IMG_9745Mein Amphi-Samstag beginnt etwas später als geplant, die wunderbaren Empathy Test und die abkühlenden Eisfabrik hätte ich gern gesehen. Oder ein bisschen Postpunk mit den Lokalmatadoren Holygram im Theater? So richtig fit bin ich allerdings erst nach dem Mittagessen und starte den Tag gleich auf der Orbit Stage, also der MS RheinEnergie, die heute wie angekündigt wieder am anderen Rheinufer liegt, aber diesmal nicht an der Hohenzollern- sondern an der Deutzer Brücke. Das ist von meinem Hotel aus sogar sehr recht komfortabel, am nahe gelegenen Heumarkt hat man eine Fülle an Essensmöglichkeiten, weshalb ich dann gestärkt um drei auf dem Schiff zu Aeon Sable aufschlage. Letzten Herbst habe ich die Band, die Gothrock der alten Sisters– und Fields-Schule wiederaufleben lässt, bereits in Deutzen auf dem NCN gesehen, da haben sie mir gut gefallen, trotz prallem Tageslicht. Heute stimmen die Lichtverhältnisse, es ist schön düster und bandeigene Strahler sorgen für großartige Lichteffekte auf der Bühne. Sänger Nino und seine Kollegen geben alles, es ist wirklich schaurig-gothisch – mir aber fast einen Tick zu betont schwer und schleppend. Ein bisschen zäh kommt es mir zeitweise vor, vielleicht bin ich aber auch nur sehr ungeduldig, weil danach Henric de la Cour auf dem Plan steht … Songs wie „Hypaerion“, „Elysion“, „Dancefloor satellite“ oder „Praying mantis“ sind definitiv Perlen des gothischen Düsterrocks, und die Band erntet den verdienten Applaus. 
IMG_9764Ich stürze nach den letzten Tönen dann gleich mal in die erste Reihe, der charismatische Schwede Henric de la Cour gehört mitsamt seiner Band zu meinen absoluten Lieblingen. Eine schwedische Freundin gesellt sich noch zu mir, es kann losgehen! Jubel brandet auf, als Henric, Camilla und die beiden Herren an den Synthies, wie immer düster geschminkt, auf die Bühne treten. Das Songmaterial der zwei bisher erschienenen Alben (Henric de la Cour, Mandrills) ist bekannt, Perlen wie „My machine“, „Dracula“, „Shark“ oder „Chasing dark“ sind einfach immer wieder wundervoll; aber auch die beiden neuen Songs „Worthless web“ und „Two against one“ überzeugen auf ganzer Linie. Zwischen den Liedern wirkt Henric allerdings sehr erschöpft und scheint sich kaum aufrechthalten zu können – ob ihm seine angeborene Lungenkrankheit zu schaffen macht? Die Blicke im Publikum werden jedenfalls immer besorgter, und tatsächlich beendet Henric den Auftritt zehn Minuten früher als geplant. Das nimmt ihm aber wirklich keiner übel, denn trotz offensichtlicher Krankheit (auf Facebook steht kurz darauf, dass er an einer Blutvergiftung litt!) liefert er, zusammen mit der wie immer brillanten Gitarristin und Co-Sängerin Camilla, einen Wahnsinnsauftritt ab. Den Titel „Held des Festivals“ hat er sich auf jeden Fall verdient!
Die zehn zusätzlichen Minuten sind tatsächlich sogar ganz gut, denn so erwischen meine Freundin und ich noch den Shuttle-Bus zurück zum Tanzbrunnen (wir fahren mit einem der roten Sightseeing-Doppeldecker, ein lustiges Klassenfahrtgefühl), was auch hervorragend klappt. Denn wir haben schon den nächsten wichtigen Schweden-Termin: Kite im Theater! Und da sich nach diversen umjubelten Auftritten des Duos in Deutschland langsam herumgesprochen hat, WIE gut Nicklas Stenemo und Christian „Kitte“ Berg sind, könnte es voll werden. Wird es auch, aber wir schaffen es noch gut ins Theater und sogar in die ersten Reihen.

