Über alle Grenzen hinweg

 

Die schwedischen Elektro-Folk-Ikonen Garmarna sind zurück – muss man noch mehr sagen? 15 Jahre liegen zwischen dem letzten Album Hildegard von Bingen und der 2016 erschienenen, schlicht 6 betitelten neuesten Veröffentlichung. 15 Jahre, in denen sich die fünf Bandmitglieder ihren Berufen, anderen musikalischen Spielwiesen (die bekannteste davon ist wahrscheinlich Emma Härdelins zweite Band Triakel, die immerhin regelmäßig in München vorbeischaut, zuletzt 2014) und der Familiengründung widmeten. 15 Jahre, in denen die Beliebtheit der Band zu beinahe schon kultischer Verehrung anwuchs, und als letztes Jahr die ersten Informationen durchsickerten, Garmarna wären im Studio, kannte die Vorfreude keine Grenzen mehr. Die ersten Live-Termine sollten natürlich erst einmal in Schweden stattfinden, aber das ist ja kein Hindernis. Flugs wurde der Auftritt in Malmö mit einem Wochenendtrip in die Region verknüpft, und das Warten auf die fünf Nordschweden konnte beginnen …

Das neue Album 6 war, wie ich gestehen muss, eine leichte Enttäuschung für mich – was aber bei beinahe überirdischen Erwartungen auch fast nicht ausbleiben kann. Zu glatt klangen mir manche Songs, zu simpel, die Texte nicht mehr die grausamen mittelalterlichen Balladen, die zu Garmarnas Markenzeichen geworden waren. Trotz illustrer Gastsänger wie dem schwedischen Musikgott schlechthin, Joakim Thåström, und der samischen Menschenrechtsaktivistin und Rapperin (ja genau, richtig gelesen) Maxida Märak hat für mich der letzte Funken Magie, das Unwiderstehliche der frühen Alben gefehlt. Daher bin ich natürlich voller Vorfreude auf das Konzert, aber auch ein wenig im Zweifel, wie die neuen Songs zu den alten Klassikern passen würden. Auch das Ambiente des Abends ist ein wenig anders als erwartet, Garmarna werden in einem Saal („Kuben“, der Würfel, ähnlich wie die Black Box hier im Münchner Gasteig) auftreten, zum Glück ist das Ganze entgegen der Angaben auf den Tickets unbestuhlt. Der Kuben ist Teil des brandneuen Konzert- und Kongresszentrums Malmö Live, das sowohl von außen als auch von innen durch schlicht-elegantes, aber sehr modernes und durchdachtes Design überzeugt.

