You gonna hear some fuckin‘ doom!

Primordial kennt sicherlich jeder, der sich für Metal interessiert. Deren Sänger Alan Averill, den die meisten wohl besser unter dem Namen Nemtheanga kennen, kommt heute mit seinem weit weniger bekannten Nebenprojekt Dread Sovereign nach München in den kleinen Backstage Club. Dubh Sol sitzt wie auch bei Primordial am Schlagzeug, und Bones von den Wizards of Firetop Mountain zaubert an der Gitarre. Alan selbst bedient den Bass. Die genreübergreifende und teilweise recht experimentelle Herangehensweise an ihre Version von Doom Metal hat mir sehr gut gefallen (Link zur Rezension des zweiten Albums For Doom the bells tolls), und ich bin gespannt, ob sich die Wirkung der Songs heute auch live entfalten kann.

Kurz vor halb acht biegen wir von der S-Bahn um die Ecke, was zur Hölle! Vorm Backstage befindet sich eine 200m lange Schlange. Die passen doch nie im Leben alle in den Club! Zum Glück sind das alles normale Teenager, die für irgendeine Veranstaltung im Werk anstehen, und so können wir uns vorbeischleichen. Nach dem Schreck folgt die Vorfreude, doch zunächst stehen jedoch noch gleich zwei Vorbands auf der Bühne. Bei allem Respekt dafür, unbekannten Nachwuchsbands auch eine Chance geben zu wollen, sind das mir persönlich in aller Regel anderthalb Bands zu viel.

DSC_8807Den Beginn machen Moribund Mantras aus Stuttgart pünktlich um acht, der Club ist zu diesem Zeitpunkt leider nur sehr spärlich gefüllt. Die Mitglieder frönen dem Okkulten und geben sich anonym, so heißen sie auf ihrer Facebook-Seite schlicht B, L, G, R und S. Sie sind alle noch recht jung und haben wohl noch nicht viele Shows gespielt, jedenfalls wirken sie schüchtern und konzentriert und vermeiden sowohl eine Begrüßung als auch Blickkontakt mit dem Publikum. Nach dem Intro erscheint auch der Sänger, und man spürt die Erleichterung bei den anderen, dass die Aufmerksamkeit nun von ihnen abgelenkt wird. Die Bandmitglieder tragen alle schlichtes Schwarz, und was außerdem auffällt: Keiner der Jungs ist sichtbar tätowiert, was mittlerweile schon ungewöhnlich ist. Nur der Sänger trägt eine Kapuze, die ihm bis über die Nase ins Gesicht fällt und so jeglichen Augenkontakt verhindert. Das ist cool und passt zu der mystischen und okkulten Wirkung der schweren Doom-Musik, allerdings würde ich die an die Turbojugend erinnernde blaue Jeansweste beim nächsten Gig weglassen, weil sie irgendwie deplatziert wirkt und kontraproduktiv für den bedrohlichen Gesamteindruck ist. Die Musiker gehen nach und nach mehr aus sich heraus, vor allem der Gitarrist auf der rechten Bühnenseite ist bei den härteren Parts mit vollem Körpereinsatz dabei, was vom Publikum auch mit wohlwollendem Kopfnicken quittiert wird. Der Sound entwickelt mit dem schleppenden Doom-Rhythmus tatsächlich eine hypnotische Wirkung, der man sich schwer entziehen kann. Der Sänger benutzt ein klassisches 50er-Jahre-Rock ‘n‘ Roll-Mikrofon, was im Metalbereich ungewöhnlich ist, aber für gelungene Momente sorgt, wenn er damit auf der Monitorbox am Bühnenrand post. Bei den langen Instrumentalpassagen der Songs steht er teilweise minutenlang bewegungslos still, dass man schon fast meinen könnte, er wäre ausgestopft. Das muss unglaublich schwer sein und beeindruckt mich, er scheint dann ganz in seiner okkulten Welt verloren zu sein. Für unseren Geschmack ist seine Stimme leider zu wenig betont, sondern gleichberechtigt zu den Intrumenten abgemischt. Allerdings scheint das so gewollt zu sein, denn auf den vorab getesteten Youtube-Videos ist dies ebenfalls der Fall. Nach dreißig Minuten und drei Songs endet der Auftritt unter dem Beifall der Anwesenden, und die Bandmitglieder verschwinden genauso lautlos hinter der Bühne, wie sie gekommen sind. Insgesamt ein feiner Auftritt, und mit mehr Bühnenerfahrung kommt automatisch auch mehr Bühnenpräsenz. Die Jungs haben auf jeden Fall ein großes musikalisches Potenzial, und man sollte sich deren Debütalbum Into Nothingness von Anfang des Jahres unbedingt einmal anhören.

