How much is the fish?

Finntroll – der Soundtrack diverser Skandinavistenfeiern damals um die Jahrtausendwende, und die meisten von uns konnten die ersten beiden Alben fast auswendig. Schöne Erinnerungen, die ich bei dieser Tour mit Brymir und Skálmöld wiederaufleben lassen möchte. Wenn es da nicht ein paar Hürden gäbe … Zum ursprünglichen Termin im November kann der Tourtross wegen streikendem Bus nicht anreisen, der Termin wird großartigerweise ans Ende der Tour verlegt und nicht komplett abgesagt. Freude! Dann gibt es am Konzertabend allerdings eine monströse Einlassschlange einmal halb bis zur S-Bahn, aus der erst spät ersichtlich wird, dass sie … nicht zu Finntroll ins Werk führt, sondern nach nebenan in die Halle. Aber irgendwann ist auch das geschafft, und einem vergnüglichen finnisch-isländischen Abend steht nichts mehr im Weg!
DSC_7065Wegen der Verzögerungen komme ich allerdings zu spät für den (Foto-)Graben zu Brymir, die pünktlich um halb acht angefangen haben. So richtig voll ist das auf einer Seite abgehängte Werk leider nicht, aber das wird vielleicht noch. Brymir geben jedenfalls ihr Bestes, die schon vorhandene Meute mit rasantem und melodisch-symphonischem Pagan Metal aufzuwärmen, und das gelingt ihnen auch. Ein bisschen Kitsch und Bombast darf auch mal sein, und die Songs aus den beiden Alben Wings of fire und Voices in the sky zünden beim Publikum. Der Sound ist nicht ganz astrein, aber das macht die Band um Fronter Viktor Gullichsen mit viel Spielfreude wett. Bei „Herald of Ægir“ kommt außerdem ein ganz besonderes Bühnenaccessoire zum Einsatz – ein riesiger Plüschlachs. Der Song ist nämlich allen wilden Lachsen gewidmet, und was machen Lachse? Sie springen. So sieht es zumindest von weiter hinten aus, als das Publikum das Plüschvieh freudig durch die Gegend wirft. Auch sonst ist Viktor für die eine oder andere Geschichte gut, der Mann hat ordentlich Sabbelwasser intus und erzählt mit entzückendem finnischem Akzent unter anderem, wie seltsam es ist, dass diese Tour am heutigen Abend endet, warnt dann aber bei „Fly with me“ auch ausführlich vor den Gefahren von Social Media, „take care on the internet!“. Da hat er nicht ganz unrecht. Musik gibt’s am Ende mit „Wings of fire“ aber auch noch mal, und Brymir lassen sich mit strahlenden Gesichtern vom Publikum abfeiern. Wer seinen (Pagan) Metal gern mit einem ordentlichen Schuss Chören und Orchester zu sich nimmt, sollte hier mal ein Ohr riskieren.

DSC_7094Entschieden räudiger wird es gleich darauf mit den Isländern Skálmöld (gesprochen: Skaulm-ölt). Der Begriff stammt aus dem Altnordischen/Altisländischen und heißt „Schwertkampf“, oder wörtlich „Zeitalter des Schwertes“. Er bezieht sich auf die bürgerkriegsähnlichen Zustände in der Sturlungenzeit auf Island (Mitte bis Ende des 13. Jahrhunderts). Der Name des hochrangigen Politikers Snorri Sturluson könnte dem einen oder anderen bekannt sein, er gilt nämlich als Verfasser der Snorra-Edda, einem Skaldenlehrbuch. Warum ich das so ausführlich erzähle (abgesehen davon, dass es spannend ist)? Weil Skalden hochgradig fähige Dichter in der Wikingerzeit waren, die hochkomplexe Versmaße benutzten. In einem davon, dem Dróttkvætt, singen Skálmöld, womit die Brücke zum heutigen Abend geschlagen wäre. Mein Altskandinavistenherz jubelt, das Publikum auch, die Band hat mächtig Spaß in den Backen und zündet ein wahres Feuerwerk auf der Bühne. Warm scheint es da oben auf alle Fälle zu sein, die halbe Mannschaft spielt barfuß oder wie Gitarrist Baldur Ragnarsson und Drummer Jón Geir Jóhannsson gleich mit nacktem Oberkörper. Der Sound ist leider etwas vermatscht, sodass der ausgefeilte Viking Metal mit folkloristischen Elementen und teils mehrstimmigem Gesang eher ziemlich geknüppelt aus den Boxen schallt. Egal, im Publikum wird fröhlich zu Songs wie „Mara“ oder „Himinhrjóður“ geschubst und gehopst, statt Fischen fliegen die Haare, und die Band kommt aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus. Bei einer der seltenen Ansagen erzählt Sänger Björgvin Sigurðsson, dass sie den Jubel und den Beifall und die vielen Fans ganz und gar nicht selbstverständlich nehmen, und bedankt sich von Herzen. Bei „Móri“ teilt sich die Menge dann auch brav, um erst eine noch etwas zaghafte Wall of Death, dann aber einen schönen Circle Pit auf die Beine zu stellen. Mit „Kvaðning“ nimmt der Auftritt ein furioses Ende, und alle Arme gehen in die Höhe. Takk fyrir, das war mächtig!

