Let’s make earth great again

Laibach haben es wieder getan – mit The sound of music haben sie im November 2018 ihr neues Album veröffentlicht, das inhaltlich mit Neuinterpretationen des gleichnamigen Musicals an die legendären Auftritte in Nordkorea 2015 anschließt. Zuckersüß und doch höchst abgründig werden die allseits bekannten Stücke interpretiert – keine leichte Kost, obwohl sie doch so federleicht daherkommt. Etwas anderes hätte von den Slowenen Laibach aber auch enttäuscht, deren Veröffentlichungen und Konzerte immer reinste Kunstwerke an Durchdachtheit sind. Auch oft kontrovers, ja, aber man soll ja nicht einfach nur konsumieren, sondern auch nachdenken. Wie schön, dass das Kollektiv nach dem letztjährigen Zarathustra-Abstecher mit diesem Programm in die Muffathalle kommt.

20190318_211350Wie immer gibt’s keine Vorband, und während der Wartezeit auf Laibach läuft bei schon atmosphärisch angestrahlter Bühne ein ganz besonderes Intro. Da wir uns mit The sound of music ja in Österreich befinden, hören wir idyllisches Vogelzwitschern, muhende Kühe und andere alpentypische Geräusche. Als die Kühe lauter muhen, beginnt das Konzert, die Muffathalle ist mit einem Vorhang geteilt, vor der Bühne drängen sich die Leute dann aber ordentlich. Auch wie in den letzten Jahren wird das Konzert aus zwei Hälften bestehen – zuerst präsentieren Laibach das Album The sound of music fast am Stück (nur Track 11 + 12 fehlen), dann gibt es eine wilde Mischung aus verschiedenen Schaffensperioden. Dieses Konzept fand ich in den vergangenen Jahren immer sehr angenehm, zuerst konnte man sich voll und ganz auf das neue Material einlassen und das dahinterliegende Konzept genießen, dann sich über ausgesuchte Schmankerl freuen. Das geht auch heute Abend auf, Laibach nehmen uns mit auf eine kunterbunte, so stoische wie übertriebene Reise durch ihre Alpen, durch ihr Nordkorea. Denn die Anspielungen auf die Zeit in dem streng abgeriegelten Land mit seiner perfiden Propaganda dürfen natürlich nicht fehlen. Nach dem Intro – Gitarrist Vitja Balžalorsky bearbeitet sein Instrument mit einem Geigenbogen – fällt als Erstes auf, dass Mina Špiler nicht dabei zu sein scheint, an ihrer Stelle singt Marina Mårtensson (Vater Schwede, Mutter Slowenin, lebt auch seit einigen Jahren in Slowenien) – und wie sie singt! Mit ihrer kräftigen, wandelbaren und doch glockenhellen Stimme bietet sie den perfekten Kontrast zu Milan Fras‘ bekanntem Grollsprechgesang, auch optisch könnten die beiden nicht gegensätzlicher sein – er mit der üblichen Partisanenhaube, aber in langem, weißem Mantel, sie in einem hochgeschlossenen, altertümlichen schwarzen Kleid mit Hochsteckfrisur, sodass sie aussieht wie einem Gemälde entstiegen. So tragen sie abwechselnd die Songs vor, die alle von einer wie immer hochklassigen Video- und Lichtshow untermalt werden. Bei „Climb ev’ry mountain“ spaziert etwa ein kleiner Junge glücklich durch eine seltsam colorierte Alpenidylle, bei „Edelweiss“ sehen wir eine Koreanerin inmitten weißer Blüten (natürlich auch ultraidyllisch und gleichzeitig unglaublich gruselig). Bei „Favorite things“, bei dem Milan hingebungsvoll von Schnitzel und Noodles brummelt, wandern Popart-Motive wie die berühmte Campbells-Suppendose über die Leinwand, Schnitzel, Einhörner und ganz viel koreanische Comicästhetik. Untermalt wird das Ganze wie so oft von einem unschuldigen Kinderchor, der aber überhaupt nicht unschuldig wirkt. Bei „The lonely goatherd“ wird Boris Benko von der slowenischen Band Silence gezeigt, der das Lied auf Platte eingesungen hat – schön gemacht. Zudem wird der Song mit ordentlich mehr Wums als auf dem Album gespielt (Schlagzeug hämmert, Gitarre sägt – so muss das).
20190318_210404Und so geht es weiter – vor koreanischen Propagandavideos (turnende Kinder in blühender Landschaft sind sehr beliebt) und anderen, höchst vielfältigen und kaum auf einmal aufnehmbaren Anspielungen („Maria“ wird mal eben schnell zu „How do you solve a problem like Korea“ umgetextet) brilliert Marina Mårtensson, swingt ein ungewöhnlich gutgelaunter Milan Fras (nicht dass er lachen würde, aber er bewegt sich rhythmisch zu den Songs!) und spielt die wie immer höchstklassige Band den Rest von The sound of music, gekrönt vom koreanischen Volkslied „Arirang“, bei dem wieder Boris Benko auf der Leinwand singen darf. Eine furiose und sehr intensive – und stellenweise sehr witzige – erste Konzerthälfte geht zu Ende, die Pause eignet sich hervorragend, um alles sacken zu lassen und durchzudiskutieren.

