Peeeeteeeer – Wir schaffen das

Markus Reinhard und Peter Heppner haben als Wolfsheim in den 1990ern den deutschen Underground mit ihrer unnachahmlichen Melange aus Synthie Pop und Dark Wave nachhaltig geprägt. Der Ausnahmestimme von Sänger Peter kann sich kaum jemand entziehen, denn niemand vermag so wie er die harten Ecken und Kanten der deutschen Sprache stimmlich zu etwas unglaublich Weichem zu schleifen. Nun feierte Heppner sein dreißigjähriges Bühnenjubiläum, Zeit also auf Jubiläumstour zu gehen und auch Zeit, sich an früher zu erinnern. Nicht nur für Peter, auch für mich. Auf der Strangeways Festival Tour 1994 durfte ich Wolfsheim das erste Mal live erleben, als Hauptact vor The Cain Principle, Operating Strategies und Twice A Man. Peter Heppner als Solokünstler ist live für mich allerdings eine Premiere. Nach dem Ende von Wolfsheim war für mich erst einmal die Luft raus. Umso mehr bin ich auf den heutigen Abend gespannt.

DSC_2793Doch zunächst spielt die Vorband Kn/ght$, die mir bislang unbekannt sind, deren Video zu „What’s your poison?” allerdings ein cooles 80er Disco-Flair versprüht. Sie betreten pünktlich um 20 Uhr die Bühne im halb gefüllten Backstage Werk und legen als Intro mit einer instrumentalen Version von Psyches „Uncivilized“ los. Die Dame an den zwei Synthies trägt ein schwarzes 80er-Maxikleid und Sänger James Knights eine schwarze PVC-Jacke mit Pilotensonnenbrille. Der dritte Musiker ist mit E-Schlagzeug für das Programming und die Beats zuständig , die beim folgenden „What we leave behind“ unangenehm mächtig hämmern. Mit „Good evening! Vielen Dank!” begrüßt Knights das Publikum und kündigt den nächsten Song schlicht mit „This is ‚So cold’” an. Dann wendet er sich etwas ironisch noch einmal ans Publikum: „Thank you for being here so early, you never know what’s going to happen.” Das folgende „Cards on the table” ist etwas ruhiger, stimmlich aber auch etwas schräg. Mir fällt nun auf, dass die Beats dazu lobenswerterweise live gespielt werden und nicht vom Band kommen, wie das sonst eigentlich die Regel ist. Knights stellt seine Mitmusiker kurz vor und bedankt sich bei Peter Heppner für die Möglichkeit bei der Tour dabei zu sein, weiter geht es mit „Gigolo”. Beim wohl bekanntesten „What’s your poison?” animiert er das Publikum zum Mitklatschen, was zumindest anfangs einigermaßen mitmacht. „Alligator“ ist die neue Single, die seit dem 13. Oktober erhältlich ist und mich stark an “You spin me round” von Dead Or Alive erinnert, aber auch Spaß macht. Knights verschwindet kurz von der Bühne und kehrt ohne Sonnenbrille zurück, und zum Abschluß wird „Heart“ von den Pet Shop Boys gecovert. Die musikalische Umsetzung funktioniert, allerdings liegt Knights gesanglich den gesamten Song über leicht neben der Spur. Damit ist die halbstündige Spielzeit vorbei, und es folgt das Warten auf den Hauptact.

DSC_2887Pünktlich um 21 Uhr verdunkelt sich der mittlerweile gut gefüllte, aber nicht ausverkaufte Saal und das Intro erklingt, gegen dessen Ende Peter Heppner und seine Musiker die Bühne betreten und bejubelt werden. Das Konzert selbst startet mit „I won’t give up”, anschließend begrüßt Peter das Publikum mit: „Hallo München!“ Ich bin ein bisschen irritiert über Peters Aussehen, schließlich habe ich ihn lange nicht mehr gesehen. Mit dem zurückgegelten, ergrauten Haar und dem dunkelblauen Satinhemd erinnert er mich an das Klischee eines Mafiosi, auch wenn das etwas fies klingt. Aber mir wird dann auch bewußt, dass ich selbst auch älter geworden bin. Bei „Alleine sein” setzt Peter mit dem Gesang einen Takt zu früh ein und muss dann noch einmal neu ansetzen, das aber mit aller Bravour. Spätestens mit „Meine Welt” hat er das Publikum in seinen Bann gezogen, denn beim Refrain schwenken viele unaufgefordert die Arme wie bei einem Boygroup-Konzert. Nach „Being me” ist der Jubel besonders groß, denn mit „Once in a lifetime” wird der erste Wolfsheim-Klassiker gespielt. In der Tat haben viele im Publikum auch ein Wolfsheim-T-Shirt an, es sind also viele alte Fans anwesend, und die dürfen sich auch über „Künstliche Welten“ freuen.
Peter nimmt das Mikro aus der Halterung und meint: „Jetzt kommt etwas, was ich sonst nie mache: Ich rede!“ So überbrückt er humorvoll eine kleine Umbaupause, denn „Wir wollen etwas aus dem Akustikset zeigen. Dafür haben wie Kerzen für die Atmosphäre, wir haben einen Wein mit, und da wo es noch nicht komplett verboten ist, rauchen wir auch.“ Unter großem Gelächter macht er es sich im hinteren Teil der Bühne auf einem Stuhl gemütlich, zündet sich eine Zigarette an, und es geht akustisch mit den Wolfsheim-Songs „And I…“ weiter, gefolgt von „Care for you”. Bei „Wir sind wir“ aus der Zusammenarbeit mit Paul van Dyk singen alle mit, aber besser gefällt mir das alte „Heroin“, das akustisch eine ganz andere Wirkung entfaltet als auf dem Album. Vor „Heroin“ schreit ein weiblicher Fan lauthals: „Peeeteeer!“, der schlagfertig mit „Hier bin ich!“ antwortet und so die Lacher auf seiner Seite hat. „Easy“ ist die letzte Nummer aus dem Akustikset, vor dem Peter wieder nach vorn an die Bühne kommt und feststellt: „Man denkt im Vorfeld‚ ich könnte dies machen oder das, aber wie man dabei von A nach B kommt überlegt man sich nicht.“

