Der Thron wackelt bedenklich

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Bildmaterial: © Arne Rucks

Als ich um 20:20 im Strom eintreffe, ist schon einiges los, und der Club füllt sich weiterhin schnell, schließlich spielt hier heute nicht irgendeine Durchschnittscombo. Nur wenige Bands können von sich behaupten, ein ganzes Musikgenre nicht nur maßgeblich beeinflusst, sondern sogar ins Leben gerufen zu haben. Die 1980 gegründeten The Meteors gehören auf jeden Fall dazu. Beeinflusst von Rock ’n‘ Roll, Rockabilly der 1950er Jahre und der gerade neu entstandenen Punk-Subkultur kombinierten sie beides, dadurch war Psychobilly geboren. Somit tragen sie sicherlich auch nicht zu Unrecht den sich selbst verliehenen Titel „Kings of Psychobilly“. Gefühlsmäßig mindestens jeder zweite trägt heute Abend ein Meteors-T-Shirt oder wenigstens einen OTMAPP-Aufnäher auf der Jacke, eine in Fankreisen gebräuchliche Abkürzung für „Only The Meteors are pure Psychobilly“, was die Bedeutung der Band insgesamt unterstreicht.

Ich beziehe am rechten Rand Position, weil hier Treppenstufen einen gewissen Schutz vor der Wrecking Crew bieten und die erhöhte Stellung natürlich für Fotos sehr gelegen kommt. Um 21:15 eröffnen The Meteors um Mastermind P. Paul Fennech das Konzert etwas verspätet mit einem längeren Instrumental, anschließend begrüßt er das Publikum mit „Guten Abend München! It’s good to be back!“ Das klingt eigentlich recht vielversprechend, doch die Menge wirkt noch etwas zurückhaltend. Erst nach und nach beginnen ein paar Jungs mit dem Wrecking. Es ist allerdings so eng, dass kaum Bewegung entsteht. Leider gibt es auch keine nennenswerte Lichtshow, obwohl der Club über entsprechende Scheinwerfer verfügt. Das Bühnenlicht ist einfach recht hell und ändert sich nicht.

Plötzlich packt mich von hinten eine große Hand an der Schulter. Es ist der Merchandise-Verkäufer vom Stand hinter mir, der mir zu verstehen gibt, dass ich keine Fotos machen darf. Für mich völlig unverständlich, da überall im Publikum fotografiert wird, teilweise sogar mit Blitz, den ich gar nicht einsetze. Na gut, dann muss ich eben den Standort wechseln und dabei allerdings auf die Wrecking Crew aufpassen. Mitterweile ist schon ein kleiner Pit entstanden, und die ersten wrecken bereits verschwitzt und mit nacktem Oberkörper. Aber immer, wenn Fahrt aufkommt, bei Songs wie „Fuck your World“, „No Surrender“ oder „Straight down to Hell“ nehmen The Meteors das Tempo auch wieder ein bisschen heraus, indem sie die Songs am Ende instrumental in die Länge ziehen. Mittendrin wird Paul von einem Fan vor der Bühne eine Art Geburtstagskarte mit einem Schlumpf auf dem Cover überreicht, die er dankend und mit einem Lächeln entgegennimmt. Er bedankt sich auch bei seinem Schlagzeuger Wolfgang Hördemann, der nach diversen vorigen Besetzungswechseln nun seit 1993 im Team ist. Eindeutig ein Highlight heute ist „Little Red Riding Hood“, das vor allem von den anwesenden Damen begeistert mitgesungen wird. Aber „Ain’t gonna bring me down“ straft den Titel Lügen, denn irgendwie passiert dann genau das.

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Bildmaterial: © Arne Rucks

Nach gerade einmal 40 Minuten kündigt Paul überraschend „two more songs“ an. Das letzte Lied des Abends wird der Klassiker „Wrecking Pit“ sein, doch anstatt kollektiv auszurasten, ist das Publikum ob des frühen Endes eher konsterniert, und lediglich fünf oder sechs Personen sind am wrecken. Das scheint Paul nicht zu gefallen, denn mitten im Song nimmt er die Gitarre ab und lässt sie einfach fallen, singt zwar noch einige Zeilen, verlässt dann aber kommentarlos die Bühne. Schlagzeuger Wolfgang Hördemann und Bassist Hendrik Corleone spielen hilflos zu Ende und verschwinden anschließend ebenfalls im Backstagebereich.

Natürlich gibt es jetzt lautstarke Rufe nach einer Zugabe, doch es kommt nur einer der Offiziellen und kommentiert kurz und knapp: „Die Gitarre ist kaputt!“ Licht und Musik gehen an, und so gibt es jede Menge enttäuschte und wütende Gesichter, Pfiffe und Buh-Rufe. Auch ein Plastikbecher fliegt auf die Bühne, wirkt aber eher wie eine hilflose Geste. Sollte die Band tatsächlich mit nur einer Gitarre unterwegs sein (was ohnehin niemand glaubt), dann wäre das unendlich dumm. Und selbst wenn, könnte man immer noch wenigstens zwei Zugaben halt ohne Gitarre hinlegen und damit die Fans noch einmal mitreißen.

Verglichen mit den unseligen Zeiten, in denen ein Meteors-Konzert schon nach 20 Minuten beendet wurde, mag das heute vielleicht nicht schlecht gewesen sein, allerdings sind 45 Minuten Spielzeit eine Frechheit für eine Band mit 36 Jahren Bühnenerfahrung und vor allem auch eine Zumutung gegenüber den Fans, die für dieses einzige Konzert im süddeutschen Raum weite Wege zurückgelegt haben und teilweise auch aus Österreich angereist sind. Insgesamt wirkte der Auftritt auf mich sehr routiniert heruntergespielt, ein bisschen wie eine Pflichtveranstaltung. Vielleicht liegt hier der Grund für die fehlende Setlist auf der Bühne, so dass man quasi jederzeit gehen kann, weil niemand weiß, wie lange das Konzert geplant gewesen wäre. Trotzdem: So ein Abgang ist meiner Meinung nach eines Königs nicht würdig, trotz aller zur Schau getragenen Fuck-the-World-Attitude. So kann man auch seine eigene Legende demontieren und es anderen Bands ermöglichen am Psychobilly-Thron zu rütteln.

Wie man es richtig macht, haben erst kürzlich „die ewigen Konkurrenten“ von Demented Are Go in München gezeigt. Hier der Link zum Bericht.

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  1. […] Im Meer der unzähligen Punkrock-Bands ist es sicherlich schwer, sich durchzusetzen und einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Der deutsche Gesang ist schon mal ein Plus, auch dass der Drummer einzelne Gesangsparts übernimmt, was eher ungewöhnlich ist. Richtig aufhorchen lässt mich ein Song kurz vor Schluss, bei dem der Gesang auch mit Hardcore-Brülleinlagen durchsetzt ist. Letztendlich ernten Reisegruppe Hässlich mit ihrer Beharrlichkeit einigen Beifall und verkaufen schließlich auch einige CDs vom Bühnenrand, obwohl die Zugabe ausfällt. Außerdem höre ich im Publikum die anerkennende Aussage: „Die haben wenigstens länger gespielt als die Meteors.“ (Link zum Bericht) […]

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