Der Fluch des Dreizacks
Nach langer, langer Zeit lassen sich die Schweden von Watain mal wieder in unseren Breitengraden blicken, und das auch noch an einem Freitagabend – Pflichttermin also, auch wenn parallel dazu Powerwolf das komplett ausverkaufte Zenith zerlegen. Mit auf der „Trident’s Curse“-Tour sind Rotting Christ, und allein die Griechen sind jeden Cent des Eintrittspreises wert. Außerdem dabei ist mit Profanatica eine Band aus den USA, die ich bisher nicht so recht auf dem Schirm hatte, obwohl sie zum Urgestein des amerikanischen Black Metal zählen.
Profanatica aus Connecticut eröffnen den Konzertabend, und die drei Herren bieten einen ordentlich rumpeligen Oldschool-Black-Metal, der (absichtlich) mehr nach Garage oder JUZ klingt als nach großer Halle. Es dauert ein paar Sekunden, bis auffällt, dass vorne in der Mitte kein Mikro steht – wird das etwa ein reines Instrumental-Konzert? Mitnichten, denn hier singt Drummer Paul Ledney, der Profanatica 1990 gründete, nachdem er seine musikalische Karriere als Drummer von G. G. Allin begonnen hat. 1992 legte er das Projekt, das bis dahin mehrere Demos produziert hatte, auf Eis, um es 2001 wiederzubeleben. Inzwischen bringen es Profanatica auf vier Alben und zahlreiche EPs voller Gotteslästerungen, bei denen einem das Herz aufgeht. In langen Kutten, auf deren Überwürfen Posaune-blasende Engelchen mit gigantischen Penissen prangen, knüppelt uns das Trio sowohl neue Songs wie „Ordained in bile“ vom letzten Album The curling flame of blasphemy oder „Unto us he is born“ und „Mocked, scourged and spit upon“, beide von der Profanatitas de domonatia, um die Ohren, und auch die ganz aktuelle EP Altar of the virgin whore, die am 2. November erschienen ist. Gegen Ende nehmen uns Profanatica mit Stücken wie „Weeping in heaven“ und „Final hour of christ“ dann mit in die Vergangenheit, ehe sie das Konzert mit „I arose“ beenden. Musikalisch sind die drei Amis ohnehin ein wahrer „blast from the past“: geradezu erfrischend archaisch und primitiv, ohne Schnickschnack, ohne großes Getue – hier geht es rein um die Blasphemie. Gefällt uns! (Mein neuer Lieblings-Liedtitel ist übrigens „Once removed savior a.k.a. disease infected cunts of dead nuns“!)
Rotting Christ legen dann ordentlich nach: die Griechen starten mit „666“ (Κατά τον δαίμονα εαυτού, 2013) von Anfang an ordentlich durch und lassen dann eine gute Stunde lang nicht zu, dass irgendjemand auch nur den Ansatz einer Atempause bekommt. Zu „Elthe Kyrie“, „Apage Satana“ (beide von der Rituals, 2016), und „In Yumen – Xibalba“ gleicht das mittlerweile trotz der Konkurrenz am anderen Ende der Stadt gut gefüllte Werk einem Meer aus Haaren und gereckten Fäusten. Vom neuen Album The heretics, das im nächsten Jahr erscheinen wird, präsentieren die vier Herren um Sänger und Gitarrist Sakis Tolis den Song „Fire and flame“, und als zum genialen Thou-art-Lord-Cover „Societas Satanas“ (vom 2009er Live-Album Live in Hellas) zum Circle Pit aufgerufen wird, fliegen die Fetzen. Wie eigentlich bei jedem Rotting-Christ-Konzert, das ich in den letzten Jahren gesehen habe, vom Dark Easter Metal Meeting 2016 zum letzten Konzert, das keine neun Monate her ist, liefern die Griechen einfach eine konstant gute Show, diesmal allerdings reichlich kurz gehalten – man ist ja schließlich „nur“ Vorband. Einerseits schade, andererseits hat mir dieses vergleichsweise kurze Gastspiel bereits zwei Tage Muskelkater im Nacken beschert, da will ich mal nicht meckern. Zumal Rotting Christ sich nicht haben lumpen lassen und einen Gassenhauer nach dem anderen rausgehauen haben. Einzig „Devadevam“ wäre noch als Kirsche auf dem Sahnehäubchen wünschenswert gewesen, um diesen Auftritt wirklich perfekt zu machen. Für mich der musikalische Höhepunkt an diesem Abend!
