Feuer, Nebel und Schnee

 

München, Freitagabend, 50 Zentimeter Schnee. Den Witterungsbedingungen zum Trotz machen sich etliche Schwarzgekleidete auf in die Tonhalle, der ehemaligen Pfanni-Kartoffellagerhalle, die seit 2003 als Konzerthalle dient (erst unter dem Namen Colosseum, dann schließlich als Tonhalle). Die Schlange am Einlass um halb sieben ist jedoch nicht so lang, wie gedacht; etliche werden sich den Weg in die Stadt bei den Wetterverhältnissen, die den Zug- und S-Bahn-Verkehr streckenweise zum Erliegen gebracht haben, gespart haben, Ticketpreis (42 Euro im Vorverkauf ist ziemlich happig) hin oder her. Diejenigen, die doch gekommen sind, erwartet ein Black- und Death-Metal-Abend der Extraklasse, denn Polens zugkräftigster Schwarzmetall-Export Behemoth legt auf der Ecclesia-Diabolica-Evropa-Tour in München einen Zwischenstopp ein. Tatkräftige Unterstützung gibt es von At the Gates und Wolves in the Throne Room – dafür nimmt man das Schneechaos doch gerne in Kauf!

DSC_0158Auf die Minute pünktlich legen die Amerikaner von Wolves in the Throne Room dann mit „Angrbroda“ vom aktuellen Album Thrice woven los, nachdem eine gute halbe Stunde kräftig geräuchert wurde. Allerdings beginnt damit auch eine eher enttäuschende halbe Stunde, denn der Sound ist leider alles andere als optimal: in Reihe zwölf kommt nur noch Brei an; an der Seite und weiter hinten dürfte es besser gewesen sein. Die überlangen Stücke, in denen sich rasende Black-Metal-Passagen mit eher stimmungsvollen, ruhigeren Abschnitten abwechseln, die Übergänge streckenweise untermalt von Synthie-Sounds und Umgebungsgeräuschen aus der Natur (Wassertropfen in einer Höhle, das Knacken von Holz im Feuer …), verfehlen ihre Wirkung nicht gänzlich, auch wenn die übliche WITTR-Hypnose in der großen Halle etwas verpufft. Ohne Pausen zwischen den Songs arbeiten sich die Wölfe dann durch „The old ones are with us“ und dem grandiosen „Born from the serpent’s eye“, alle drei von der Thrice woven, ehe sich die Brüder Nathan und Aaron Weaver (Vox und Gitarre), die den Kern der Band bilden und sich live Unterstützung von Drummer Trevor Deschryver, den Gitarristen  Kody Keyworth und  Peregrine Sommerville und Keyboarderin Brittany McConnell holen, wieder verabschieden müssen. Schade eigentlich, denn trotz aller Soundprobleme meint auch das Publikum, genauer gesagt ein Herr neben mir: „Das war jetzt aber g’scheid schön!“, und dem kann ich nur zustimmen.

 

DSC_0337Als Nächstes starten dann At the Gates, das Göteborger Death-Metal-Urgestein, voll durch, und schon beim ersten Song, „To drink from the night itself“, ist jeder Rest der hypnotisch-düsteren WITTR-Stimmung sofort weggeblasen. Fröhlich metzgern sich die Schweden um Frontmann Tompa Lindberg dann noch durch „Slaughter of the soul“ und „At war with reality“, ehe man sich (und uns) ein kleines Päuschen gönnt, in der wir sogar auf Deutsch begrüßt werden. Die Spielfreude – es ist erst der zweite Tour-Tag, alle sind noch frisch – kennt keine Grenzen, und das an diesem Abend allzu passende „Cold“ wird nur zu gerne mitgesungen, ehe die ersten T-Shirts über die Menge fliegen. Die Winterkälte hat an diesem Abend keine Chance mehr, denn At the Gates hauen einen modernen Klassiker nach dem anderen raus („A stare bound in stone“ vom aktuellen Album To drink from the night itself, „El altar del dios desconocido“, „Death and the labyrinth“, Heroes and tombs“ sowie „The book of sand“ vom Vorgänger At war with reality), ehe es mit dem gefeierten „Suicide Nation“ und „Blinded by fear“ an die „echten“ Klassiker aus den Neunzigern geht (beide Stücke sind vom 1995er Album Slaughter of the souls). Die fröhliche Abrissparty findet schließlich nach gut einer Stunde mit „The night eternal“, dem Rausschmeißer von der At war with reality, und etlichen Kusshändchen, ins Publikum geworfen von Tompa Lindberg, ein Ende. Wo man auch hinsieht, erblickt man glückliche, schweißbedeckte Gesichter und die ersten nackten Oberkörper. Selbst diejenigen, die mit At the Gates wenig bis gar nichts anfangen können – die Stimme ist einfach gewöhnungsbedürftig, so gut der Sound auch sein mag –, können sich an der puren Lust der Band, hier auf der Bühne zu stehen, erfreuen, sodass Behemoth ein nicht nur exzellent aufgewärmtes, sondern ein regelrecht euphorisches Publikum vorfinden.