Nach einer mit zwanzig Minuten erfreulich kurzen Umbaupause stehen als Nächstes die Dresdener Ad Cinerem (von lat. „cinis“, die (Toten)Asche) auf der Bühne, die ursprünglich aus Hekjal und Val Atra Niteris bestehen, live jedoch von Alex, Stefan und Micha unterstützt werden, und präsentieren eine Mischung aus Doom und Black Metal. Bei Black Metal muss ich in aller Regel passen und erteile daher torshammare das Wort.

DSC_8892Black Metal in seinen verschiedensten Ausformungen ist im Gegensatz zu Mrs. Hyde genau mein Ding, weshalb ich auf Ad Cinerem sehr gespannt bin. Die Band hat bereits ein Demo mit drei Tracks (Once mourned … now forgotten) sowie ein Album veröffentlicht (Shadows of doubt). Die ersten Höreindrücke daheim auf der Bandcampseite der Band waren sehr positiv, tiefgründiger, deutlich von Black Metal beeinflusster Doom mit feinem Growlgesang und einer guten Mischung aus ruhigen und härteren Parts.
Der gute Eindruck bestätigt sich dann live tatsächlich, der Fünfer mit im Vergleich zu Moribund Mantras deutlich souveränerer Bühnenpräsenz legt nach kurzem, unkompliziertem Soundcheck (der mit Growlgesang vor Jazzklaviergeklimper als Pausenmusik allerdings ein wenig skurril wirkt) ordentlich los, die Begrüßung gibt’s dann erst vor dem zweiten Song, dem Titeltrack des aktuellen Albums, „Shadows of doubt“, einem wunderbar melancholischen Zehn-Minuten-Brecher. Auch der nächste Track „To revise downward“ vom Demo Once mourned … now forgotten kann voll und ganz überzeugen, eine tonnenschwere Lavawalze, in der man sich herrlich verlieren kann. „Pulse of an end“ zeigt etwas deutlicher die Black-Metal-Wurzeln der Band und wird schön hart gespielt. Fliegende Haare und hochgereckte Fäuste und Pommesgabeln zeigen, wie gut Ad Cinerem beim Publikum ankommen, und alle freuen sich, als es das OK für einen zusätzlichen Song gibt. Die Gitarren müssen noch kurz tiefer gestimmt werden, denn „jetzt wird’s doomig“, und damit verspricht Sänger Hekjal auch nicht zu viel. „Possession“ geht wirklich ganz tief runter und rundet diesen guten Auftritt der sympathischen Dresdener perfekt ab. Daumen hoch und gerne wieder! (torshammare)

