Doom währt am längsten

Unglaubliche 35 Jahre ist es her, dass das erste, selbstbetitelte Album von Saint Vitus erschien, und Dank der turbulenten Bandgeschichte war es in den darauf folgenden Jahrzehnten oft zweifelhaft, ob man dieses Meisterwerk sowie die darauf folgenden, nicht minder hervorragenden Alben, noch mal live hören würde. Erfreulicherweise haben sich Dave Chandler, Scott Wino Weinrich und Mark Adams 2009 wieder zusammengerauft und zusammen mit dem neuen Drummer Henry Vasquez (was für ein Tier hinter den Kesseln!) die Comeback-Platte Lillie: F-65 (2012) eingespielt. Seither ist die Band munter unterwegs und feiert dieses Jahr mit einer Jubiläumstour 35 Jahre Saint Vitus – natürlich bin ich da dabei, allein schon wegen Wino, einem meiner Lieblingsfrontmänner. 

orange-goblinEingeleitet wird der Abend von den Engländern Orange Goblin, die sich mit ihrem energischen Stoner Rock / Metal-was-auch-immer auch schon seit 1995 in der Szene herumtreiben und eine stolze Anzahl Alben vorweisen können. Netterweise agieren Orange Goblin nicht als reine Vorband, sondern stehen insgesamt auch über eine Stunde auf der Bühne und liefern eine leidenschaftliche Show ab, die dem durchnässten und durchgefrorenen Münchner Publikum (das Wetter ist unter aller Sau an dem Abend) ordentlich einheizt mit Titeln wie „Scorpionica“, „Saruman’s Wish“, „Bloodzilla“, „Into the Arms of Morpheus“, „The Fog“ oder dem von der Menge bejubelten „Red Tide rising“, das den Auftritt sehr, sehr mächtig beschließt.
Die erste Hälfte des Gigs ist mir persönlich ein wenig zu eintönig vom Songmaterial her (das zum großen Teil von den älteren Alben stammt), die zweite kracht dafür sehr gut und legt auch ordentlich an Geschwindigkeit und Härte zu. Die Band um Sänger Ben Ward, die mir bisher nur dem Namen nach bekannt war, macht ihre Sache wirklich gut und präsentiert neben dem aktuellen Album Back from the Abyss einen repräsentativen Querschnitt durch ihr bisheriges Schaffen. Gerne wieder!

Tracklist:
Scorpionica
Acid Trail
Saruman’s Wish
Sabbath Hex
Bloodzilla
Round up the Horses
Blue Snow
Into the Arms of Morpheus
Devil’s Whip
The Fog
They come back
Quincy the Pigboy
Red Tide rising

saint-vitusViel muss man eigentlich nicht mehr zu Saint Vitus sagen, die Herren haben ihre ganz eigene Bühnenpräsenz. Unterschiedlich sind sie wie Tag und Nacht – der extrovertierte und sehr kommunikative Dave Chandler an der Gitarre, Mark Adams am Bass, der den ganzen Abend keine Miene verzieht, Henry Vasquez ungeheuer leidenschaftlich hinter den Drums und Wino am Mikro, meistens mit düsterer, intensiver und sehr distanzierter Ausstrahlung -, was auf der Bühne seine ganz eigene Wirkung entfaltet.
So fangen Saint Vitus auch heute an, mit „Living backwards“ und „I bleed black“ vom 1990er-Album V wird der Auftritt standesgemäß eingeläutet, der Jubel ist groß bei diesen Klassikern der Bandhistorie, die den typischen Saint-Vitus-Sound sehr gut illustrieren. Das etwas zackigere und nicht ganz so tonnenschwere „Blessed Night“ vom aktuellen Album Lillie: F-65 transportiert die Vibes dieser Ausnahme-Band ebenfalls hervorragend, die zu Anfang ihrer Karriere durchaus auch für Punk-Hörer interessant war. „Let them fall“, ebenfalls ein Titel von Lillie: F-65, lädt wieder zum seeehr langsamen Kopfnicken ein und zeigt, dass Saint Vitus überhaupt nichts verlernt haben.
Mit „White Stallions“ und „The Troll“ geht man ganz an die Anfänge der Bandgeschichte zurück, jetzt wird es rotzig-rumpelig und wieder tonnenschwer – man merkt richtig, wie die Band die Abwechslung genießt.
In der zweiten Konzerthälfte wird es dann wirklich kultig, denn die Band spielt das großartige Album Born too late von 1986 vollständig in umgekehrter Songreihenfolge. „War Starter“, „Lost Feeling“ und „H.A.A.G.“ lassen das Publikum schon schwelgen, zumindest in den vorderen Reihen – weiter hinten genießt man eher still und in sich gekehrt. Bei „Dying inside“, „Clear Windowpane“ und „Born too late“ gerät der Pulk vor der Bühne richtig in Bewegung, es gilt unter anderem, einen hartnäckigen Stagediver diverse Male aufzufangen.
Die Zugabe „Saint Vitus“ vom Debütalbum beschließt diese großartige Reise durch die Doom-Geschichte, und der Merchandise-Stand wird von vielen glücklichen Menschen gestürmt.

Fazit: Ganz, ganz feiner Abend, der nicht nur musikalisch ein Hochgenuss war. Wino zum Beispiel war so entspannt und locker, wie ich ihn noch nie sah, lachte viel und erlaubte sich (nette) Scherze mit den Fans in den ersten Reihen, schüttelte später unzählige Hände und freute sich vor allem über die vielen jungen Gesichter im Publikum.
Hoffentlich machen Saint Vitus noch eine Weile weiter und kommen noch fleißig auf Tournee – in dieser Form kann man sich die Band noch oft ansehen.

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Tracklist:
Living backwards
I bleed black
Blessed Night
Let them fall
White Stallions
The Troll
War Starter
Lost Feeling
H.A.A.G.
Dying inside
Clear Windowpane
Born too late
Saint Vitus

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