 

DSC_0451Doch ehe der Tour-Headliner auf die Bühne kommt, muss diese entsprechend präpariert werden, und damit es spannend wird, senkt sich zunächst ein dicker, schwarzer Vorhang hinab, der sich später als Leinwand entpuppt. Als nicht nur die Instrumente, sondern auch die diversen Pyrotechnik-Installationen stehen, heißt es: Feuer frei für Behemoth! Die Herren aus Polen begeben sich zum gruselig-aggressiven Kinderchor aus „Solve“, dem Intro der aktuellen Scheibe I loved you at your darkest, der immer wieder die Worte „Elohim, I shall not forgive! / Adonai, I shall not forgive! / Living God, I shall not forgive! / Jesus Christ, I forgive thee not!“ wiederholt, auf die Bühne und legen dann mit dem grandiosen „Wolves ov Siberia“ amtlich los. Dazu gibt es die bewährte Mischung aus Feuersäulen und Nebelwänden, die die Musiker immer wieder einhüllen. Für die nächsten beiden Songs, „Diamonos“ und „Ora pro nobis Lucifer“, greifen Behemoth auf die letzten beiden Alben Evangelist und The Satanist zurück, und bei den Refrains erhebt das aufgeheizte Publikum kräftig seine Stimme. Vom neuen und heftig kritisierten aktuellen Album, das wesentlich melodischer ausgefallen ist, als wir es von Behemoth sonst gewohnt sind (und mich streckenweise an Dimmu Borgir erinnert), gibt es dann „Bartzabel“, später noch „God = Dog“, bei dem ich ob der schwarzen, satanischen „Bischofsmütze“, die Sänger Nergal auch im Video dazu trägt, etwas ins Stolpern gerate, sowie „Ecclesia diabolica catholica“ und „We are the next 1000 years“; alles Lieder, die live nicht ganz so verspielt dargeboten werden wie auf Platte, sondern etwas straighter und brutaler. Was nach dem Abrisskommando At the Gates noch gestanden hat, reißen Behemoth dann mit „Ov fire and the void“ und „Lucifer“, beide vom Evangelist-Album, sowie „Conquer all“ und „Slaves shall serve“ von der Demigod, endgültig nieder und walzen es platt. Die Securitys im Graben pflücken im Minutentakt euphorische Crowdsurfer aus den Reihen, und als das Publikum aus hundert Kehlen dem Himmel ein wütendes „Blow your trumpets Gabriel“ entgegenschleudert, bekomme ich trotz der Hitze, die von den Feuersäulen vor der Bühne ausgeht, tatsächlich Gänsehaut. Mit der ist es jedoch schnell wieder vorbei, als gegen Ende eine Glitterkanone (ja, wirklich!) ausgepackt wird, die Goldflitter in die Tonhalle schleudert, was mich eher in den benachbarten Schlagergarten versetzt als in die Untiefen der Hölle. Behemoth machen das jedoch wieder wett, indem sie sich mit einem von allen Bandmitgliedern getrommelten Outro nach „Coagvla“, dem letzten Song auf der I loved you at your darkest, verabschieden.

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Doch damit beginnt für viele erst das eigentliche Martyrium an diesem Abend: das Anstehen an der Garderobe. Für uns dauert das an diesem Abend eine geschlagene Stunde, in der wir dicht an dicht in einer Menge stehen, die zunehmend unzufriedener wird und immer lauter murrt. Hinter uns wird die Tonhalle schnell von den Securitys abgesperrt, die Aufräum- und Abbau-Arbeiten sind in vollem Gange, sodass sich die Menge auch nicht mehr weiter verteilen kann. Die einzige Auflockerung kommt in Gestalt eines mutigen Menschen, der sich dagegen entschieden hat, sich auf dem Weg zu den Toiletten durch die Menge zu drängen, sondern sich mit einem fröhlichen „Ich muss aufs Klo!“ per Crowdsurfing zu den Örtlichkeiten und wieder zurück transportieren ließ – Kudos! Als wir endlich dran sind, händigt man uns unsere dicken Wintermäntel sofort und ohne Verzögerung aus; am absolut freundlichen und kompetenten Garderobenpersonal liegt es also nicht. Wahrscheinlich war auch diese Verzögerung schlicht dem Winter geschuldet.
Insgesamt kamen wir an diesem Abend in den Genuss von drei guten Konzerten, die mächtig Laune gemacht haben. Wolves in the Throne Room kommen mit längerer Spielzeit und in kleineren Locations (wie etwa im Juli 2018 im Feierwerk) besser zur Geltung. At the Gates waren die perfekten Anheizer für ein Behemoth-Konzert, das kaum Wünsche offen gelassen und obendrein ein neues, harscheres Licht auf das aktuelle Album geworfen hat. Mehr kann man von einem verschneiten Freitagabend im Januar nicht erwarten!

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Setliste Wolves in the Throne Room:
Angrbroda
The old ones are with us
Born from the serpent’s eye

 

Setliste At the Gates:
Der Widerstand (Intro)
To drink from the night
Slaughter of the soul
At war with reality
A stare bound in stone
Cold
El altar del dios desconocido
Death and the labyrinth
Heroes and tombs
Suicide nation
Daggers of black haze
The book of sand
Blinded by fear (Intro)
The night eternal

 

Setliste Behemoth:
Solve
Wolves ov Siberia
Diamonos
Ora pro nobis Lucifer
Bartzabel
Ov fire and the void
God = dog
Conquer all
Ecclesia diabolica catholica
Decade ov therion
Blow your trumpets Gabriel
Slaves shall serve
Chant 4 Ezkaton
Lucifer
We are the next 1000 years
Coagvla

Bilder: torshammare

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