Hypnotische Soundlandschaften
Ulver – wir erinnern uns, die waren doch mal richtig Metal, oder? Ja, vor gefühlten Urzeiten begannen sie ihre Karriere mit feinstem Black Metal (Bergtatt, 1995), waren allerdings auch da schon unberechenbar und schoben mit Kveldssanger gleich mal ein astreines Folkalbum nach, was für den aufgeschlossenen Black Metaller aber grade noch so kompatibel war.
Viel hat sich seit den Anfangstagen getan, aufgeschlossen müssen Ulver-Hörer allerdings immer noch sein. Bei kaum einer Band passt der Spruch „Nix Gwieß woaß ma net“ vor einem Konzert so gut wie hier. Die (mittlerweile zehn regulären) Studioalben geben wenig Hinweise darauf, was einen live erwartet, Konzertmitschnitte auf YouTube sind rar (was ja eigentlich auch gut ist, weil dann nicht ständig jemand sein Smartphone anderen vor die Birne gehalten hat), und Songs live einfach nur wie auf Konserve nachspielen ist ja langweilig.
Dementsprechend gespannt und möglichst erwartungsfrei pilgert das Team von Schwarzes Bayern in die Backstage Halle zur „career spanning“ Show. Ob sie den alten Metal noch mal auspacken würden? Diese leise Hoffnung hegen sicher viele der zahlreichen Anwesenden, andererseits ist auch viel unmetallisches Publikum gekommen, das Ulver sicher mit den neueren Veröffentlichungen aus den Bereichen Ambient, Klassik, Elektroexperimentell, Soundtrack usw. kennen- und lieben gelernt hat. Nach einer Stunde Wartezeit – die Support-Band, so hört man, musste leider absagen – unter ständiger Depeche-Mode-Beschallung betreten die Musiker die Bühne: Kristoffer „Garm“ Rygg und Tore Ylwizaker hinter den elektronischen Gerätschaften, die auf einem hohen, mit einem Tuch verhangenen Tisch stehen, um sie herum fünf Musiker an Gitarre, Keyboard, kleinem Synthie-/Keyboard, Percussion/Geräuschestation und noch mal Schlagzeug. Eindringlich geht es los, Glockenläuten, Kettenrasseln (vom Geräuschemacher), ein dazu passender Schwarz-Weiß-Film (wer’s genau wissen will: Ausschnitte aus den ersten Szenen von Stanley Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum, der auch später noch einmal bemüht wurde) auf der Videoleinwand hinter der Band. Nach und nach setzen die Instrumente ein, sogar einige Gesangspassagen von Garm sind zu hören, Bass, Trommeln, Keyboard, Synthesizer, Gitarre – alles verschmilzt zu einem organischen Ganzen und steigert sich unaufhörlich.
Fast schon tribal-/trance-artig geht es im zweiten Song weiter, auch hier gelingt es Ulver, vor tanzenden S/W-Skeletten auf der Videoleinwand eine extrem rhythmische Soundwand zu errichten, deren Magie man sich nicht entziehen kann. Die ersten Köpfe beginnen im Takt zu nicken, viele haben die Augen geschlossen und lauschen einfach nur mitgerissen.
Im dritten Song gewähren uns Ulver eine kleine Verschnaufpause, leise Klaviertöne leiten das Stück ein, das sich jedoch schon kurz darauf zu einem wahren Elektro-Ambient-Biest aufbaut, mit einem Teppich aus klagender Gitarre und darüberliegenden Synth-Noise-Schleifen, die fast schon an die Drone-Meister von Sunn O))) erinnern.
Dann wird es trommellastig, die Schläge und Beats gehen einem wahrlich durch Mark ein Bein, wieder werden hier wahre Soundapokalypsen kreiert, die aber gleichzeitig warm und organisch wirken und einen in ihre Umarmung ziehen.
Nahezu nahtlos wird der nächste Song angeschlossen, der nicht mehr ganz so brachial daherkommt, aber immer noch rhythmisch alles vorantreibt, untermalt von feinem Elektrogeplucker und anderen Synthiespielereien, die man dank wirklich gutem Sound auch hervorragend heraushört.