20190318_220409Nach der Pause (untermalt von Klängen des südafrikanischen House-Künstlers Felix Laband, die meine umfassend musikalisch gebildete Konzertbegleitung gleich erkennt) geht es noch mal richtig in die Vollen. Milan – jetzt wieder in bekannter schwarzer Kluft – kehrt mit „Mi kujemo bodocnost“ – „Wir schmieden die Zukunft“ – vom Laibach-Debüt aus dem Jahr 1985 zurück, die nächsten Songs „Smrt za smrt“, „Nova akropola“ und „Vier Personen“ stammen vom zweiten Album Nova akropola aus dem Jahr 1986. Laibach pur wird uns hier also kredenzt, düstere Industrial-Elektronikwelten mit apokalyptisch anmutender Videoshow, zu großen Teilen instrumental von den vier Bandmitgliedern vorgetragen – hier sind besonders die völlig irren Keyboard-/Klaviersoli von Rok Lopatić hervorzuheben. Wow! Der absolute Kontrast zu den bei aller stoischen Überzeichnung doch leicht zu konsumierenden Songs aus der ersten Konzerthälfte und für viele Konzertbesucher wohl auch Neuland – um mich herum sehe ich viele reservierte, wenn nicht sogar ratlose Blicke. Das ist angesichts der überlangen Stücke, die perfekt durchdachte Theatralik mit kontrolliertem Noise mischen, vielleicht auch kein Wunder, ich jedenfalls bin überglücklich, solche alte Perlen mal live in dieser Pracht hören zu können. Mit „Ti, ki izzivaš“ – ebenfalls von Nova akropola – gibt es dann doch noch einen Live-Klassiker zu hören, und schönerweise wird Mina Špiler mit ihrem Megaphon, die traditionell die ersten Zeilen ruft, auf der Leinwand als gezeichnete Figur eingeblendet. Danach zieht sich die Band zurück, doch es gibt glücklicherweise noch eine Zugabe – und was für eine! Marina Mårtensson kehrt auf die Bühne zurück, diesmal mit offener roter Lockenmähne und etwas rockigerer Kleidung, Milan tritt ohne Jackett und mit bloßen Armen (und Partisanenhaube) auf, und zusammen zerlegen sie „Sympathy for the devil“ von den Stones aufs Allerfeinste. Laibach sind ja unter anderem für ihre großartigen Coverversionen bekannt, und auch hier landen sie wieder einen Volltreffer. Wer braucht die Stones, wenn er das Lied von Laibach interpretiert hören kann? Langsam, getragen, teuflisch – und teuflisch gut. Der zweite Zugabensong „The coming race“ stammt aus dem Soundtrack zum Film Iron sky – The coming race, ist herrlich pompös, und Marina zeigt, dass sie auch den Blues beherrscht. Gekrönt wird das Ganze von einem furztrockenen Kommentar Milans am Ende des Liedes: „Let’s make earth great again.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
20190318_222855Laibach setzen da aber noch einen drauf, nämlich „Surfing through the galaxy“, ebenfalls von dem bald erscheinenden Soundtrack, das Marina mit Akustikgitarre und Milan mit Cowboyhut (!) – natürlich über der Haube – vor Oldschool-Videospielsequenzen auf der Leinwand performen. Ganz großes Kino und ein würdiger Abschluss dieses Abends.

Dieser Bericht kann nur einen winzigen Teil des Gesamtkunstwerks „Laibach – The sound of music“ abbilden, das muss man eigentlich selbst erlebt haben. Eine wie immer exzellente Band, ein geradezu witziger Milan Fras, die Neuentdeckung schlechthin Marina Mårtensson, die unzähligen Anspielungen und Querverweise in der Videoshow, die Intelligenz, mit der alles aufgebaut und durchkomponiert wurde, die Lightshow, der Sound – 100 % Laibach.

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Setlist:
String intro
The sound of music
Climb ev’ry mountain
Do-re-mi
Edelweiss
My favorite things
The lonely goatherd
Sixteen going on seventeen
So long, farewell
Maria/Korea
Arirang

Intermission

Mi kujemo bodocnost
Smrt za smrt
Nova akropola
Vier Personen
Krvava gruda – plodna zemlja
Ti, ki izzivaš

Zugabe:
Sympathy for the devil
The coming race
Surfing through the galaxy

(Bilder leider nur Handy-Qualität) 

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