DSC_9083Pünktlich um 22:00 Uhr betreten Dread Sovereign die Bühne, und Alan Averill begrüßt das Publikum: „You gonna hear some fuckin‘ doom!“ Live werden die drei von einem Mann an den elektronischen Geräten unterstützt, der ganz unmetallisch einen schwarzen Trenchcoat trägt. Der Frontmann von Primordial trägt heute keine Kapuzenkutte und kein Aschemakeup, nur ein schwarzes Stirnband zum schlichten Shirt, denn heute steht eben nicht Nemtheanga auf der Bühne, sondern quasi der Privatmann Alan Averill, der mit Dread Sovereign das rauslässt, was im Kontext von Primordial eben nicht möglich ist. Das Set eröffnen sie wuchtig mit “Thirteen clergy to the flames” vom Debüt All Hell’s Martyrs, und man spürt sofort, welchen (Ziegen-)Bock Alan auf die Show hat. Er versprüht eine gewaltige Leidenschaft für dieses Projekt, das auf der Bandcamp-Seite als sein “born dead brain child“ bezeichnet wird. „Are you alright?“ Dann geht es direkt mit “Twelve bells toll in Salem” vom aktuellen Album For doom the bell tolls weiter. Gitarrist Bones im Vintage-Bathory-Shirt legt dabei eine gelungene 70er-Jahre-Psychedelic-Einlage hin. Sein Posing an der Gitarre wirkt, als hätte er einen Orgasmus in Verbindung mit echt gut wirkenden diversen Substanzen, was sich jetzt übertrieben anhört, sich aber perfekt in den Sound einfügt, ohne peinlich zu sein. Auch Alan ist stets in Bewegung, trotz des fetten Doom-Sounds, kniet aber bei den ruhigen Parts auch mal direkt vor den Fans am Bühnenrand. Leider ist der Gesang nicht ganz so klar wie auf den Alben abgemischt, aber wir sind natürlich auch nicht im Studio, sondern bei einem Livekonzert, was aber auch die Ansagen schwer verständlich macht. Trotzdem kann man sich dem Sound völlig hingeben und darin schwelgen. “This world is doomed” wird zu Beginn des Songs eine ganze Spur härter abgerockt, und wie schon auf dem Album For doom the bell tolls erinnert mich Alan gesanglich hier an den frühen James Hetfield. Passend zum Text formt Alan mit seinem Arm und dem Basshals eine Kreuzpose. Ein Fan in der ersten Reihe ist vor Begeisterung hin- und hergerissen zwischen Luftgitarre und Luftschlagzeug spielen und wechselt beides immer wieder ab, ob es nun gerade passt oder nicht. Dann heißt es: „Raise your fuckin‘ fists, Munich!“, was sich die Fans nicht zweimal sagen lassen, und schon erklingt das bedrohliche Keyboard-Intro von “Spines of Saturn”, das heute deutlich fetter und doomiger rüberkommt als auf dem Album. Alan und Bones posen zusammen mit ihren Instrumenten, bis Bones ihm zum Streich in die Basssaiten greift und für Lacher sorgt. Mit “We wield the spear of Longinus” folgt nun auch ein Song der erstveröffentlichten EP Pray to the Devil in man. Der epische Song endet mit der Textzeile „Hail, Satan!“, und Alan lässt sich daraufhin zu einem „Fuck Jesus Christ“ hinreißen.
In der aufgeheizten Stimmung kommt das ruppige Venom-Cover “Live like an angel, die like a devil” gerade recht. Ein Mädel rastet regelrecht aus und rempelt sich pogend durch die Menge, bis sie einem Typen in den Arm springt. Dieser hält jedoch noch ein Bier in der Hand und kann sie daher mit einem Arm nicht halten, sodass beide zu Boden stürzen. Er scheint damit Erfahrung zu haben, denn er schafft es problemlos, die Flasche stets senkrecht zu halten und nicht einen Tropfen des kostbaren Gerstensaftes zu verschütten. Respekt! Aber auch die übrigen Fans lassen die Haare fliegen. Die Temperatur ist mittlerweile deutlich gestiegen, und der Keyboarder entledigt sich seines Trenchcoats. Auch beim folgenden “Cathars to their doom” gehen die Leute begeistert mit, das mit “one more song“ angekündigt wird, und es kommt zu “Hey, Hey, Hey“-Sprechchören. Zwischendrin stellt Alan seine Mitmusiker vor. Dann gibt’s auf der engen Bühne im Überschwang eine kleine Kollision, Bones liegt plötzlich – immer noch spielend! – am Boden, Alan auch, man sieht nur noch Instrumentenhälse für die letzten Takte (verletzt hat sich hoffentlich niemand). Die Band verschwindet danach nur kurz und kehrt für die Zugabe “Chthulu opiate haze” zurück, das Alan mit extrem rauer Stimme singt und damit noch einmal eine neue Facette von sich zeigt. Unter lautem Jubel und unzähligen Pommesgabeln endet schließlich der Gig, setzt sich dann aber gewissermaßen noch einmal am Merchandise-Stand fort. Man musste sogar explizit auf die Band warten, wenn man ein T-Shirt kaufen wollte, denn nur die Musiker kannten die Preise – das ist furchtbar sympathisch und erinnert an kleine Undergroundbands und keine Stars. Alan und Bones verkaufen und signieren völlig ohne Berührungsängste oder Starallüren nur allzu bereitwillig die CDs und Platten, und vor allem Alan scheint das Bad in der Menge und das direkte Feedback von den Fans zu genießen. Irgendwie ist das auch verständlich, denn mit Primordial kann er das nicht mehr machen, da würden 1000 Leute Autogramme wollen und den Stand überrennen.

Fazit: Vielversprechende Nachwuchsbands und eine kleine geile mitreißende Clubshow des Hauptacts, was will man mehr. Schade ist, dass nur etwa sechzig Leute erschienen sind, wahrscheinlich wussten nur die wenigsten, dass Nemtheanga der Kopf hinter Dread Sovereign ist, denn es wurde eben nicht mit dem großen Namen Primordial geworben. Andererseits gab es so quasi einen “Superstar“ hautnah zum Anfassen, und das gibt es auch nicht alle Tage. Dieses Konzert ist mein persönliches Highlight bislang 2017.
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Tracklist:
Thirteen clergy to the flames
Twelve bells toll in Salem
This world is doomed
Spines of Saturn
We wield the spear of Longinus
Live like an angel, die like a devil (Venom Cover)
Cathars to their doom

Chthulu opiate haze

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