DSC_7452Nicht weniger mächtig versprechen Finntroll zu werden, und wer möchte, kann sich am Merchstand mit Trollohren eindecken. Ganz so weit geht die Liebe im mittlerweile doch recht zahlreich vertretenen Publikum nicht, vielleicht fehlt aber auch nur die Expertise im Befestigen, Finntroll machen das ja schließlich schon seit vielen Jahren, und ohne Öhrchen und Corpsepaint (auch bei der Hintergrundmannschaft!) würde bei der wilden Folk-Metal-Party etwas fehlen. Mit Spaß, Selbstironie und einem treuen Plüschhasen auf einem Verstärker starten Finntroll in „Att döda med en sten“ vom aktuellen Album Vredesvävd in den wilden Tanz durch sieben Alben und circa fünfundzwanzig Jahre Bandgeschichte. Die an das mit einem Widderschädel geschmückte Mikrofon von Sänger Vreth angeschlossene Nebelmaschine gibt alles, Vreth hinter den Rauchschwaden und die anderen Trolle ebenso, und das Publikum feiert sich durch ältere („Ur jordens djup“, Människopesten“, „Solsagan“, „Den frusna munnen“, „Nedgång“), ganz alte („Slaget vid blodsälv“) und neuere („Ylaren“) Songs. Der Sound ist leider auch hier etwas rumpelig, stabilisiert sich aber im Lauf des Auftritts einigermaßen. Bei „Fiskarens fiende“ („Der Feind des Fischers“) wird es tatsächlich fischig, denn Brymir-Sänger Viktor hopst auf die Bühne und entlässt den Plüschlachs mal wieder in die Freiheit. Der nächste Moshpit wird dann auch kurzerhand zum Fishpit umdeklariert, der Lachs springt und freut sich seines Lebens, das Publikum auch. Spätestens bei den Klassikern „Nattfödd“ und „Trollhammaren“ werfen sich die meisten vor der Bühne ins Getümmel, und bei „Skogsdotter“ hat der Fishpit beeindruckende Ausmaße angenommen. Bei der Zugabe „Under bergets rot“ entern Brymir und Skálmöld für ein paar Minuten die Bühne, denn heute ist Konzert 39 von 39, und das will gefeiert werden. Das eine oder andere Erfrischungsgetränk dürfte natürlich auch schon geflossen sein. Bei „Jaktens tid“, DEM Übersong vom gleichnamigen zweiten Album geben Vreth und die anderen noch mal alles, wir auch, und mit „Midvinterdraken“ und vielen Umarmungen auf der Bühne endet der Abend. Tack och kiitos, das war ein ganz großer Spaß!

Zwei finnische Bands, eine isländische, Songs auf Englisch, Isländisch und Schwedisch, Lachse, Wikinger, Trolle – ein wahrhaft nordischer Abend und furioser Tourabschluss für die Bands. Man wünscht natürlich niemandem Pannen auf Tour, aber die Stimmung heute beim letzten Konzert war schon wirklich besonders gut. Skål!

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Setlist Finntroll
1. Att döda med en sten
2. Nedgång
3. Ylaren
4. Människopesten
5. Den frusna munnen
6. Solsagan
7. Svartberg
8. Slaget vid blodsälv
9. Fiskarens fiende
10. Ormfolk
11. Nattfödd
12. Trollhammaren
13. Skogsdotter
14. Mask

15. Under bergets rot
16. Jaktens tid
17. Midvinterdraken

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