Headliner Watain hat es nach diesem Komplettabriss deutlich schwer auf der Bühne, scheint es: Trotz Umbaupause und traditionellem Fackelentzünden, das lange zelebriert wird, dauert es eine Weile, bis so etwas wie Stimmung aufkommt. Die ersten vier, fünf Reihen enttäuschen natürlich nicht, aber gerade im Vergleich zum Vorgänger hält sich das restliche Publikum lieber vornehm zurück mit dem Haareschütteln – und zwar erstaunlicherweise das gesamte Konzert über. Aber der Reihe nach: Die Schweden haben sich fünf volle Jahre Zeit gelassen, um einen Nachfolger für ihr letztes Album The wild hunt zu produzieren, das in Gestalt von Trident wolf eclipse diesen Januar endlich erschienen ist. Dementsprechend viel Neues präsentieren uns Watain an diesem Abend: nach dem älteren „Storm of the Antichrist“ zum Einstieg gibt es das brachiale „Nuclear alchemy“, später bekommen wir noch „Furor diabolicus“, „Sacred damnation“ und „Towards the sanctuary“ zu hören – allein, es tut sich nicht viel. Vielleicht starren an diesem Abend alle lieber in die vielen, vielen Flammen auf der Bühne, vor allem in die an den Spitzen der beiden gigantischen umgedrehten Kreuze, die links und rechts neben Sänger Erik „E.“ Danielsson (den wir wenige Wochen zuvor interviewen durften) stehen. Erst als Watain „Malfeitor“ auspacken, kommt Leben in die Bude, und das nicht zu knapp: ein paar Minuten lang sieht das Werk aus wie bei Rotting Christ, danach beschränkt sich der Großteil wieder auf wohlwollendes Nicken und ab und zu eine gereckte Faust. Das geht die letzten beiden Lieder, „On horns impaled“ und „Serpent’s chalice“, dann so weiter, bis Watain schließlich während des langen Outros die Bühne verlassen – und nicht mehr wiederkommen. Es ruft an diesem Abend auch niemand „Zugabe!“. Münchner wie Gäste stehen einfach nur vor der Bühne, bis sich die Masse schließlich auflöst und davontreibt. So etwas habe ich bei einem Konzert auch noch nie erlebt.
Watain haben natürlich alles sehr professionell abgeliefert, jede Bewegung ist genau kalkuliert, alles sitzt auf den Punkt genau. Die Band ist mit der neuen Platte ihrem Stil treu geblieben und weiß, was an musikalischem und optischem Furor funktioniert. Warum der Funke (trotz der vielen Feuerchen auf der Bühne) nicht so richtig übergesprungen zu sein schein, ist tatsächlich ein Rätsel. Vielleicht ist das Werk für diese Art Show schon wieder zu groß? Kollegin torshammare erinnert sich noch an einen wirklich heißen Abriss in der Halle vor diversen Jahren – so war es heute leider definitiv nicht. Hier muss ich allerdings zugeben, noch nie der größte Watain-Fan gewesen zu sein, auch wenn ich an einzelnen Songs und Alben wie Sworn to the dark durchaus Gefallen gefunden habe. Also ziehe ich mich lieber aus der ersten Reihe zurück und überlasse meinen Platz jemandem, der Watain sehr viel lieber mag als ich. An diesem Abend wirkt es allerdings so, als wäre das gerade einmal eine Handvoll Leute – sehr viel weniger jedenfalls, als Watain-Patches auf den Kutten haben und die entsprechenden Bandshirts tragen. Oder haben Rotting Christ einfach alles plattgefahren, was ihnen an diesem Abend vor die Bühne gelaufen ist, sodass Watain einfach vor ausgepowerten Menschen auftreten musste? Oder waren einfach alle sehr, sehr andächtig? Wir werden es wohl nie erfahren.
Insgesamt ein guter Konzertabend mit einer überraschenden, einer überragenden und einer Band, die offensichtlich einfach Pech gehabt hat!
Setliste Profanatica:
Ordained in bile
Unto us he is born
Mocked, scourged and spit upon
Broken jew
Sickened
Concieved with sin
Once removed savior a.k.a. disease infected cunts of dead nuns
Final hour of christ
Weeping in heaven
Heavenly father
I arose
Setliste Rotting Christ:
666
Fire and flame
Elthe Kyrie
Apage Satana
Societas Satanas (Thou-art-Lord-Cover)
In Yumen – Xibalba
Grandis Spiritus Diavolos
Setliste Watain :
Storm of the Antichrist
Nuclear alchemy
The child must die
Puzzles of flesh
Furor Diabolicus
Sacred damnation
The golden horns of Darash
Malfeitor
Towards the sanctuary
On Horns impaled
Serpent’s chalice
(Bilder: torshammare)
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