Nach „Deserve to be alone”, das mir heute weit besser als auf dem Album gefällt, muß Peter schließlich lachend zugeben: „Ich bin zu früh nach vorne gekommen!“, denn eigentlich hätte auch „Easy“ noch im Sitzen gespielt werden sollen. Dirk Riegner ruft dazu aus seiner Ecke: „Wir schaffen das!“ und sorgt so noch einmal für Gelächter. Diese kleinen Pannen sind grundsympathisch und sorgen für Abwechslung. Weiter geht es mit dem coolen „God smoked” und „Dream of you”, bevor Peter mit Markus Meyn von Camouflage „einen ganz besonderen Gast und lieben Freund“ ankündigt. Zusammen intonieren sie die beiden Camouflage-Songs „That smiling face” und „Count on me”. Während Peter gewohnt zurückhaltend agiert, ist Markus ein fast schon posermäßiger, energetischer Entertainer und animiert die Leute auch zum Mitklatschen, bevor er sich wieder verabschiedet. Jeder Künstler hat wohl einen Song, der ihn Zeit seines Lebens verfolgt, und das ist eindeutig „The sparrows and the nightingales”, das vom Publikum lauthals mitgesungen und frenetisch gefeiert wird. „Kein zurück” ist noch einmal von Wolfsheim und wird noch einmal im Duett mit Markus Meyn präsentiert, bevor sich die Band von der Bühne aus verabschiedet.

Das Publikum hat natürlich noch lange nicht genug und fordert nach Zugaben, insofern ist das folgende „Give us what we need“ eigentlich sinngemäß gut gewählt. „Leben… I feel you” von Schiller lädt noch einmal zum Tanzen ein, allerdings empfinde nicht nur ich den Bass als unangenehm übersteuert. Wieder verschwindet die Band von der Bühne, und wieder wird sie zurückgeklatscht. Peter nutzt die Gelegenheit die Band vorzustellen: Dirk Riegner (Secret Discovery, Schattenherz) am Keyboard, Achim Färber (De/Vision, Phillip Boa) an den Drums und Gitarrist Carsten Klatte (Project Pitchfork). Noch einmal gibt es einen Akustiksong, das melancholische „Annie“. Der Song hat mir seinerzeit unheimlich viel bedeutet, und ich hätte nie gedacht, das noch einmal hören zu dürfen und muss mir daher ein Tränchen wegblinzeln. Anschließend wird das große „Die Flut“ noch einmal live schön umgesetzt, indem beim zweistimmigen Refrain die zweite Stimme dem Publikum überlassen wird als Ersatz für den nicht anwesenden Joachim Witt. Noch einmal wird verabschiedet und zugejubelt, das Konzert ist um 22:50 Uhr aus, und die ersten strömen hinaus. Aber die hartnäckigen Fans werden noch einmal mit einer tollen Zugabe belohnt, dem originellen „Ich weiß nicht zu wem ich gehöre“ von Marlene Dietrich, allein von Peter vorgetragen und von Dirk am Keyboard-Klavier begleitet. Ein gelungener Abschluß.
Wer den Abend weiter nostalgisch verbringen wollte, konnte das auf der 20-Jahre-Pop!-Party von DJ Sconan und Gästen. Diese war anschließend für das geneigte Publikum auch sehr gut war und überraschenderweise überhaupt nicht zu laut und übersteuert.

Noch ein Schlußwort: Leider war es insgesamt eher leise, gerade bei den akustischen Sachen. Zum einen ließen sich dabei kleine stimmliche Unsicherheiten bei Peter heraushören, zum anderen konnte man leider auch den Gesprächen der Umstehenden zuhören. Leute, wenn ihr labern wollt, dann geht nicht auf ein Konzert und nervt andere, dann geht doch einfach in eine Kneipe. Da könnt ihr das viel billiger haben. Trotzdem war es insgesamt ein toller Abend mit einem kleinen Wermutstropfen.

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch2:

Setlist Heppner:
I won’t give up
Alleine sein
Meine Welt
Being me
Once in a lifetime (Wolfsheim)
Künstliche Welten (Wolfsheim)
And I… – akustisch (Wolfsheim)
Care for you – akustisch (Wolfsheim)
Wir sind wir – akustisch (Paul van Dyk)
Heroin – akustisch (Wolfsheim)
Easy – akustisch
Deserve to be alone
God smoked
Dream of you
That smiling face (Camouflage)
Count on me (Camouflage)
The sparrows and the nightingales (Wolfsheim)
Kein zurück (Wolfsheim)

Give us what we need
Leben… I feel you (Schiller)

Annie – akustisch (Wolfsheim)
Die Flut (Joachim Witt)

Ich weiß nicht zu wem ich gehöre (Marlene Dietrich)

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