Wenigstens in Jotunheim herrscht Winter

Ein Metal-Highlight jagt in diesem Februar das nächste, viele finden in den großen Locations wie Tonhalle oder sogar Olympiahalle statt. Mir hingegen ist nach ordentlichem finnischen Pagan Metal, der so wütend und finster wie die Eisriesen daherkommt und für Fans ein metallisches Walhalla darstellt. Meine Lieblinge Moonsorrow bitten zu einem Konzert außerhalb jeder Tour in die Backstage Halle, das letzte Album Jumalten aika ist auch schon von 2016 – so langsam wäre neues Material sehr schön, aber so deutet alles auf einen fetten Abend durch die Bandgeschichte hin, und das hat man ja nun auch nicht jeden Tag. Mit Groza hat man (nur) einen spannenden Opener organisiert, und ein Zwei-Band-Konzert ist eine wohltuende Abwechslung zu den sonstigen Marathonabenden. Also, Kamera geschultert und ab in die Backstage Halle.

DSC_3020Pünktlich um acht legen die Mühldorfer Groza dann auch schon los und fegen dem noch etwas locker stehenden, aber durchaus anwesenden Publikum schön räudigen Black Metal der nicht ganz so alten Schule um die Ohren, der aber trotzdem nicht zu sehr in die im Moment so beliebten elegischen Weiten abdriftet. Man könnte den Sound von Groza etwa in die Ecke von Uada packen – die zurzeit ebenfalls sehr beliebten schwarzen Tücher vor dem Gesicht (wie zur Hölle könnt ihr da brüllen, atmen, rasend schnell Instrumente bedienen und dabei nicht umkippen?) passen jedenfalls schon mal. Der Sound der vier Maskierten ist aber eigenständig genug und bläst einem wirklich schön die Haare nach hinten, was man auf der Debütscheibe aus dem Jahr 2018, Unified in void, nachhören kann (oder auf der Bandcamp-Seite der Band). Beim Gesang wechseln sich der Sänger und der Gitarrist auf der (vom Zuschauer aus) linken Bühnenseite ab, was für interessante Akzente sorgt. Immer wieder wird auf die am Bühnenrand stehenden Kisten gestiegen, was in Kombination mit der stimmigen Beleuchtung, dem markanten Mikroständer und komplett schwarzen Outfits für genau die richtige wohlig-bedrohliche Atmosphäre sorgt. Neben Songs von Unified in void („Ouroboros“, zum Beispiel) scheint auch unveröffentlichtes Material geboten zu werden, meint mein Stehnachbar jedenfalls – vielleicht gibt’s das ja auch bald zum Nachhören für zu Hause?
Nach vierzig Minuten sind wir jedenfalls sehr ordentlich aufgewärmt und die Nackenmuskeln eingeschüttelt. Das war fein, Groza!

