Wenn Korrespondentin Ankalætha schon Urlaub nimmt und Flüge bucht, um gute Musik live erleben zu können, dann soll es sich gefälligst auch lohnen. Deshalb stehen diesmal nicht nur beide Abende des Doppelkonzerts von Project Pitchfork im Frankfurter Das Bett auf dem Programm, sondern auch noch das E-tropolis Festival in Oberhausen. Drei Tage, zwei Orte, sieben gesehene Bands, ein Temperatursturz mit Schneesturm – da soll noch jemand sagen, Urlaub in Deutschland sei irgendwie langweilig.

Frankfurt, Tag 1: “Ich würde jetzt gerne was trinken …”

Nach erfolgreicher Ankunft in der Großstadt verlasse ich mich für den Rest meines Aufenthaltes komplett auf die Führung meiner dort ansässigen Freundin Kati. Ich weiß ja, dass ich Abstände, Transportwege, Länge von Schlangen usw. nicht einschätzen kann – und so finde ich mich, für mich eher ungewohnt, schon gute zehn Minuten vor Einlassbeginn relativ am Anfang der Schlange und in Gesellschaft des “harten Kerns der Erste-Reihe-Fans” wieder. Ausverkauft ist Das Bett an diesem Abend nicht, es ist halt ein Donnerstag. Trotzdem bin ich überrascht, nicht nur darüber, tatsächlich einen Platz in der ersten Reihe zu ergattern bzw. freigehalten zu bekommen, sondern vor allem auch, wie klein die Location eigentlich ist, sie fasst nur maximal 400 Personen. (Hinweis an die Münchner Fans: Ihr seid gar nicht so wenige, das Backstage Werk ist einfach nur dreimal so groß!) Trotzdem ist zu Beginn des Abends noch relativ viel Luft, auch in den ersten Reihen. Die Bühne ist dafür ziemlich voll, zwei Drumsets, vier Keyboards (zwei pro Band), eine Reihe Monitorboxen, Scheinwerfer – man fragt sich fast, wie da noch Musiker draufpassen sollen. Einen Fotograben gibt es nicht, man ist also in der ersten Reihe wirklich mittendrin statt nur dabei.

WAT - 1_Katharina von SchlottersteinWe Are Temporary betreten pünktlich die Bühne, die Gesichter hinter reflektierenden Masken versteckt, und legen auch gleich los. Das Publikum schenkt Mark Roberts und seinem stummen Mitstreiter am zweiten Keyboard (bei dem es sich übrigens um Gregor Beyerle von L’Âme Immortelle/Nachtmahr handelt) durchaus freundliches Interesse, zu mehr reicht es aber zunächst mal nicht. Zu ruhig ist die Musik, zu statisch die Bühnenshow, und zu unpersönlich wirken die Musiker hinter ihren Masken. Und so weigert sich der Funke beharrlich, aufs Publikum überzuspringen.
Sogar wenn Mark nach den ersten zwei, drei Songs immer mal kurz die Maske auf die Stirn schiebt, um einen Schluck Wasser zu trinken oder eine kurze Ansage zu machen, ergibt sich kein richtiger Kontakt mit dem Publikum, und die Ansagen führen oft eher zu Belustigung oder Verwirrung als zu einem besseren Verständnis der Songs. Wenn er hier in der Gegend aufgewachsen ist, warum spricht er dann hauptsächlich Englisch mit uns? Hat das einen Zusammenhang mit dem nächsten Song? Aussagen wie “Als ich das letzte Mal in der Gegend war, hatte ich Darmgrippe. Hier zu sein, ist besser als zu kotzen” legen zudem nahe, dass auch die Band selbst gerade nicht den allergrößten Spaß hat. Mark erzählt später, er sei an dem Abend aus verschiedenen Gründen einfach „noch nicht richtig da“ gewesen. Diese Beschreibung trifft meinen Eindruck vom Auftritt eigentlich perfekt. Und so gibt es zwischen den Songs und zum Ende des Sets doch eher nur höflichen Applaus.

Setlist:
Medication
Universe
Candy
Shadows
Winter
You can now let go
Who’s going to love me now?
Appalachian trail
Heaven

