You are never too rich to do a moshpit!

Mit erfreulicher Regelmäßigkeit statten die Norweger Satyricon dem Münchner Backstage einen Besuch ab, ein absoluter Pflichttermin im Kalender jedes im entferntesten an Black Metal interessierten Musikfans. Ob Satyricon überhaupt noch Black Metal spielen, wird seit Jahren heiß diskutiert. Ich würde sagen, scheiß drauf, gerade live blasen einem Satyr, Frost und ihre großartigen Mitmusiker jedes Mal die Gehörgänge sauber, da ist es völlig egal, was sie da gerade spielen oder wie man es nennt. Die Konzerte von 2013 und 2015 waren bereits von legendärer Intensität, und nachdem Satyr sich zum Glück wieder von seiner einschneidenden Gehirntumordiagnose vor zwei Jahren erholt hat und die neue Platte Deep calleth upon deep nach den ersten Hördurchgängen schon verdammt gut klingt, kann einem weiteren legendären Abend ja eigentlich nichts im Weg stehen. Auf ins Backstage, Stehvermögen und Fächer eingepackt, denn der Laden meldet: ausverkauft!
DSC_1590Die erste Band Fight the Fight wird spontan noch ein bisschen früher auf die Bretter geschickt als der sowieso schon kurzfristig nach vorn verlegte Beginn, weshalb um sieben die Backstage Halle noch recht übersichtlich gefüllt ist. Die ersten Besucher haben sich schon für Satyricon am Bühnenrand festgekettet, der Rest hält noch einen sehr großen Sicherheitsabstand zum Geschehen. Fight the Fight präsentieren sich als junge Band, sind aber eigentlich alte Hasen. Unter dem Namen Oslo Faenskap haben sie Satyricon bereits 2015 begleitet; verändert hat sich personell und musikalisch scheint’s sehr wenig. Es wird immer noch eine eher durchschnittliche Metalcore-Melange kredenzt, die mich schon vor zwei Jahren nicht so recht überzeugt hat. Nun bin ich aber auch ausgewiesener Nicht-Metalcore-Fan – etwas versiertere Fans sehen das sicher anders. Die Band bollert jedenfalls sehr engagiert Songs von ihrem gleichnamigen Debütalbum als Fight the Fight herunter, „Fight the fight“, „Patient zero“ oder ein Track für „the people who love the darkness“, „My emperor“, kommen zumindest sehr solide rüber. Ein bisschen spannender wird es bei „Anitra’s dance“, in das das gleichnamige Stück aus Edvard Griegs „Peer Gynt“ eingearbeitet wurde. Das Publikum ist allerdings weiterhin etwas skeptisch, spendet aber wenigstens Höflichkeitsapplaus, und ein paar nickende Köpfe sieht man auch. Heute sind wohl einfach keine Metalcore-Hörer da, das ist Pech für die Band, aber es gibt auch definitiv mitreißendere Vertreter dieser Richtung.

DSC_1668Ganz anders sieht es kurz darauf bei den Griechen-Thrashern von Suicidal Angels aus, die definitiv eine Fanbase heute Abend haben und von frenetischem Jubel empfangen werden. Auch Thrash passt eigentlich von der musikalischen Ausrichtung nicht so ganz zu Satyricon, aber die vier Griechen machen höllisch Laune, das merkt man auch an der sehr haarigen Luft in den ersten Reihen. Bei auf den Punkt gebrachten Songs wie „Capital of war“, „Bloodbath“ oder „Eternally suffer“ verbietet sich Stillstehen aber auch von selbst. Zwischendurch gibt’s lockere Ansagen von Sänger Nick auf Deutsch, die Mitbrüllspielchen („Alles zusammen, Deutschland!“) funktionieren hervorragend, und auch der geforderte „most violent, most brutal“ Moshpit wird bei „Moshing crew“ geliefert – zum Glück nicht violent und brutal, sondern rücksichtsvoll und mit Spaß für alle. Wenn man vor lauter Haareschütteln oder Rumspringen zwischendurch mal kurz zur Bühne schaut, kann man die phänomenalen Soli von Gitarrenhexer Gus bewundern, der seine Finger wirklich sehr ansehnlich über den Gitarrenhals flitzen lässt. Eine verdammt runde Thrash-Sache also, und nach dem abschließenden „Apokathilosis“ ist die Hütte schon mal sehr gut aufgewärmt. „Always a fucking pleasure in Munich“, meint Nick, und das können wir nur unterschreiben.