DSC_3262Nach der mit Quatschen verbrachten und auch nicht allzu langen Umbaupause wird’s dann endlich erhaben, der Mikroständer mit dem imposanten Thorshammer an der mächtigen Kette steht bereit, und Ville Sorvali, Mitja Harvilahti, Markus Eurén, Marko Tarvonen und Janne Perttilä werden mit großem Jubel in der mittlerweile sehr gut gefüllten Halle empfangen. Zuletzt waren Moonsorrow 2018 mit Primordial hier in München, was auch eine tolle Sache war, aber als Headliner hat man einfach andere Möglichkeiten. Ein kurzer Blick auf die ausliegende Setlist verspricht Großes (warum sie allerdings mit „mäkiviikot“ – ganz wörtlich „die Hügelwochen“, aber eigentlich ist „mäkiviikko“ das Wort für Vierschanzentournee – überschrieben ist, weiß ich auch nicht) und vor allem wirklich den erhofften Trip durch die Bandgeschichte. Wie immer haben sich die fünf Musiker mit Kunstblut und düsterer Schminke bühnenfein gemacht, sogar die Oberteile (bzw. Markus Euréns wie immer nackter Oberkörper) sind vertraut. Ich mag Kontinuität und stürze mich daher nach dem stimmungsvollen Intro gleich ins ebenso vertraute „Karhunkynsi“ vom 2005er-Album Verisäkeet. Kurze Songs gibt es bei Moonsorrow nicht, unter zehn Minuten sind eher selten, und genau das macht für mich die Faszination des Sounds aus. Harsche, erbarmungslose Angriffe aufs Gehör und die Nackenmuskeln wechseln mit folkloristisch-akustischen Passagen ab, Villes aggressiver Gesang wird immer wieder vom zweistimmigen, erhabenen Klargesang von Mitja und Janne aufgelockert – die langen Songs eröffnen unendliche Möglichkeiten, diese Zutaten zu variieren, sodass es keine Sekunde langweilig wird. Das Tempo ist meistens genau richtig zum rhythmischen Haareschütteln und Fäusterecken, und genau das machen wir auch exzessiv. „Ruttolehto sis. Päivättömän päivän kansa“ vom aktuellen Album Jumalten aika beschwört mit Ohohoo-Gesängen Erinnerungen an die gute, alte Wikingerzeit herauf (auch wenn das Hauptgebiet der Wikinger nicht in Südfinnland lag), und wieder haben wir fünfzehn Minuten Zeit, alles um uns herum zu vergessen und völlig in der Hymne aufzugehen. Mit „Jumalten kaupunki“ wird es richtig schön alt, hier wird das Album Kivenkantaja aus dem Jahr 2003 berücksichtigt. Nach einem stimmungsvollen Intro legt sich Markus am Keyboard mächtig ins Zeug. Nach der geradezu fröhlichen Melodie aus der Vergangenheit wird es wieder ernst, „Suden tunti“ – „a song about wolves“ – peitscht uns amtlich um die Ohren. Dazu passen auch die ausholenden Armbewegungen, mit denen Mitja seine Gitarre malträtiert, wenn er nicht gerade vorn am Bühnenrand das Publikum anfeuert. Der Song handelt von Fenrir, der sich in der letzten großen Schlacht, der Ragnarök, gegen Odin stellt und diesen dann auch tötet. Genauso aggressiv und erbarmungslos klingt das auch. „Raunioilla“ führt uns wieder zurück ins Jahr 2003 und gewährt uns mit dem sanfteren Midtempo und den langen Klargesangpassagen eine kleine Verschnaufpause, bevor Ville eine der seltenen Ansagen macht: „This is a story about the place we come from, in Southern Finland!“ Er beschwert sich, dass der Winter dort dieses Jahr ausbleibt, aber zum Glück gibt es ja den Ort mit dem ewigen Winter – „Jotunheim“! Die Reise ins Land der mythischen Riesen lässt einen wieder Raum und Zeit vergessen, so fesselnd ist der Song mit – natürlich – massiver Überlänge. Klargesang, sägende Gitarren, peitschende Drums und Keyboards, heiseres Kreischen, über die Bühne wirbelnde Musiker, fliegende Haare – das wirkt schon sehr wie das große Finale, doch zum Glück geht es mit „Aurinko ja kuu“ und „Sankaritarina“ noch ein bisschen weiter. Und wie! Beide Songs stammen nämlich aus dem Jahr 2001, vom Album Voimasta ja kunniasta, und vor allem „Aurinko ja kuu“ wird live nicht so oft gespielt. Also noch ein „paar“ Minuten mehr in exzellentem Pagan Metal schwelgen und sich davon fortreißen lassen. Und richtig laut sein, denn Ville fordert energisch „make some fucking noise!“. Kriegen wir hin. „Sankaritarina“ widmet er dann „each and every one of you, the loyal fans of Moonsorrow“. Die letzte Nackenmuskelkraft wird mobilisiert, auf der Bühne wie im Publikum, Mitja schwingt ein letztes Mal den Arm, ein letztes Mal fliegen alle vorhandenen Haare, und dann müssen wir wieder in die Realität zurückkehren. Kiitos, Moonsorrow!

Ein absolut runder, perfekter Konzertabend, an dem man sich in Ruhe auf zwei Bands konzentrieren konnte und nicht wie sonst oft beim Headliner schon kaum mehr weiß, wer zwei Stunden vorher auf der Bühne stand (und das liegt nicht an der Qualität der Bands). Sound und Licht haben auch gepasst, die Stimmung im Publikum ebenfalls, was will man mehr. Fein war’s!

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setliste Moonsorrow:
Intro
Karhunkynsi
Ruttolehto sis. Päivättömän päivän kansa
Intro
Jumalten kaupunki
Suden tunti
Intro
Raunioilla
Jotunheim
Aurinko ja kuu
Intro
Sankaritarina

(4516)