PPF - 4_Katharina von SchlottersteinAber Schwamm drüber, morgen ist ein neuer Tag, und jetzt geht es ja sowieso erst richtig los. Nach einer erfreulich kurzen Umbaupause ertönt das Intro zu “Akkretion”, die heute hinter den Schlagzeugen platzierten LED-Wände strahlen auf, nacheinander betreten Project Pitchfork die Bühne und beweisen gleich mal, dass es sich beim Titelsong des neuen Albums um einen genialen Opener handelt. Danach geht es Schlag auf Schlag, “Island”, “Timekiller”, “Human crossing” und “Good night death”, Peter Spilles und seine Mannen mischen fröhlich alte und neue Songs, große Hits und unbekanntere Klassiker, und werden vom Publikum gnadenlos abgefeiert. Ansagen sind wie immer unnötig, die Anwesenden kennen ohnehin jeden Song auswendig und brauchen keinerlei Aufforderung zum Toben. Nach einem an die Technik gerichteten “Ich würde jetzt gerne was trinken, aber ich seh nix!”, als es zwischen den Songs mal wieder stockdunkel wird, wird Peter jedoch auch generell etwas gesprächiger und gesteht, dass einem “nach fast drei Monaten ohne Konzert ja doch etwas die Muffe geht”, aber das hat sich spätestens jetzt wohl erledigt.
Gegen Mitte des Sets, spätestens bei “Endless infinity”, bildet sich ein regelrechter Moshpit, es wird gepogt, was das Zeug hält und dadurch die Fans in der ersten Reihe immer wieder gegen die Bühne und auf die Monitorboxen geschleudert. Und so sind wir dann neben hüpfen, jubeln, mitsingen, tanzen und klatschen immer wieder auch noch damit beschäftigt, die Boxen wieder in ihre Markierungen zurückzuholen, damit der Platz, den Peter zur Verfügung hat, nicht noch kleiner wird als ohnehin schon. Der Stimmung tut das natürlich keinen Abbruch; als das reguläre Set mit “Titanes” und “Souls” zu Ende geht, ist wahrlich noch niemand bereit, jetzt wieder nach Hause zu gehen.
Glücklicherweise gibt es noch zwei Zugaben, eine etwas ruhigere mit “Lament”, “Mine” und “Volcano”, die zweite nochmal mit Vollgas: erst „God wrote“ und dann das fast schon obligatorische “Onyx”. Bevor der tolle Abend mit “Tree of life” (juhu!) endgültig zu Ende geht, fragt Peter mal nach, wer denn eigentlich am Freitag wieder dabei sein wird, und fordert dazu auf, auf der Bandseite Wünsche für die Setlist des nächsten Tages zu hinterlassen! Da lässt man sich doch nicht zweimal bitten und erwartet umso gespannter den zweiten Teil.

Setlist:
Akkretion
Island
Timekiller
Human crossing
Good night death
Rain
2069 AD
IO
Endless infinity
And the sun was blue
Pendulum
Terra incognita
Tempest
Pan
Entity
B-Line (Never)
Titanes
Souls
———
Lament
Mine
Volcano
———
God wrote
Onyx
Tree of life

Frankfurt, Tag 2: “Ihr werdet sie noch lieben lernen.”

Nach einem langen Tag mit Sightseeing, Gummibärle-Großeinkauf und viel, viel Kaffee sind wir Freitagabend felsenfest davon überzeugt, dass wir diesmal definitiv zu spät sind für einen Platz ganz vorne im – diesmal komplett ausverkauften – Das Bett. Aber da habe ich wohl Katis Fähigkeiten im Leute antreiben unterschätzt – als wir in der Schmidtstraße ankommen, sind wir ganze 50 Minuten zu früh und können erstmal – in ziemlich genau derselben Gesellschaft wie gestern – noch eine Pizza holen und essen, während wir den Leuten, die da um die Zeit tatsächlich was zu tun haben, im Weg rumstehen. (Schönen Gruß auch an den “Kleinen”, der immer wieder den Platz vor der Türe räumen musste, um sie überhaupt noch aufzukriegen.) Gegen Einlassbeginn merkt man dann allerdings schon deutlich, dass es diesmal voller wird als am Tag zuvor. Glücklicherweise wird aber sogar etwas vor der Zeit geöffnet, und ja, ich stehe wieder ganz vorne, genau vor Dirk Scheubers Keyboard und Achim Färbers Drumset. Zu meiner Überraschung hat das aber keine negativen Auswirkungen auf den Sound, der scheint mir sogar ein bisschen besser als am Donnerstag.

WAT - 2_Katharina von SchlottersteinWir nehmen erstmal einen Drink und warten auf We Are Temporary. Am Alkoholpegel liegt es aber wohl trotzdem nicht, dass der Auftritt der Vorband diesmal einen komplett anderen Eindruck hinterlässt als am Vortag. Mark Roberts hat den ersten Song von der Setlist gestrichen, um mehr Zeit zu haben, über die Hintergründe der einzelnen Songs zu sprechen, er tut das mit entwaffnender Ehrlichkeit, und seine sehr sympathische Art entfaltet ihre volle Wirkung. Die Musik ist ja eigentlich genau dieselbe wie am Vortag, die Stimmung jedoch ist nicht wiederzuerkennen, das Publikum wiegt sich zur Musik, träumt mit geschlossenen Augen, und wenn man sich umschaut sieht man, dass hier und da auch das eine oder andre Tränchen aus dem Augenwinkel gewischt wird.
Musik und Erzählung verweben sich zunehmend zu einem sehr speziellen Gesamterlebnis, “You can now let go” und “Who’s going to love me now” entpuppen sich durch den persönlichen Bezug als echte Höhepunkte der Show, und als das Set mit “Appalachian Trail” und “Heaven” zu Ende geht, hätte es die Beteuerung, dass die Umbaupause ganz kurz wird und man nicht mehr lange auf Pitchfork warten müsse, eigentlich gar nicht gebraucht – an diesem Abend hatte wohl niemand das Gefühl, dass es dafür jetzt aber auch mal langsam Zeit würde. Trotzdem freut man sich natürlich immer über eine kurze Umbaupause.

