Abend der Gegensätze

Silvester liegt schon eine Weile zurück, genug Zeit also, Schlaf nachzuholen und sich auszunüchtern, um sich mit frischem Elan in die Konzerthighlights des neuen Jahres zu stürzen. Der Katzenclub ist da ja immer ein verlässlicher Termin im Januar, mit immer hochkarätigem Programm, das ein großes Spektrum altbekannter und neuer schwarzer Acts abdeckt. Heute Abend wird es richtig düster, hart und legendär, denn der Belgier Dirk Ivens – Mann der tausend Projekte – steht mit Dive auf der Bühne und wird die Kranhalle in ein Stroboskop- und Megaphon-Lärmgewitter tauchen, was ich persönlich ganz, ganz großartig finde. Ruhigere, aber nicht weniger verstörende Töne wird die Vorband Da-Sein anschlagen, ein aufstrebender Stern am experimentellen Dark-Ambient-Himmel. Das neue Katzenclub-Jahr kann kaum besser beginnen, oder?

_DSC6202Ein bisschen später als geplant beginnt der Abend, der Ein-Tages-Winter hat in München zugeschlagen und erschwert das Vorankommen mit Auto, Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln, weshalb man noch ein wenig auf die Konzertgäste wartet. Dann wabern die ersten Töne durch die stockfinstere Kranhalle, zuerst ist man sich auch nicht sicher, ob da überhaupt jemand auf der Bühne steht. Allmählich schälen sich zwei Umrisse aus den Schatten, Soundtüftler Fernando hinter seinem Laptop und Sängerin Kas am Mikro, die sich beide während des etwa zehn Songs umfassenden Sets quasi nicht von der Stelle rühren werden. Der Blick soll eindeutig auf die düsteren schwarz-weißen Videoeinspielungen gerichtet werden, die die Songs mit morbiden Bildern untermalen. Da-Sein werden gern mit November Növelet verglichen und haben gerade auf Galakthorrö ihr hochgelobtes Debütalbum Death is the most certain possibility veröffentlicht, aus dem sich auch die Setlist speist. Die Tracks sind weitestgehend sehr zurückhaltend, mit Fokus auf Kas‘ Stimme und den Texten, die elektronische Untermalung ist dezent und auf den Punkt gebracht. Für das ungeübte Ohr klingen die Songs allerdings mit der Zeit ein wenig ähnlich, auch wenn hier und da das Tempo leicht angezogen wird (was der Band sehr gut tut, meiner Meinung nach). Andererseits hört man sich mit der Zeit aber auch ein, lässt sich einlullen von Kas‘ Stimme und den zerbrechlich-düsteren Sounds. Der Applaus nimmt jedenfalls von Song zu Song zu, viele freuen sich über das Da-Sein von Da-Sein, zumal man mit Dark Ambient in München ja nicht gerade verwöhnt wird. Das Madrider Duo beschließt den Auftritt mit einem bisher unveröffentlichten Track und freut sich sichtlich über den gerechtfertigten Beifall.

_DSC6428Der Umbau danach geht dann recht schnell, wie immer bereitet Dirk alles allein vor und wuselt über die Bühne. Während man noch gemütlich herumsteht und quatscht, dröhnt dann plötzlich ein ordentlicher Lärm durch die Halle, alles schreckt auf … Verdammt, das Konzert fängt an – und keiner hat’s bemerkt! Dirk wetzt bereits in schwarzem Hemd und schwarzer Hose im Licht eines einsamen Stroboskops über die Bühne, steht keine Sekunde still und brüllt unter charakteristischen Verrenkungen „Underneath“ ins Mikro, den Eröffnungstrack des gleichnamigen aktuellen Albums, das im April 2017 herauskam, die erste Full-Length-Veröffentlichung mit neuem Material von Dive, dreizehn Jahre nach Behind the sun. Das Album ist meiner Meinung nach hervorragend geworden, und ich bin schon sehr gespannt, wie viele Songs es ins Set schaffen. Ein bisschen verfrickelter sind sie, nicht ganz so brachial wie das alte Material, aber wie man an „Far away“ sieht, passen sie trotzdem hervorragend zu Songs wie „Bloodmoney“ oder „Machinegun baby“. Dirk beherrscht mit seiner unverwechselbaren Performance (und beneidenswerten Fitness) die Bühne. So wie seine Gliedmaßen im Stroboskop-Licht zucken, müssen wir im Publikum zwingend mitzucken. Stillstehen geht nicht. Das ist wahre elektronic body music, der Körper transportiert die elektronischen Klänge. Ansagen gibt es keine, die braucht aber auch niemand für ein mitreißendes und faszinierendes Gesamterlebnis. Die Mischung aus alten Knallern und den neuen Songs (das wunderbare „Let me in“) funktioniert wirklich hervorragend. Zwei Klinik-Klassiker haben sich auch noch eingeschlichen, worüber sich keiner beschwert („Sick in your mind“ und „Pain and pleasure“), und am Ende gibt es sogar noch zwei Zugaben, bei denen ich mich vor allem über „There’s no hope“ freue. Dann verschwindet der alterslose Dirk Ivens doch endgültig von der Bühne, um sich kurz darauf bis spät in die Nacht unters Partypublikum zu mischen und sich ausführlich mit den Leuten zu unterhalten. Ein hochenergetischer, erinnerungswürdiger Auftritt, bei dem eigentlich nur das Megaphon gefehlt hat, aber das ist mir auch erst danach aufgefallen. Vorher war ich zu sehr mit Tanzen, Dirk mit der Kamera einfangen (Strobo + zappelnder Musiker = kleine Herausforderung) und Schwelgen beschäftigt. Als Elektrolurchi hat man Dirk Ivens ja mit der einen oder anderen Formation schon unzählige Male gesehen, aber ich wage zu behaupten, dass dieser Auftritt noch mal ein Stück besser war. Das neue Album knallt hervorragend live, und ich freue mich schon auf weitere Dive-Auftritte mit dem Material.

Die Katzenclub-Party danach war dann auch erfreulich elektro- und industriallastig, auf beiden Tanzflächen, was das dem Wetter trotzende, zahlreich anwesende Publikum auch gut angenommen hat. Großer Dank geht an die Künstler des Abends und die Veranstalter, die uns wieder mal eine tolle, lange Nacht kredenzt haben. Am 17. März ist der nächste Termin!

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