DSC_1803Die etwas längere Umbaupause nutzt ein Großteil des Publikums, um sich einen strategisch günstigen Platz für Satyricon zu suchen – gefühlt drängt alles in die ersten drei Reihen, aber wenn man sich umschaut, geht das so weiter bis zum Merchstand. Getränke, Rauchen oder Pipi sind also nicht mehr drin, kluge Menschen haben sich vorher mit Flüssigkeit und Frischluft versorgt. Bewegungsspielraum gleich null (super zum Fotografieren), aber man fällt auch nicht um, falls es mal etwas wilder werden sollte im Publikum. Um neun Uhr etwa geht es dann endlich los, ein dramatisch-erhabenes Instrumentalintro vom Band erklingt, das eine herrlich düstere Stimmung verbreitet. Man spürt förmlich diese ganz besondere Aufregung, die vor einem tollen Abend in der Luft liegt, vor einer Band, die nur einmal atmen muss, und schon liegen ihr alle Fans zu Füßen. Dementsprechend laut ist der Jubel, als die Musiker nach und nach auf die Bühne kommen und ihre Instrumente anlegen beziehungsweise hinter den Kesseln verschwinden (Frost). Satyr – mit Lederjacke, kurzen, nach hinten gestrichenen Haaren und dezentem Corpsepaint – strahlt wie immer ein ganz besonderes Charisma aus – jetzt kann es ja endlich losgehen! „Midnight serpent“ vom neuen Album eröffnet das Set, ein typischer Midtempo-Vertreter des aktuellen Satyricon-Sounds – vielleicht nicht der allerbeste Eröffnungssong, aber mitreißend genug. „Our world, it rumbles tonight“ vom Vorgängeralbum Satyricon schlägt in dieselbe Kerbe, etwas verfrickelt, etwas schwergängig, aber so kann man sich wenigstens in Ruhe warmbangen. „Black crow on a tombstone“ heizt dann ordentlich ein, und die Halle geht geschlossen steil. „Deep calleth upon deep“ beschließt den ersten Songblock; hier hört man im direkten Gegensatz zum vorhergehenden Song aus dem Jahr 2008, was für eine Entwicklung die Band gemacht hat. Weg vom groovenden Geknüppel, hin zu introvertierteren, zwar nicht weniger intensiven, aber schwerer zugänglichen Songs, die man sich erarbeiten muss. Deutliche Spuren hat auch das legendäre Konzert der Band in der Oper von Oslo hinterlassen (Review zum Tonträger hier), was mir persönlich sehr, sehr gut gefällt. Stillstand ist ja sowieso Tod, auch wenn man dann mal ein bisschen Zeit investieren muss.
Nach „Deep calleth upon deep“ verschwindet die Band kurz von der Bühne, ein sehr progressives, spannendes elektronisches Intermezzo ertönt, das in einen Liedblock mit älteren Stücken überleitet, bei dem ordentlich geknüppelt werden darf (einziges Manko der ganz neuen Songs: Frost ist ein wenig unterfordert.). Nach „Walker upon the wind“ wird es mit „Repined bastard nation“, „Commando“ und dem unvergleichlichen Groove-Monster „Now, diabolical“ schweißtreibend. Satyr muss nur ins Mikro knurren, sich ab und zu am Bühnenrand aufbauen und die Zuschauer anfeuern – den Rest erledigt das Publikum. Einen ebenso großen Beitrag zur euphorischen Stimmung leistet aber auch die Band, die bestens aufeinander eingespielt ist. Nach einem zweiten, ebenso progressiv-atmosphärischen Intermezzo ist es wieder Zeit für das neue Album, das sich von Mal zu Mal immer unauslöschlicher ins Gehirn schraubende „To your brethren in the dark“ und „Burial rite“ zeigen noch einmal eindringlich, wie Satyricon im Jahr 2017 klingen, bevor es mit „Transcendental requiem of slaves“ und – natürlich! – „Mother north“ sehr alt und schwarzmetallisch wird. Hymnenalarm, sage ich da nur, und wie immer ist es ein Erlebnis, dieses Lied live zu hören.
Danach verzichtet die Band zum Glück auf das sonst übliche „Alle rennen für drei Sekunden von der Bühne und drehen gleich wieder um, weil es sowieso eine Zugabe gibt“, sondern bedankt sich erst einmal ausführlich beim Publikum für drei in Folge ausverkaufte Konzerte in München (2013, 2015, 2017), was man sehr, sehr zu schätzen wisse. Die zahlreich vertretenen, am Bühnenrand und vor der Bühne postierten Rollifahrer werden besonders bedacht und mit Plektren und Drumsticks beschenkt. Aber dann genug der Sentimentalitäten, ein paar Songs fehlen ja noch, und die kommen auch. Bei „The pentagram burns“, „Fuel for hatred“ und dem perfekten „K.I.N.G.“ tropft der Schweiß von der Decke, und München zeigt, dass es im Gegensatz zu Zürich nicht „too rich“ für einen ordentlichen Moshpit ist. Die Band ist – sogar für unterkühlte norwegische Verhältnisse – sichtlich gerührt und bewegt, verabschiedet sich noch einmal ausführlich, und dann ist es wirklich, wirklich vorbei.

Ein toller Metalabend mit einer der besten Bands ihres Genres, die ihr Charisma und Können vor allem live entfaltet. Das Konzert vor zwei Jahren mit der unvergleichlich schönen Jamsession hat mich noch ein wenig mehr bewegt, heute war alles etwas straighter und routinierter, auch bei der Songauswahl hätte ich ein bisschen nörgeln können, aber nichtsdestotrotz tut mir der Nacken weh, und ich bin sehr glücklich. Wenn Satyricon beim nächsten Mal dann bittebitte im luftigeren Werk spielen dürfen und wir nicht noch mal diese schier unerträgliche Enge mitmachen müssen, dann bin ich restlos glücklich.

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Setlist Satyricon:
1. Midnight serpent
2. Our world, it rumbles tonight
3. Black crow on a tombstone
4. Deep calleth upon deep
Intermezzo
5. Walker upon the wind
6. Repined bastard nation
7. Commando
8. Now, diabolical
Intermezzo
9. To your brethren in the dark
10. Burial rite
11. Transcendental requiem of slaves
12. Mother north
13. The pentagram burns
14. Fuel for hatred
15. K.I.N.G.

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