Setlist:
Universe
Candy
Shadows
Winter
You can now let go
Who’s going to love me now?
Appalachian trail
Heaven

PPF - 1_Katharina von SchlottersteinProject Pitchfork beginnen ihr Set mit “Akkretion”, es folgen von “IO” bis “Endless Infinity” eine ganze Reihe Songs, die auch am Vortag schon auf der Setlist standen. Der Begeisterung im Publikum tut das keinen Abbruch, und man merkt diesmal auch, dass die Band von Anfang an so richtig Spaß hat. Sogar Jürgen Jansen und Dirk Scheuber bewegen sich ab und zu, obwohl sie dazu wahrhaft wenig Platz zur Verfügung haben.
Für extra Spannung sorgt natürlich die Frage, welche Songs von der Fan-Wunschliste es tatsächlich ins Set geschafft haben. (Die komplette Liste hätte, wie kaum anders zu erwarten, nicht nur für ein Konzert, sondern für ein komplettes Festival gereicht). Ganz genau lässt sich das zwar auch im Nachhinein nicht sagen, schließlich haben Pitchfork eh die Angewohnheit, immer wieder auch alte und weniger bekannte Songs zu spielen, aber es ist anzunehmen, dass sich über “Daimonion”, “Lam Bras”, “Endzeit” und “Antidote” ein paar Leute noch mehr gefreut haben als alle anderen. Zu Ende geht das reguläre Set dann wieder mit “Titanes” und “Souls”.
Dafür kracht die erste Zugabe gleich wieder richtig rein: “Beholder” und “Entity” bringen den Saal nochmal ordentlich zum Kochen, „Volcano“ wird enthusiastisch mitgesungen. Für die zweite Zugabe kündigt Peter heute “den Mitmach-Song des Abends” an, zum “mitbasteln und mit nach Hause nehmen” – es handelt sich um “Song of the Winds” (und wer das auch nicht sofort kapiert hat, darf sich den Text nochmal durchlesen). Danach gibt es wieder “Onyx” und einen Dank an We Are Temporary – das hinzugesetzte “ihr werdet sie noch lieben lernen!” klingt fast wie eine Drohung, dabei war das doch jetzt gar nicht mehr nötig. Den krönenden Abschluss des Auftritts bildet dann “Rescue” – dass ich alter Metalfan mal mit Nackenschmerzen aus einem Elektrokonzert kommen würde, hätte ich vorher auch nicht geglaubt.

Eine Aftershowparty gibt es aus organisatorischen Gründen auch heute nicht. Schön finde ich, dass man trotzdem nicht gleich aus der Halle gekehrt wird (Münchner wissen, was ich meine), sondern noch Zeit für ein Getränk, den Besuch des Merch- Standes und das eine oder andere Gespräch bleibt.

Setlist:
Akkretion
IO
Rain
Timekiller
Human crossing
Good night death
Endless infinity
Daimonion
And the sun was blue
Pan
Terra incognita
Lam Bras
Mine
Endzeit
Antidote
Titanes
Souls
———
Beholder
Entity
Volcano
———
Song of the winds
Onyx
Rescue

Fazit: Zwei wirklich tolle Abende, die Stimmung war unglaublich. Auch auf We Are Temporary darf man sich durchaus freuen (zumindest, wenn nicht wieder der Hund in die Tierklinik muss und Mark deshalb schlecht drauf ist).
Ein wenig erstaunt war ich, dass zum Auftakt der “Akkretion-Tour” an zwei Abenden nur insgesamt vier Songs vom neuen Album von Project Pitchfork zu hören waren. Das ist zwar sehr verständlich, da Fans sich ja oft über ältere Songs am meisten freuen, aber doch ein bisschen ungewöhnlich – gerade am ausverkauften Freitag hätte ich mit mehr, nicht weniger neuen Songs gerechnet. (Was man aus Dresden und Erfurt hört, ist es aber sehr wahrscheinlich, dass sich das im weiteren Verlauf der Tour noch ändert.) Auch dass ganze 16 Songs an beiden Abenden gespielt wurden, obwohl ja ausdrücklich angekündigt war, es würde sich um zwei unterschiedliche Sets handeln, war unerwartet – allerdings lag das wohl nicht zuletzt an den von den Fans geäußerten Wünschen (unschuldig pfeif).

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Text/Bildmaterial: Ankalætha
Bildmaterial: Katharina von Schlotterstein

 

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  1. […] früh heißt es Abschied nehmen von Frankfurt und von Kati, mit dem Zug geht es weiter nach Oberhausen. Schon unterwegs enthüllt der Blick aus […]

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