie der ruhige, aber hochgradig sympathische Tomi Koivusaari, der zwischendrin wie ganz, ganz früher zusammen mit Tomi Joutsen einige Grunzparts übernimmt. Niclas Etelävuori wandert wie eh und je viel über die Bühne, und Tomi an seinem wie immer futuristisch anmutenden Mikro ist der absolute Blickfang. Souverän und charismatisch, unablässig headbangend und rundum sympathisch, jeder Ton sitzt – der Mann ist wirklich ein Phänomen. Die Band ist perfekt aufeinander eingespielt, präsentiert die Songs mühelos und mit einem Druck, den ich schon lange nicht mehr live bei Amorphis gehört habe. Man merkt die Lust am Metal, am Knüppeln, an einem unglaublich dichten Soundteppich, der seinesgleichen sucht. Und trotzdem ist das alles hochmelodisch und oft zum Heulen schön.

Weshalb man die Band natürlich auch nach dem regulären Set noch nicht gehen lassen kann, das Publikum fordert energisch eine Zugabe, die aus der ersten Single-Veröffentlichtung des aktuellen Albums, „Death of a King“ – auf der Platte mit Flötenunterstützung von Eluveities Chrigel Glanzmann –, dem Skyforger-Hit „Silver Bride“ und „The Smoke“ vom Comeback-Album Eclipse besteht. Alle Geschmäcker werden hier bedient, das Publikum singt verzückt mit, die Band ist für finnische Verhältnisse geradezu ausgelassen und sagt selbst, dass das hier etwas ganz Besonderes ist. Ja, das ist es, definitiv. Entlassen werden wir mit der Eläkeläiset-Humppa-Version von „House of Sleep“, „Vaivaistalossa“ – so gehört sich das!

Fazit: Ja, das war ein sensationeller Abend, der mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird, der mich unglaublich glücklich gemacht hat – und nicht nur mich, wenn ich mir das rappelvolle Backstage Werk so anschaue. Amorphis waren so gut wie nie (und ich habe sie schon oft gesehen), die Mischung aus neuem und älterem Material funktioniert hervorragend – klar, mehr altes Material wäre immer schön, aber so war das schon sehr gut –, und endlich agiert das Publikum auch wieder mehr wie eine Einheit; nicht wie früher, als eine Hälfte nur bei neuerem Material jubelte und eine Hälfte nur bei altem. Heute haben sich alle gegenseitig mitgerissen, und das war richtig toll.

Poem haben auf jeden Fall einen hervorragenden Eindruck hinterlassen und kommen hoffentlich mal wieder nach Deutschland. Textures haben leider komplett an mir vorbeigespielt, aber da war ich wahrscheinlich die Einzige in der Halle.

P.S.: Wer noch nicht genug über Amorphis weiß, dem sei die hervorragende, gerade erschienene offizielle Bandbiografie dringend ans Herz gelegt. (Versandkostenfrei erhältlich bei Edition Roter Drache)

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch: (sechs für Amorphis, vier für Poem, Textures ohne Wertung)

Setlist Amorphis:
Under the red Cloud
Sacrifice
Bad Blood
Sky is mine
The Wanderer
On rich and poor
Drowned Maid
Dark Path
The four wise Ones
Silent Waters
My Kantele
Hopeless Days
House of Sleep

Death of a King
Silver Bride
The Smoke

(10151)

2 Kommentare
  1. Flo
    Flo sagte:

    Interessant, wie die Geschmäcker verschieden sind. Amorphis haben mich überhaupt nicht interessiert. Ich war nur wegen Textures da. Und die waren genial. Mich haben dafür Amorphis überhaupt nicht erreicht und total kalt gelassen.

    Aber ein schöner Bericht! Gut geschrieben und vor allem Hut aber für die neutrale Bewertung von Textures. Werde hier öfter vorbeischauen! :)

  2. torshammare
    torshammare sagte:

    Hallo Flo, danke für das Lob zum Bericht! Ja, so verschieden sind die Geschmäcker, aber letztendlich ist es ja gut, daß wir beide einen tollen Abend hatten – halt bei unterschiedlichen Bands :)
    Schau gern öfter bei Schwarzes Bayern vorbei, da freuen wir uns!

    Viele Grüße,
    Sabine

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