Das sechste Stück führt den Hörer erst ein wenig auf Abwege, so leicht und schwebend, fast schon fröhlich beginnt es, beinahe wagt man ein wenig zu träumen, bis einen dann tonnenschwere Riffs wieder zum energischen Kopfnicken treiben. Kein Metal, aber definitiv gut für leichtes Nackenweh!
Geradezu gefällig wird es bei den nächsten zwei Songs, die beinahe mainstreamig sind, mit Gesang und klaren Liedstrukturen. Das erste wartet mit einem getragenen Rhythmus und wunderschönem Gesang von Garm auf, eindringlich und mitreißend (es stört auch nicht, dass er den Text vom Blatt ablesen muss) und immer noch recht experimentell. Das zweite „normale“ Stück dagegen, „Nowhere/Catastrophe“ vom auch schon recht betagten Album Perdition City ist für meine Ohren – und im Vergleich zum restlichen Set – unerträglich poppig, doch gerade bei diesem Lied entsteht die meiste Bewegung im Publikum, viele kennen es und tanzen mit. Sicher, eine kleine Verschnaufpause vom ansonsten wahnsinnig intensiven Konzert kann schon guttun – mir persönlich wären die Soundlandschaften lieber gewesen. Egal, die Band wird bejubelt, den Leuten gefällt’s, die Stimmung in der Halle ist ausgezeichnet – das ist ja schließlich das Wichtigste.
Nach einem kurzen Pro-Forma-Abgang von der Bühne gibt es zum Glück dann noch eine Zugabe, die sich gewaschen hat (und wie schnell eine halbe Stunde vergehen kann!) – hier spielen sich Ulver noch mal so richtig in Extase, lassen die Synthesizer alles geben, die Schlagzeuger trommeln sich schier um den Verstand, Keyboard und Gitarre runden das extrem strukturierte Inferno ab.
Nach insgesamt anderthalb ungeheuer intensiven Stunden wird man zurück in die Realität geworfen und muss diesen musikalischen Input erst mal verdauen.
Und was hat man da jetzt genau gehört und gesehen? Erst einmal: eine hochkonzentrierte Band, die untereinander ständigen Blickkontakt hält, sich zwar in Extase spielt (besonders schön bei den beiden Soundspezialisten Garm und Tore zu beobachten), aber gleichzeitig hellwach ist und alles im Griff hat. Dementsprechend karg ist die Kommunikation mit dem Publikum, doch die hypnotischen Soundgebilde sitzen perfekt, sind ungeheuer vielschichtig und mit einem Mal Hören kaum zu erfassen.
Kompliziert ist die Musik von Ulver eigentlich nicht, durch die starke Rhythmusbetonung sogar recht ursprünglich – doch was sie daraus machen, verlangt schon einiges an Aufmerksamkeit und Aufgeschlossenheit ab.
Nekrist, die eindeutig zu der Fraktion gehört, die sich etwas mehr Metal gewünscht hat, kommt mehr oder weniger zu demselben Ergebnis: Die treibenden Rhythmen, die sich immer mehr steigern, erinnern an Schamanentänze aus allen Ländern der Welt: Man hört, sieht, tanzt sich in Trance, die Strukturen sind komplex, bleiben dabei aber organisch, und man hat immer das Gefühl, dass der Song einfach genau so weitergehen muss. Gerade die Kombination mit den extrem surrealistisch anmutenden Videos (bärtige Männer in Tutus, tanzende Skelette und und und), die permanent im Hintergrund laufen, lassen ein Gesamtkunstwerk entstehen, bei dem man das eine nicht mehr ohne das andere denken kann. Bei mir sorgten die extrem druckvollen Bässe allerdings nach dem zweiten Song für eine Flucht nach hinten – Hallo, Herzrhythmusstörungen! Das, was Ulver hier mehr oder weniger komplett improvisiert abgeliefert haben, ist gewöhnungsbedürftig und sicherlich nicht jedermanns Sache. Man muss hier wirklich den Kopf freimachen und sich auf Musik und Bild einlassen. Deswegen komme ich zu demselben Fazit wie torshammare:
Auch ohne Black Metal ein Wahnsinnskonzert, das noch lange nachwirken wird.
(6010)