P1060999Für deutsche Verhältnisse ungewohnt beginnt das Konzert ohne Vorband pünktlich um 19.30 Uhr, der Raum ist gut gefüllt, aber bei weitem nicht voll. Alle Altersstufen sind vertreten, auch viele Kinder, das Ganze hat etwas von einem Familienhappening. Nach der ersten enthusiastischen Begrüßung will allerdings bei den einleitenden Songs vom neuen Album, „Labyrint“ und „Väktaren“, noch keine rechte Stimmung im Publikum aufkommen, man applaudiert wohlwollend, aber da geht definitiv noch mehr. Bei „Euchari“ vom Hildegard-Album wachen dann die ersten auf, immerhin. Vor dem nächsten Song kündigt Emma einen ganz besonderen Gast an, über dessen Anwesenheit sie sich riesig freut: Anders Larsson wird mit ihr zusammen „Herr Mannelig“ singen, nachdem er sie vor über zwanzig Jahren mit diesem wunderschönen Lied vertraut gemacht hat. Anders‘ sanfte Stimme harmoniert perfekt mit Emmas kräftigem Gesang, neben mir liegen sich zwei Freundinnen in den Armen und singen jede Zeile mit, und endlich tanzen und jubeln mehr Leute um mich herum.
Glücklicherweise geht es mit den alten Klassikern weiter, das Stimmungslevel steigt dementsprechend bei „Vänner och fränder“ und „Min man“ (wie „Herr Mannelig“ vom sensationellen GudsSpelemän-Album aus dem Jahr 1996) oder dem unglaublich intensiven „Straffad moder och dotter“ vom ersten Album Vittrad (1994). Danach darf gern ein wenig Ruhe einkehren, auch wenn bei „Öppet hav“ leider kein Joakim Thåström mit auf der Bühne steht. Live gefällt mir dieser getragene, aber deshalb nicht weniger eindringliche Song richtig gut, auf Platte war er mir noch ein wenig zu blass. Die etwas flotteren „Ingen“ und „Nåden“ zeigen weitere Facetten des neuen Albums, und auch hier: Live passt alles und reiht sich hervorragend in die alten Klassiker ein. Dennoch freue ich mich wie wahnsinnig über die nachfolgenden „Gamen“ und „Vedergällningen“ (beide vom Album Vedergällningen aus dem Jahr 1999) und tanze enthusiastisch. Die Band gibt alles auf der Bühne, Stefan Brisland-Ferner springt wie immer wild herum, egal, ob er gerade die Drehleiher oder eine seiner Geigen bearbeitet. Auch Emma greift oft zur Geige, wenn sie nicht gerade mit ihrer glockenhellen Stimme das Geschehen bestimmt oder auch mal zur Seite tritt und den anderen die Bühne überlässt. Jens Höglin an den Drums, Rickard Westman am Bass oder Gitarre und Gotte Ringqvist an E- und akustischer Gitarre liefern einen grundsoliden Soundteppich, der nur von minimalen technischen Problemen manchmal etwas gestört wird. Man könnte ihnen allen ewig zuhören.

P1070001Doch dann unternehmen Garmarna einen halbherzigen Versuch, von der Bühne zu gehen, kommen aber nach etwa dreißig Sekunden schon wieder zurück und leiten den ersten Zugabenblock mit „Över gränsen“ ein, ebenfalls ein neuer Song. Die Live-Umsetzung ist absolut gelungen, doch fehlt mir hier trotzdem die Stimme von Maxida Märak (ihre Parts werden ausgelassen) und auch der elektronischere, stärker bearbeitete Sound der Originalversion, der das Lied so ungewöhnlich macht. Aber alles geht wohl nicht. Perfekt ist dagegen wieder „Herr Holger“, das auch nach all den Jahren nicht an Durchschlagskraft verloren hat und nahtlos in das sensationelle Instrumentalstück „Klevabergselden“ vom Vittrad-Album übergeht, bei dem Stefan sich mit der Drehleiher geradezu in Trance spielt.
Danach scheint endgültig Schluss zu sein, doch Garmarna lassen sich noch einmal zurückklatschen, um die aktuelle Ballade „Gränser vi glömt“ zu spielen – ein ungewöhnlich ruhiger, aber sehr passender Abschluss dieses Abends, der für deutsche Verhältnisse um 21.00 Uhr ungewohnt früh endet.

Nach dem Konzert stehen alle fünf Bandmitglieder am Merch-Stand und signieren und verkaufen geduldig und sind zu Unterhaltungen aufgelegt; auch hier herrscht dieselbe familiäre Stimmung wie beim Konzert. Ich bin froh, dass Garmarna live immer noch so magisch sind wie vor 15 Jahren, als ich sie zuletzt im Spectaculum Mundi in München sah, und es war ein besonderes Erlebnis, sie in Schweden zu sehen. Was mich aber natürlich nicht davon abhalten würde, auch in Deutschland auf ein Konzert zu gehen. Also: Garmarna, kom till Tyskland, snälla!

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Setlist:
Intro
Labyrint
Väktaren
Euchari
Herr Mannelig
Vänner och fränder
Min man
Straffad moder och dotter
Öppet hav
Ingen
Nåden
Gamen
Vedergällningen
Över gränsen
Herr Holger
Klevabergselden
Gränser vi glömt

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