Over the firewall

P1190673Obwohl der Frauenanteil auf den Konzertbühnen stetig steigt, sind rein weibliche Bands meiner Wahrnehmung nach in der Minderheit. Um so mehr freue ich mich über The Hormones aus Chengdu. China ist ein, aus westlicher Sicht, doch eher exotisches Land, die dortigen Bands dürften den meisten eher unbekannt sein. In China selbst sind sie mittlerweile recht bekannt und spielen auf größeren Festivals, wovon ihr Video zu „The edge“ zeugt. Sie kommentieren es selbst mit: “It took us some time to jump over the firewall and get this on Youtube, but hopefully you’ll give us some support!” Dies zeigt, dass die Verhältnisse in China nicht einfach sind, trotzdem wollen sich Drummerin Zhou Lijuan (Juan Juan), Gitarristin Wang Jiao, Bassistin Wang Minghui (Ming Ming) und Sängerin Zhu Mengdie (Zhu Zhu) nicht aufhalten lassen und absolvieren diesen Herbst ihre erste Europa-Tournee.

P1190537Leider lassen sich insgesamt nur recht wenig Leute am Donnerstag ins Orangehouse locken, und so findet der Auftritt vor nur etwa dreißig bis vierzig Besuchern statt. Pünktlich um neun betreten die vier mit einem schüchtern wirkenden Lächeln und in schwarzen Lederjacken die Bühne, die sie aber direkt ausziehen. Dazu Doc Martens und Airwalk Schuhe, die auch in China Zeichen einer subkulturellen Identität sind. Leider legen sie keine Setlist aus, aber selbst wenn, dann hätte ich etwaige chinesische Schriftzeichen ohnehin nicht lesen können. Das Lächeln weicht der Konzentration, und mit einem Intro starten The Hormones ihr Set, das schließlich in „Lhasa river“ von ihrem Debütalbum Beckon übergeht. Sängerin Zhu Zhu bedient dabei einen kleinen Korg-Synthesizer. Ihre Art zu singen bewegt sich zwischen der frühen Patti Smith und Björk, und auch die hohen Tonlagen der The Cranberries-Sängerin Dolores O’Riordan scheut sie nicht. Bassistin Ming Ming imitiert mit einer Rassel Wasserrauschen, Wang Jiao erzeugt mit ihrer Gitarre Klänge, die mich an die schrägen Sounds in „Bela Lugosi’s dead“ von Bauhaus erinnern. Ein toller P1190411Auftakt, nachdem Zhu Zhu das Publikum begrüßt: „Hey, we are The Hormones from China!“ Nun wird es elektronischer und auch tanzbarer, denn Juan Juan, die hinter dem Schlagzeug sehr cool und abgeklärt wirkt, spielt eine Art Marschrhythmus. Zhu Zhu kommt nun mehr aus sich heraus und nimmt mit ihren Bewegungen mehr Raum auf der Bühne ein. Mit den kurzen Haaren und der sehr schlanken Figur erinnert sie mich ein wenig an Twiggy, das gefeierte Model aus der Zeit der Swinging Sixties. Der nächste Song ist von Sprechgesang dominiert, dazu tanzt sie nun richtig und benutzt zwischendrin eine Cowbell als zusätzliches Instrument. Nun erklärt Ming Ming: „It’s my second time in Munich, I really like this city. Last time I’ve been to the Oktoberfest, it’s been like crazy!” Klar, dass das für Lacher im Publikum sorgt. Das eingangs erwähnte „The edge“ bringt nun auch die Besucher endgültig zum Tanzen, gegen Ende des Songs lässt sie den Bass ruhen und nimmt ihrerseits die Cowbell zur Hand.

P1190639Nun wird es sehr atmosphärisch, denn Wang Jiao erzeugt mit ihrer Gitarre einen Wave-Sound, der mich anfangs an den alten Klassiker „San Diego“ von The Eternal Afflict erinnert und mich schweben lässt. Insgesamt agiert sie eher introvertiert, in ihrem Blick meint man bisweilen die ganze Traurigkeit der Welt wiederzufinden. Trotzdem oder gerade deswegen bekommt die Band ein paar Augustiner gereicht, und die Oktoberfestbesucherin stellt fest: „Beer is so good!“ Mit “Beckon”, das mich an die Band Raskolnikov erinnert und bei dem sich Zhu Zhu zusätzlich an die Drums stellt, und „Rise with the sun” folgen zwei weitere Album-Songs, bevor Ming Ming einen „song about environment“ und „living in the cities“ ankündigt. Darin übernimmt sie auch einen Part mit Sprechgesang. „The next song is a cover from PJ Harvey: ‚Down by the water’!” erklärt Zhu Zhu, was freudiges Erstaunen im Publikum auslöst. Anders als auf dem Album, wo scheinbar alle vier die Lyrics rufen, gerät der Song heute live düsterer und atmosphärischer. Sie bedankt sich für den Beifall und teilt uns mit: „This is our last song!“, dessen Intro Züge der elektronischen Spielereien von Depeche Mode trägt. Unter lautem Jubel verlässt die Band die Bühne, kehrt aber noch für eine Zugabe zurück, und so endet der Auftritt nach 75 Minuten mit einem schlichten „Thank you!“ ans Publikum, zu dem lächelnd gewunken wird. Zu den Klängen von „Smalltown Boy” von Bronski Beat wird nun der Merchandise Stand eröffnet und das Publikum in die Nacht entlassen.

Fazit: Gemessen am Debütalbum haben The Hormones ein unerwartet langes Set gespielt und nicht nur mich damit freudig überrascht. Ihr Sound bewegt sich zwischen Post Punk, New Wave, Indie und Electronic-Einflüssen, und je nach Song wird der eine oder andere Teil betont. Somit ist der Auftritt stets spannend und abwechslungsreich, düster, dystopisch und tanzbar zugleich. The Hormones aus Chengdu in China, vier Damen, die es zu verfolgen lohnt. Leider hat sich am heutigen Donnerstag nur recht wenig Publikum ins Orangehouse getraut, aber dafür bin ich froh, die Band in dieser Wohnzimmer-Atmosphäre erleben zu dürfen. Auf ein baldiges Wiedersehen!

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