IMG_9989Das bezaubernde „Nocturne“ eröffnet den Auftritt, und schon sind alle hingerissen – egal, ob man die Band schon länger kennt und liebt oder nur mal reinschnuppern will. Das mächtige „Can’t stand it“ gibt danach den Ton fürs weitere Konzert an, bei diesen Killerrhythmen kann keiner stillstehen. Wie immer untermalen ausgeklügelte Videoanimationen auf drei ovalen Scheiben das Geschehen auf der Bühne, die Lasershow sowie die Neonstreifen an den diversen Synthies – und nicht zu vergessen die Laserkatzen an den Bühnenrändern – setzen dem Ganzen noch die Krone auf. Man weiß gar nicht, wo man zuerst hinschauen soll – oder doch lieber einfach die Augen schließen und genießen? Nicklas singt wie immer perfekt, Christian ist oft kaum zu sehen, so oft springt er hochkonzentriert zwischen den vielen Synthies hin und her. Der Sound könnte besser sein, dröhnt allerdings erst bei den letzten beiden Liedern richtig unangenehm. Die Songs sind alle hochkarätig und brennen sich in die Gehörgänge ein. Bei „True colours“ sehe ich alles durch einen Tränenschleier, ebenso beim erhabenen „Up for life“, und als der Übersong schlechthin, „The rhythm“, angestimmt wird, flippe nicht nur ich völlig aus. Bei „Johnny boy“ pfeifen alle das Intro mit, und bei „Dance again“ wird genau das getan – getanzt. Ein wieder einmal ganz, ganz wunderbarer Auftritt von Kite, und wer sie hier verpasst hat, soll sich unbedingt Tickets für die Oktobertour durch Deutschland sichern!

Danach heißt es dann erst mal: Frischluft, Wasserflasche füllen (und noch kurz mit Kite-Christian quatschen), Leute finden, Essen/Trinken/Klo – kurz: die Fields of the Nephilim müssen leider ausfallen, auch wenn ich mich sehr auf Gott Carl gefreut hatte. Ein bisschen hell ist es aber ja sowieso noch für DIE Düstergothen schlechthin, oder? Nein, die Ausrede gilt nicht, ich verpasse wirklich was, aber es geht nicht anders. Der Platz vor der Main Stage ist gerammelt voll, und man hört die düsteren Riffs übers ganze Gelände, das ist sicherlich ein guter Auftritt. Beim nächsten Mal wieder!
IMG_0023Dann muss man sich schweren Herzens für einen Headliner entscheiden – Clan of Xymox auf dem Schiff, Die Krupps im Theater oder VNV Nation auf der Main Stage? Ich beschließe, dass ich noch mehr frische Luft brauche und noch etwas Festivalatmosphäre auf dem Tanzbrunnengelände genießen möchte – also VNV. So wirklich falsch machen können Ronan und Mark ja auch nichts, und die bisherigen Auftritte der Band auf dem Amphi waren durchaus legendär (vor zwei Jahren z.B. in der Lanxess-Arena, das war schon großes Kino). Aber oh je – was für einen Plapperfrosch hat Ronan geschluckt? Er palavert ja gern mit dem Publikum und liefert sich Wortgefechte mit den ersten Reihen, aber diesmal ufert das schon sehr aus. Es wirkt fast, als wolle er ganz, ganz unbedingt, dass das ein toller Auftritt wird und man diverse tausend Leute ganz, ganz unbedingt mitreißen muss, deshalb gibt es ein extra überdrehtes Animationsprogramm, worunter leider jedoch sein Gesang leidet (der oftmals ins unangenehme Schreien abrutscht). Dabei muss da überhaupt niemand extra mitgerissen werden, die Leute fressen ihm doch sowieso schon aus der Hand. Das ist sehr schade und vergällt mir ein wenig die Stimmung, aber man kann natürlich immer noch gut zu den bewährten Hits tanzen. Sehr schön ist dabei das uralte „Joy“ – ja, ich geb’s zu, ich trauere den alten Platten der Band nach. „Standing“ ist ja zum Glück ein Dauerbrenner, aber etwas mehr alte Schätzchen … egal, die Party ist gut, das Publikum flippt kollektiv aus, „Nova“ und „Illusion“ sorgen zuverlässig für melancholisch-verliebte Momente unter den Anwesenden, und bei „Control“ wackeln die Pilze vor der Bühne. Ohne das überflüssige Geplapper wäre es ein legendärer Auftritt gewesen, so ist VNV ein auf jeden Fall würdiger Headliner für die Main Stage.
Später erfahre ich, dass aber auch erfreulich viele Besucher bei Clan of Xymox und den Krupps waren und deren Auftritte ebenfalls sehr, sehr gut gewesen sein müssen.

Ein erlebnisreicher und wie im Flug vergangener erster Tag – der traditionelle Absacker im Beach Club ist also dringend nötig. Doch genau jetzt zieht das angekündigte Unwetter auf, plötzlich gibt es ganz viele freie Liegen, doch mit Sand zwischen den Zähnen ist das alles auch nicht so gemütlich … schweren Herzens machen wir uns auf den Weg in die jeweiligen Hotels. Morgen stehen ja schließlich auch wieder viele Pflichttermine auf dem Plan.

Hier geht’s zum Festival-Sonntag!

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